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Circe und Odysseus

"Männer sind Seefahrer, Frauen sind bezaubernde Rätselwesen, und die abendländische Erzählung vom Liebeszauber und seinen Gegengiften beginnt mit Odysseus. Er macht ihre Geschichte zu seiner Erzählung", meint Albert Ostermaier im Nachwort zu seinem Monolog "Nach den Klippen", in dem er die vom Mann verlassene und in ihrer Liebe unerlöste Frau sprechen lässt. Es redet Circe, "die mit den schönen Flechten, die Redebegabte", wie Homer sie in seiner Odyssee charakterisiert. Bei Ostermaier ist Circe zugleich eine an James Joyce "Ulysses" erinnernde Molly sowie, in einem dritten Schritt, die Frau von heute, die einen modernen Odysseus in den U-Bahnschächten der Großstadt sucht. Es gibt viele Geschichten, die Männer über Frauen erzählen. Doch bei Ostermaier erzählt eine Frau, was sie für den Mann ist.

Von Hartmut Krug |
    Das Bühnenbild von Martin Zehetgruber sagt uns überdeutlich, dass dies ein Stück über die schwierige Kommunikation zwischen Mann und Frau ist. Die leere Spielfläche wird umrahmt von unzähligen Telefonnischen. Diese Kommunikationsmaschinen aber scheinen alle tot. Auf einer Bank sitzt Circe, eingeschlossen in ihre Geschichte, während vom Tonband ihre Stimme den von Odysseus und Circe begründeten Mythos erzählt. Dabei fließen auch die Beziehungen zwischen Jason und Medea, zwischen Ödipus und Iokaste ein, und, für den Gebildeten, Anspielungen an manche Geschlechterbeziehungen aus klassischen französischen Filmen. Der Mythos von Circe gilt nicht erst seit der Frauenbewegung als der große kulturelle Text, der eine allgemein bekannte und anerkannte skeptisch-kritische Haltung über das Verhältnis zwischen Mann und Frau erzählt. Albert Ostermaier malt etwas Bekanntes mit vielen ambitionierten bis prätentiösen und zitatenreichen Sätzen aus, während Regisseurin Andrea Breth es mit einer Fülle von szenischen Anspielungen und Andeutungen überschüttet. So erlebt man eine sprachlich wie inszenatorisch überinstrumentierte Inszenierung, deren kleine, bekannte Botschaft unter dem Kunst- und Stilwillen der Beteiligten schier erstickt.

    Circe scheint eingeschlossen in die eigene Geschichte, während auf der einen Bühnenseite ein Vogel, auf der anderen Seite neben einem flackernden Lichtlein der Mann unter einer Tür tot auf dem Boden liegt. Männer und Frauen sprechen nicht die gleiche Sprache, weshalb eine gelegentlich auf die Tonbandstimme der Frau reagierende Männerstimme französisch spricht. Und die zahlreichen sprachlosen Figuren, mit denen die Regisseurin die Bühne bevölkert, begegnen sich in den Geschlechtern nie auf gleicher Höhe: steht die Frau, liegen die Männer, rennen die Frauen, verharren die Männer. Es geht um Ungleichheit. Dabei hat Elisabeth Orth als Circe und als die verlassene allgemeine Frau nicht viel zu spielen. Sie muss vor allem einfach "sein" und unentwegt ihre Perücken wechseln. Zu Beginn spricht sie fast gar nicht, später redet sie sich langsam zu sich selbst vor, bis sie am Schluss die eigene Geschichte zusammenhängend vortragen und Ich sagen kann.
    Frau Orth gibt die kommentierende Strategin, die die Logiken des Begehrens durchschaut und vom Zauber als Männerphantasie weiß. Sie macht die Männer und deren Strategien kenntlich. Anfangs zitiert sie die einflüsternde Verführerin, zum Schluss ist sie die wissende, fröhlich-traurige "normale" Frau. Eine Alltagsrealität kommt in diesem Gedanken- und Redestück nirgends vor. Circes jüngeres Alter Ego umtanzt Frau Orth hinter schwarzer Sonnenbrille und übt deren Gesten und Posen ein. Gezeigt werden mit ständigen Lichtwechseln und einer Komparsenschar, die Helme mit Grubenlampen trägt oder mit Taschenlampen leuchtet, ein forschender Traum, aber auch Verhörsituationen. Während die Frauen den kulturellen Text beständig mit dem Buch in der Hand überprüfen, werden die Männer in Sportlerposen und als erstarrte Skulpturen gezeigt oder auch einmal als Verwundete zur Mumie der Kultur eingewickelt.

    Stück und Inszenierung sind von einem klaren Konzept bestimmt. Doch das zeigefingrige und intelligente Konzept ergibt noch keine spannende Inszenierung. Die Botschaft ist von Beginn an klar, worauf der Text nichts mehr in Bewegung setzt, sondern sich nur in seiner Bedeutsamkeit spreizt. Letztlich ertönt nur der seit langem bekannte "Burgtheatergesang". Und all der bewegte Komparsenzauber, mit dem Regisseurin Andrea Breth die statische Geschichte in Bewegung zu setzen sucht, schließt diese nicht auf oder belebt sie nicht auf neue Weise, sondern erstickt sie eher. Die Anspielungen und Andeutungen, deren Bedeutungen nachzusinnen man schnell müde wird, legen sich wie Mehltau über eine Inszenierung, die letztlich nur als bewegtes, müdes Hörstück daher kommt.