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Chronik der Auswahlgespräche

An einer deutschen Hochschule zu studieren, das war einmal eine richtig exklusive Sache. Als 1903 die Wissenschaftlerin Marie Curie in Paris den Physik-Nobelpreis erhielt, gab es in Preußen noch keine einzige ordentlich immatrikulierte Studentin. Frauen, die etwa Oberlehrerin werden und dafür Universitätsvorlesungen hören wollten, mussten erst ein manchmal peinliches Auswahlgespräch über sich ergehen lassen, berichtet die Bonner Historikerin Monika Hinterberger.

    Sie mussten zu jedem Dozenten, dessen Vorlesungen oder Seminare sie besuchen wollten, persönlich anmelden; konnten auch abgewiesen werden, konnten keinerlei Prüfungen machen, also keine universitätsinternen Abschlüsse - staatliche Prüfungen für Frauen gab es sowieso nicht. Sie durften zuhören.

    Schon in der früheren Universitätsgeschichte hatte das Auswahlgespräch eine entscheidende Rolle gespielt. Nur wer einen oder mehrere Professoren persönlich davon überzeugte, dass er der richtige für ein Studium sei, konnte sich überhaupt Hoffnungen machen, an einer Universität aufgenommen zu werden. Natürlich konnte man nachhelfen, wenn der Geldbeutel gut gefüllt war. Das änderte sich erst im letzten Jahrhundert, als zunehmend fachliche Kriterien in den Vordergrund rückten. Ein objektives Verfahren zur richtigen Auswahl geeigneter Bewerber wurden die universitären Auswahlgespräche jedoch nie.

    Am 1.März 1973, also genau vor 30 Jahren, verabschiedeten sich die deutschen Hochschullehrer zunächst einmal weitgehend aus den Auswahlverfahren. In Dortmund wurde die ZVS gegründet, die Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen. Sie hat die Aufgabe, den zu großen Ansturm von Interessenten auf bestimmte Fächer zu kanalisieren. Das geschieht in erster Linie über die Abiturnote, den berühmten Numerus Clausus. Aber auch das Auswahlgespräch kam wieder zu Ehren: In den medizinischen Fächern wurde es bis zum Sommersemester 1997 praktiziert, dann aber abgeschafft. Unter anderem hatten beteiligte Professoren die große zeitliche Belastung bemängelt.

    Das hinderte Bildungspolitiker freilich nicht daran, Auswahlgespräche in den letzten Jahren immer öfter wieder einzufordern. So können Hochschulen im Rahmen eines Pilotprojekts seit dem Jahr 2000 jeden fünften Studienbewerber etwa im Fach Jura selber auswählen. Und am Donnerstag einigten sich die Kultusminister des Bundes und der Länder darauf, diese Quote ab Ende 2004 in den Numerus-clausus-Fächern auf 50 Prozent anzuheben. Die Uni Heidelberg probierte das vor einigen Semestern aus - und staunte erschrocken über den Aufwand und die Kosten, die das verursachte. 16 Psychologen einer Personalagentur aus München verbrachten mehrere Tage damit, den Bewerbern auf den Zahn zu fühlen. Und sie stellten hinterher fest, dass Aufwand und Ertrag in keinerlei Verhältnis zueinander standen, weil nicht einmal alle freien Studienplätze hatten besetzt werden können. Solche Erfahrungen sind es, die den ZVS-Leiter Ulf Bade trotz aller Anfeindungen an eine Zukunft seiner Behörde glauben lassen.

    Wir können mit Sicherheit keine inhaltliche Auswahl vornehmen, wenn also die Hochschulen sagen: Wir wollen ein bestimmtes Profil abdecken, dann wird das auch nur die Hochschule selber leisten können. Aber wenn man nach standardisierten Verfahren, insbesondere Auswahl nach Note, vorgehen will, dann ist das etwas, was die ZVS leisten kann.

    An solchen Standard-Verfahren aber, glaubt Bade, führt bei 1,9 Millionen Studierenden in Deutschland kein Weg vorbei. Nur einige wenige Hochschulen werden sich deshalb den Luxus leisten, in persönlichen Auswahlgesprächen ihr wichtigstes Humankapital, die Studenten nämlich, auszusuchen. So, wie es etwa seit Jahren die private Uni Witten/ Herdecke macht. Das allerdings funktioniert nur, weil die mit den Gesprächen beauftragten Professoren dafür auch jedes Jahr mehrere Wochen Arbeitszeit eingeräumt bekommen. Denn die Erfahrung zeigt: Standardisierte 20-Minuten-Interviews haben mit einem echten Gespräch so gut wie gar nichts zu tun. Wer eine solide Auswahl auf Gesprächsbasis treffen will, der braucht vor allem Zeit.