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Cineasten auf Schatzsuche

Viel zu selten waren ihre Lieblingsfilme im Kino zu sehen. Deshalb gründete eine Gruppe begeisterter Cineasten in Köln den Filmclub 813. Ihre Mission ist es, vergessene Filmschätze in Archiven ausfindig zu machen und sie zurück auf die Leinwand zu holen.

Von Mirjam Wlodawar | 20.05.2013
    Eine holzvertäfelte Decke, 180 mit braunem Stoff bespannte Kinostühle, in der Ecke ein altes Klavier. Auf den ersten Blick macht der Kinosaal des Filmclubs 813 einen unscheinbaren Eindruck. Doch wenn im Saal das Licht ausgeht, der Projektor anfängt zu surren und längst vergessene Filme auf die Leinwand gezaubert werden, fangen die Augen von Filmliebhabern an zu leuchten.

    "Also ich komme sehr oft, würde ich sagen. Weil ja hier auch Filme gezeigt werden, die schon längst nicht mehr im Kino waren, die schon Filmgeschichte haben, wie zum Beispiel die Werke von Fritz Lang oder von Lubitsch. Auch wenn ich es natürlich kenne, möchte ich es aber noch mal sehen oder einen neuen Blick auf diese alten Film werfen."

    Hans-Hubert Fehling, ein eleganter, älterer Herr mit grauem Wollmantel und Schiebermütze, ist bereits seit Anfang der 40er Jahre ein passionierter Kinogänger. Auch sein Bekannter, der 71-jährige Dietmar Koplow, der ehrenamtlich im Filmclub arbeitet, kann sich ein Leben ohne Kino nicht vorstellen.

    "Wahrscheinlich liegt das daran, meine Mutter war, die letzten Jahre bevor sie geheiratet hat, Platzanweiserin im UFA-Palast in Koblenz. Und das hat sich wohl irgendwie vererbt. Als Kind hat mich schon die Technik interessiert, die dahinter steht. Da habe ich auch im Vorführraum mitgeholfen, auch Filme eingelegt, vorgeführt. Alles so. Und wie gesagt, als das große Kinosterben anfing, habe ich kalte Füße gekriegt und bin dann in die Industrie gegangen. Ich war nie unzufrieden in der ganzen Zeit, aber die Liebe zum Kino und das Interesse an der Branche hat nie aufgehört."

    Nur allzu gerne würde der Rentner auch heute noch in einem Kino arbeiten.

    "Aber jeder Personalchef, der das Alter sieht, lacht sich erst mal tot."

    Dass er 2003 den Filmclub 813 entdeckte und hier als ehrenamtliches Mitglied seine Kinoleidenschaft ausleben kann, ist für den Rentner deshalb ein echter Glücksfall. Ohne das Engagement der rund 60 Mitglieder könnte der Filmclub auch nicht in seiner heutigen Form bestehen. Um die wöchentlichen Filmvorführungen zu organisieren und seltene Kopien aus den Filmarchiven zu beschaffen, treffen sich einige der Mitglieder sogar fast jeden Tag.

    "Hollywood! You know what she wants to do? She wants to go to Hollywood!”"

    Die Anfänge des Filmclubs liegen in den späten 80er Jahren. Damals lernten sich die Gründungsmitglieder des Filmclubs auf Filmfestivals und den Vorführungen in Kölner Programmkinos kennen. So unterschiedlich die Filmenthusiasten auch waren, in einem waren sie sich einig, sie wollten noch mehr Kino. 1990 gründeten sie deshalb den Filmclub 813. Bernhard Marsch, Gründungsmitglied und Vorsitzender des Vereins, über das Selbstverständnis des Filmclubs:

    ""Wir haben uns auch nie als Konkurrenz zu anderen Kinos empfunden, sondern immer nur als diejenigen, die Lücken schließen. Also die das zeigen, was andere eben nicht zeigen. Also wir waren immer der Lückenschließer. Wir versuchen da halt mitunter natürlich auch Pionierarbeit zu leisten, dass man auch vergessene Regisseure zu entdecken. Wir graben da, wo andere nicht mehr graben."

    Für manch einen Cineasten ist der Filmclub deshalb eine Fundgrube fast verschollener Filmschätze. Der Kölner Schauspieler Robert Dölle war zum Beispiel jahrelang auf der Suche nach der Originalversion des alten Hollywoodklassikers "A Star is Born".

    "Den Film gab es lange Zeit nur verstümmelt zu sehen. Mittendrin, plötzlich fehlt eine halbe Stunde, die man nur mit Dias sehen kann. Und hier wurde der restauriert gezeigt, in der Fassung, die George Cukor damals ins Kino gebracht hat. Und die habe ich leider verpasst. Und danach habe ich eben gefragt, ob es eine Möglichkeit gebe, den noch mal zu zeigen."

    Der Filmclub 813 ist wohl eines der wenigen Kinos, in denen sich die Gäste ihren Lieblingsfilm wünschen dürfen. Jedes Mitglied des Vereins verfügt über eine sogenannte "Carte Blanche", das heißt über die Möglichkeit, sich einmal im Jahr einen persönlichen Lieblingsfilm auszusuchen. Auf Zelluloid natürlich, denn darin sind sich die Cineasten einig: Zelluloid ist der Stoff, aus dem die Träume sind.

    "Es ist wie bei einer Schallplatte, man hat ein Cover, man hat ein Ding, was man auf den Schallplattenteller legt, man zelebriert es, es ist etwas Haptisches, so ist es auch mit dem Filmmaterial. Man hat eine ganze Kiste mit Filmrollen, die baut man dann zu einem Film zusammen. Und ein Film leidet über die Jahre, der hat eben Laufstreifen, wie eine Schallplatte knistert. Aber eigentlich ist es viel, viel schöner, auch charmanter. Also wir empfinden, dass Film auf 35 Millimeter einfach besser aussieht."

    Die Mitglieder des Filmclubs verstehen sich als Bewahrer des klassischen Kinos auf 35 Millimeter und haben für die zeitgenössische Filmkultur meist wenig übrig. Doch die Digitalisierung der Filmwelt lässt auch ihr filmisches Refugium nicht unberührt. Schon jetzt zahlt der Verein - der sich vor allem durch Spenden und Mitgliedsbeiträge finanziert - durchschnittlich 150 Euro für die Leihgabe einer Filmkopie. Und schon bald könnten echte 35 Millimeter-Kopien für den Verein zu einem unbezahlbaren Luxus werden.

    "In fünf Jahren werden wir große Probleme haben, gewisse Filme aufzutreiben. Es gibt zwar immer noch einen großen Grundstock an Filmen, an die man herankommt, aber es wird tendenziell schwieriger. Aber es wird tendenziell perspektivisch schwieriger. Vor der sogenannten digitalen Revolution hat man Filme in der Regel ganz normal beim Verleih ausleihen können, auch alte Filme. Es hat sich so gewandelt. Teilweise werden Filme aus Lagergründen, aus Lagerkostengründen, einfach geschreddert. Also vernichtet."