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Classic Meets Pop

Ein Beitrag von Thomas Migge |
    Diese Einladung war sehr interessant für mich. Schließlich geht es ja um einen Vergleich. Einen Vergleich zwischen zeitgenössischer und alter Kunst. Es kommt selten vor, dass zeitgenössische Künstler sich mit ihren Kollegen aus vergangenen Jahrhunderten auseinandersetzen sollen. Jeder suchte sich einen Künstler aus.

    Mit Mimmo Paladino ist in der Regel nicht gut Kirschen essen. Der international angesehene italienischen Künstler gilt als Wortführer der Transavaguardisten. Einer Kunstrichtung all'italiana, die die orthodoxen Regeln der abstrakten Kunst mit der Formensprache einer farbenfrohen Sinnlichkeit und einem für die meisten zeitgenössischen Künstler erschreckenden Realitätssinn durchbricht. Paladino mag weder Journalisten noch Ausstellungsmacher, die ihm vorschreiben, was er für eine bestimmte Ausstellung zu schaffen hat. Umso erstaunlicher, dass der Römer jetzt bei einem Ausstellungsprojekt mitmacht:

    Ich habe mir ein kleines Porträtbild von Antonello da Messina ausgesucht. Das Porträt eines Signore um die, ich würde sagen, 35 Jahre. Das kleine Bild zeigt nur das Gesicht. Es handelt sich also um Konzeptkunst ante litteram. Dieses Bild war für mich der Ausgangspunkt um ein neues Kunstwerk zu schaffen.

    Paladino schuf einen Würfel in der exakten Größe des Gemäldes von Da Messina. Der Würfen ist rot. Rot wie die Farbe der Robe, die der Mann auf dem Porträtbild trägt. An dem Würfel hängt ein kleines Bild, ebenfalls von Paladino. Es zeigt einen dreigesichtigen Männerkopf auf einer roten Büste. Dieser Männerkopf erinnert an jene in Mittelalter und Renaissance beliebten Porträtdarstellungen eines Menschen in drei Lebensphasen: Jugend, Lebensblüte und Alter.

    Der Ausgangspunkt eines Bildes in Anlehnung an ein anderes Bild ist immer ein Zeichen. In diesem Fall sind das Gesicht und die Farbe rot. Da Messinas Gesicht ist in seiner absoluten Direktheit fast schon abstrakt. Eine radikale Direktheit, ebenso radikal wie das rot seiner Robe. Das andere Zeichen ist für mich das Format. Das Gemälde da Messina ist klein, nur 30 Mal 40 cm groß.

    Mimmo Paladinos roter Würfel plus Porträtbild steht direkt von dem Gemälde des Renaissancekünstlers. Der Gegensatz fasziniert, erschreckt, regt zur Auseinandersetzung an, provoziert aber auch Ablehnung. Das Ausstellungsprojekt "Incontri", Begegnungen, hat, noch bevor die einzelnen Werke der Öffentlichkeit zugänglich sind, Kritik verursacht. Das Wochenmagazin "Panorama" spricht von "hässlichen Begegnungen, bei denen die neuen Meister den alten gegenüber ganz mies abschneiden, weil sie uns nichts zu sagen haben". Dazu Ausstellungskurator Ludovico Pratesi:

    Der Besucher soll innerhalb der barocken und prachtvoll ausgeschmückten Räume der Galleria Borghese, eines der schönsten Museen der Welt, mit zwei künstlerischen Welten konfrontiert werden. Die alte Kunst und die zeitgenössische Kunst.

    Luigi Ontani ließ sich von dem Bild "Männerkopf mit Turban" von Annibale Carracci inspirieren. Er schuf kein Gemälde, sondern fotografierte sich selbst. Die Ähnlichkeit ist frappant: der gleiche Bart, der gleiche Turban, die gleichgroße fleischige Nase und der gleiche entschiedene Gesichtsaudruck. Für Ontani ein Symbol für die Nähe zwischen früheren und heutigen Künstlern. Beide, so Ontani, verwandeln ihre Realität in Kunst. Francesco Clemente hingegen stellt dem "Männerporträt" von Raffael ein Porträt des italienischen Schriftstellers Aldo Busi gegenüber. Die Malstile könnten gegensätzlicher nicht sein. Doch der Blick der gemalten Männer auf den Betrachter des Bildes drückt das Selbe aus: die neugierige Frage, was die Zukunft bringen wird. Die Offenheit der eigenen Zukunft gegenüber. Ausstellungsmacher Ludovico Pratesi:

    Die Werke der zeitgenössischen Künstler zeigen, dass früher wie heute die Kunstschaffenden immer nur an einem interessiert sind: die Realität darzustellen und zu hinterfragen. Mir geht es also um die Darstellung der Gleichheit in den Intentionen und der Ungleichheit in den Ausdrucksformen.

    Am deutlichsten kommt diese sichtbare Evolution wohl im Werk von Yannis Kounellis zum Ausdruck. Caravaggios Gemälde "David mit dem Kopf Goliaths" stellt der Grieche und Wahlitaliener ein "Ohne Titel" gegenüber: zu sehen ist ein penisförmiger dicker schwarzer Strich, an dessen unterem Ende zwei ebenfalls schwarze Bälle hängen, die an Hoden erinnern. Kounnelis transformierte den Ausdruck jugendlicher Männlichkeit im David von Caravaggio in einen erregierter Penis - Ausdruck unerbittlicher Virilität, die, anders als bei dem Renaissancegenie, nicht mehr ästhetisch sondern nur noch brutal daherkommt. Kounellis präsentiert in der Villa Borghese die künstlerische Evolution als Ent-Ästhetisierung und als pure Beschränkung auf das rudimentär Elementare.

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