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"Civilization VI – Gathering Storm"
Keule statt Kooperation

Die Computerspiel-Reihe "Civilization" hat seit ihrem Beginn 1991 politisch-gesellschaftliche Diskurse in ihren Ausgaben verarbeitet. Emanzipation, Kolonialismus und nun auch der Klimawandel sind Teil der neuen Games. Doch in der Spielmechanik bleibt es in "Gathering Storm" bei der alten Expansion.

Von Tim Baumann | 26.02.2019
Das Bild aus „Civilization VI – Gathering Storm“ zeigt eine Landschaft einer Küstenstadt mit Hochhäusern und Schiffen
Bild aus „Civilization VI – Gathering Storm“ (2K)
Wir schreiben das Jahr 1930 und zwischen majestätischen Gebirgsketten und am Fuße eines qualmenden Vulkans recken sich die Wolkenkratzer von Cusco dem Himmel entgegen. Auf den Feldern um die Stadt haben wir eine Vielzahl von Weltwundern errichtet und in der vergangenen Runde konnte die Hauptstadt des Erzfeinds Spanien von unseren Truppen eingenommen werden. Dem Reich der Inka geht es gut. So steht es zwar nicht in den Geschichtsbüchern, aber das kontrafaktische Experimentieren mit historischen Versatzstücken macht einen großen Teil des Charmes der Strategiespielreihe aus dem Hause Firaxis aus.
Neue Elemente wie Kultur und Diplomatie
Seit 1991 hat sich "Civilization2 kontinuierlich weiterentwickelt – und einige dieser Veränderungen sind Abbilder emanzipatorischer Diskurse in der Gesellschaft: Wo der Spieler früher nur die Rolle von klassischen Groß- und Kolonialmächten spielen konnte, stehen heute auch unterdrückte Völker wie die Mapuche oder die Maori zur Auswahl. Und verfügte im ersten Teil nur Ägypten über eine Herrscherin, machen die Frauen heute immerhin ein Drittel der digitalen Potentaten aus.
Auch die Siegbedingungen haben sich ausdifferenziert: Konnte man in "Civilization I" nur mit Hilfe militärischer und wissenschaftlicher Überlegenheit gewinnen, wurden Spiel für Spiel neue Elemente wichtig: Tourismus und Kultur, Religion oder Diplomatie. Und nun gilt es im neuesten Add-On der Reihe auch noch, das Weltklima zu retten – eine Aufgabe, die letztlich von allen gemeinsam bewältigt werden muss. Das suggeriert, dass es in Gathering Storm mehr denn je um eine Kooperation der Völker geht.
Bunt und vielfältig auf den ersten Blick
Ist die "Civilization-Reihe" also eine Blaupause emanzipatorisch-politischer Agenda? Das müsse man auf zwei Ebenen betrachten, sagt Hanns Christian Schmidt vom CologneGameLab: "Das eine ist die Repräsentation selbst, also die Frage, was wird im Spiel dargestellt, und vor allem auch: Wer wird im Spiel dargestellt. Also, das betrifft so ein bisschen den Kernbereich der kulturellen Diversität." Auf der Darstellungsebene positioniert sich "Civilization" durchaus bunt und vielfältig. Und mit dem gemeinsam zu bewältigenden Klimawandel wird auch eine Form von Kooperation dargestellt.
Für die Betrachtung politischer Inhalte in Computerspielen sei aber noch eine andere Ebene wichtig: "Das ist eben nicht nur die Repräsentation, sondern dass wir tatsächlich auch durch Spielmechaniken mit der Spielwelt interagieren können." Die Mechanik des Spiels ist aber keineswegs auf Kooperation ausgerichtet: "Also es geht darum, Territorium zu erobern, Vorherrschaft über das Territorium zu erlangen, Exploration, Besetzung eigentlich," sagt Dr. Pablo Abend von der Universität Siegen. Er forscht unter anderem im Bereich der Postcolonial Studies.
Grundprinzipien des Kolonialismus auf der zweiten Ebene
Und die Grundprinzipien des Kolonialismus bilden auch das Herz der Spielmechanik der "Civilization"-Reihe: Je mehr Städte wir bauen oder erobern, desto mehr Produktionskapazität haben wir, um weiter zu expandieren – und desto mehr Kultur, Wissenschaft und Wohlstand können generiert werden. Kann unsere Zivilisation nicht mit den Nachbarn mithalten, wird sie früher oder später von ihnen geschluckt. Eine expansionistische Spielweise ist also eine dem Spielprinzip inhärente Notwendigkeit. Dennoch, sagt er, gibt es in den Postcolonial Studies auch die Position, dass Spiele wie "Civilization" "Spielplätze des postkolonialen Denkens sind, wo man eine Art reflexiven Umgang mit Geschichte ausagieren kann – und es dann eben ironische Brechungen gibt, man Geschichte persiflieren kann, konterkarieren."
Wie das Beispiel der Inka zeigt, die in unserem Spiel den historischen Spieß umgedreht und die Spanier unterworfen haben. In der Spielbarkeit der historisch unterdrückten Zivilisationen steckt also auch ein emanzipatorisches Potenzial – wenn aber die Inka die Spanier zu ihrem Glauben bekehren, die südafrikanischen Zulus England erobern oder die Cree mit Rockbands ihre Kultur den US-Amerikanern aufzwingen – sind sie dann noch mehr als nur hübsch bunt gefärbte Abziehbilder ihrer historischen Unterdrücker?
Macht schön viel Spaß
Und wenn dann noch ein Klimawandel eingeführt wird, der zwar interessant und dramatisch präsentiert wird, aber erst in der letzten Spielphase auftritt, in der wir durch die Dynamik des ewigen Wachstums bereits so mächtig geworden sind, dass wir für das Abschmelzen der Polkappen und die Überflutung einiger Küstenregionen höchstens noch ein Achselzucken übrig haben, welche Lehren ziehen wir dann daraus?
In erster Linie wohl die, dass es für das Verständnis politischer Inhalte in Games immer darauf ankommt, die Spielmechanik mitzulesen, denn sie ist es, die die eigentliche Agenda des Spiels ausmacht. Und im Falle von "Civilization" leutet die: "Vergiss Kooperation, hau' deinem Nachbarn die Keule über den Schädel!" Das macht aber, zugegebenermaßen, ganz schön viel Spaß.