Seit 35 Jahren hat keine große Rouault-Retrospektive mehr stattgefunden, und man könnte nun hämisch vermuten, das hänge mit dem ostentativen Katholizismus dieses Werks zusammen. Der große, schwarze Miserere-Zyklus, der Leiden Christi und menschliche Mühsal zwischen den beiden Weltkriegen parallel führte, die harmoniesüchtigen, ein bisschen harmlosen, bunten biblischen Landschaften des Spätwerks - alles in Straßburg zu sehen -, das lockt im aktuellen, video- und installationsgestählten Kunstbetrieb die Massen nicht wirklich ins Museum. Oder doch?
Die Ausstellung im Straßburger Musée d’Art Moderne et Contemporain, eines der besten Museen zwischen Paris und Berlin, macht vor allem die stilistischen Sprünge und Brüche dieses Künstlerlebens klar und zeigt, dass der 1958 gestorbene Rouault vielfältiger war als man dachte, ein Außenseiter, den man schlecht einordnen kann: Lässt man das Label des religiös inspirierten Künstlers einmal beiseite, so sieht man, dass die scharfen schwarzen Konturen seiner Schmerzensmänner, die leuchtenden, bisweilen grellen Farben seiner oft sozial deklassierten Figuren möglicherweise nicht nur mit kirchlichen Glasfenstern zu tun haben - wie immer angenommen -, sondern dass da expressive Stilelemente variiert werden, die auch Gauguin oder Beckmann verwendeten.
Rouault, 1871 in Paris geboren, hat mit düsteren, Rembrandt-artigen Bildern angefangen. "L’Enfant Jésus parmi les docteurs" bekam 1895 einen Preis des Salons. Nach dem Tod seines Lehrers Gustave Moreau erlitt Rouault eine schwere Depression und ging ins Kloster. Als er Anfang des 20. Jahrhunderts wieder in Paris war, lud er Nutten in sein Atelier, die sich dort aufwärmen durften und zum Ausgleich posieren mussten - auch eine Art, in Kontakt zu kommen. Die Kuratoren beschreiben diese Phase mit den Prädikaten "l’obscurité des couleurs, la férocité de la ligne", und das stimmt: finstere Farben, wilder Strich; wollüstige pralle Weiber, die sich räkeln, Badende, Rückenakte, eine "Odalisque" - Rouault war mit Matisse in derselben Akademie-Klasse.
Dann geht es ins soziale Kellergeschoss und in den Gerichtssaal: Man sieht die dumpfe, aggressive Kreatürlichkeit von Verbrechern, die sich freilich von den Spießergesichtern der Richter kaum unterscheiden. Mit der Hinwendung zum Zirkus, zu den Artisten und Clowns hellen sich die bis dahin grelldunklen - so muss man sagen - Farben auf, die Figuren werden flächiger, bunter, verführerischer. Hier gibt es ein paar wirkliche Meisterwerke zu sehen, einen altmeisterlich im Schatten sitzenden tragischen Clown, der einem Selbstporträt sehr ähnlich ist, und die fast nackten, sich frontal darbietenden, expressionistisch-verführerischen Artistinnen, Akrobatinnen der Lust. Thematisch macht Rouault also zunächst dasselbe wie Picasso, aber er scheint gegen die Abstraktion völlig immun.
Die in leicht abgedunkelten, ockerfarbenen Räumen gehängte Ausstellung geht nur anfangs chronologisch vor; dann erzählt sie thematisch und kontrastiert dabei verschiedene Werkphasen. Die von Sex und proletarischem Kampf ums Überleben gepeinigten Menschen brauchen Halt. Rouault findet ihn in der schwarzen Kontur-Linie. Er interessiert sich in den 20er Jahren für Landschaften, malt Lastkähne und "Christus in der Vorstadt", ein wirklich meisterliches Bild von kahlen Häusern und kaltem Mond wie in einem frühen Brecht-Stück. Fast karikaturistisch seine Ubu-Buchillustrationen. Die sehr instruktiv nebeneinandergehängten Jesus-Bilder zeigen dann Rouaults weiteren Weg im Schnelldurchgang: die depressiv-dunkle Figur von 1912 bekommt in den 30er und 40er Jahren immer mehr Fleischesfreude, Buntheit, helle Farben, Optimismus, utopische Kraft, bis er in den 50er Jahren in gestisch dick aufgetragenen Farbschichten versinkt.
Rouault hat immer Abstand gehalten zu den Kunstbewegungen seiner Zeit. Dass während seines Lebens ganze Welt- und Kunstentwürfe einstürzten und neu entstanden, scheint ihn nicht angefochten zu haben. Je christlicher er wurde, desto uninteressanter die Bilder. Sein Streit mit den Erben des Kunsthändlers Ambroise Vollard, die ihm über 300 unvollendete Bilder einfach wegsperrten, hat ihn allerdings einen Teil seines Werks gekostet. Am Ende sieht man in Straßburg an diesen halbfertigen Motiven, dass Rouault durchaus in Serien malte, neu ansetzte, hin- und hersprang, Werke liegen ließ und übermalte. Er war moderner, als wir alle dachten.
Die Ausstellung im Straßburger Musée d’Art Moderne et Contemporain, eines der besten Museen zwischen Paris und Berlin, macht vor allem die stilistischen Sprünge und Brüche dieses Künstlerlebens klar und zeigt, dass der 1958 gestorbene Rouault vielfältiger war als man dachte, ein Außenseiter, den man schlecht einordnen kann: Lässt man das Label des religiös inspirierten Künstlers einmal beiseite, so sieht man, dass die scharfen schwarzen Konturen seiner Schmerzensmänner, die leuchtenden, bisweilen grellen Farben seiner oft sozial deklassierten Figuren möglicherweise nicht nur mit kirchlichen Glasfenstern zu tun haben - wie immer angenommen -, sondern dass da expressive Stilelemente variiert werden, die auch Gauguin oder Beckmann verwendeten.
Rouault, 1871 in Paris geboren, hat mit düsteren, Rembrandt-artigen Bildern angefangen. "L’Enfant Jésus parmi les docteurs" bekam 1895 einen Preis des Salons. Nach dem Tod seines Lehrers Gustave Moreau erlitt Rouault eine schwere Depression und ging ins Kloster. Als er Anfang des 20. Jahrhunderts wieder in Paris war, lud er Nutten in sein Atelier, die sich dort aufwärmen durften und zum Ausgleich posieren mussten - auch eine Art, in Kontakt zu kommen. Die Kuratoren beschreiben diese Phase mit den Prädikaten "l’obscurité des couleurs, la férocité de la ligne", und das stimmt: finstere Farben, wilder Strich; wollüstige pralle Weiber, die sich räkeln, Badende, Rückenakte, eine "Odalisque" - Rouault war mit Matisse in derselben Akademie-Klasse.
Dann geht es ins soziale Kellergeschoss und in den Gerichtssaal: Man sieht die dumpfe, aggressive Kreatürlichkeit von Verbrechern, die sich freilich von den Spießergesichtern der Richter kaum unterscheiden. Mit der Hinwendung zum Zirkus, zu den Artisten und Clowns hellen sich die bis dahin grelldunklen - so muss man sagen - Farben auf, die Figuren werden flächiger, bunter, verführerischer. Hier gibt es ein paar wirkliche Meisterwerke zu sehen, einen altmeisterlich im Schatten sitzenden tragischen Clown, der einem Selbstporträt sehr ähnlich ist, und die fast nackten, sich frontal darbietenden, expressionistisch-verführerischen Artistinnen, Akrobatinnen der Lust. Thematisch macht Rouault also zunächst dasselbe wie Picasso, aber er scheint gegen die Abstraktion völlig immun.
Die in leicht abgedunkelten, ockerfarbenen Räumen gehängte Ausstellung geht nur anfangs chronologisch vor; dann erzählt sie thematisch und kontrastiert dabei verschiedene Werkphasen. Die von Sex und proletarischem Kampf ums Überleben gepeinigten Menschen brauchen Halt. Rouault findet ihn in der schwarzen Kontur-Linie. Er interessiert sich in den 20er Jahren für Landschaften, malt Lastkähne und "Christus in der Vorstadt", ein wirklich meisterliches Bild von kahlen Häusern und kaltem Mond wie in einem frühen Brecht-Stück. Fast karikaturistisch seine Ubu-Buchillustrationen. Die sehr instruktiv nebeneinandergehängten Jesus-Bilder zeigen dann Rouaults weiteren Weg im Schnelldurchgang: die depressiv-dunkle Figur von 1912 bekommt in den 30er und 40er Jahren immer mehr Fleischesfreude, Buntheit, helle Farben, Optimismus, utopische Kraft, bis er in den 50er Jahren in gestisch dick aufgetragenen Farbschichten versinkt.
Rouault hat immer Abstand gehalten zu den Kunstbewegungen seiner Zeit. Dass während seines Lebens ganze Welt- und Kunstentwürfe einstürzten und neu entstanden, scheint ihn nicht angefochten zu haben. Je christlicher er wurde, desto uninteressanter die Bilder. Sein Streit mit den Erben des Kunsthändlers Ambroise Vollard, die ihm über 300 unvollendete Bilder einfach wegsperrten, hat ihn allerdings einen Teil seines Werks gekostet. Am Ende sieht man in Straßburg an diesen halbfertigen Motiven, dass Rouault durchaus in Serien malte, neu ansetzte, hin- und hersprang, Werke liegen ließ und übermalte. Er war moderner, als wir alle dachten.