Samstag, 20. April 2024

Archiv

Claude Debussy
Gilead Mishory verfällt nicht Schwelgerische

Im 20. Jahrhundert ließ sich Claude Debussy zu 24 Präludien inspirieren. Seine Préludes erschienen in zwei Heften kurz vor dem Ersten Weltkrieg. Sie sind nun auf einer neuen Doppel-CD zu hören, gespielt von dem israelischen Pianisten Gilead Mishory.

Von Michael Kuhlmann | 25.12.2014
    Zwei fliegende Hände auf den Tasten eines Flügels.
    Der Pianist hat die 24 Préludes von Debussy auf einer Doppel-CD neu eingespielt. (imago/Westend61)
    Le vent dans la plaine
    Gilead Mishory spielte das Prélude Le vent dans la plaine aus dem ersten Heft von Claude Debussy. Stücke wie dieses symbolisieren, dass Debussy sich da in der zweiten, der sozusagen impressionistischen Phase seines Schaffens befand. Vorbei war die Zeit der Inspiration von Salons – mit Werken wie den Arabesques oder der Suite bergamasque mit dem bekannten Clair de lune. Der Komponist brach zu neuen Ufern auf: Er hatte sich schon immer interessiert für russische Klänge und für die Musik des nahen und fernen Ostens. Durchaus für das, was man heute "Weltmusik“ nennen würde. Mit Beginn des 20. Jahrhunderts aber begann er überdies, sich von den festen Regeln westlicher Harmonik zu lösen, ging auf Distanz zu strengen Vorschriften über die Form und verließ stellenweise sogar das Dur-Moll-Schema. Eine Art musikalischer Befreiung – um Empfindungen in Klängen noch besser, treffender ausdrücken zu können. In den 24 Préludes schlug sich der Trend mal mehr, mal weniger nieder. Relativ konventionell gestaltet war ein weiteres Landschaftsbild, von den sonnenüberfluteten Hügeln Italiens: Les Collines d'Anacapri.
    Les collines d'Anacapri
    Mit seiner neuen Doppel-CD reiht sich der Pianist Gilead Mishory ein unter die vielen, die diesen Préludes-Zyklus bereits aufgenommen haben: Von Claude Debussy selbst gibt es eine Anzahl Rollen für das Welte-Reproduktionsklavier: Rhythmisch energischer, als man das vielleicht denken mag, und in manchem Detail überraschend flexibel – man könnte auch sagen wohlwollend nachlässig. Der französische Pianist Alfred Cortot spielte die Préludes dann 1930 und 1949 in einem verwandten Stil: manchmal beinahe swingend. Deutlich anders klang es etwa in den neunziger Jahren bei Krystian Zimerman. Gilead Mishory nun nimmt besonders durch seinen Anschlag für sich ein. Er nutzt die volle dynamische Spanne, die das heutige Klavier zu bieten hat – ohne aber zu überzeichnen. Mishory hat das Instrument wunderbar unter Kontrolle. Pianissimo-Passagen und Arpeggien geraten mitunter nur hingehaucht. Und doch bleibt die Spannung immer erhalten. Wie in dem Prelude Voiles – Schleier.
    Voiles
    Ein viel zitierter Satz Claude Debussys lautete: "Lasst uns vergessen, dass das Klavier Hämmer hat"Gilead Mishory hat diese Botschaft in seiner Préludes-Interpretation an vielen Punkten eingefangen. Doch er gerät nie in die Gefahr, etwa eine zu verträumte oder gar süßliche Musik abzuliefern. In der Dynamik hält er sich bis in Details an Debussys Notentext; und das bedeutet, dass eine Piano-Passage auch schon mal durch ein entschiedenes Sforzando aufgebrochen wird. Der Flügel, der bei dieser Aufnahme im Studio stand, reagiert auf härteren Anschlag nicht spitz, sondern mit plastischen, immer noch vollen Klangfarben: Die Intonation und der Obertongehalt sind gelungen abgestimmt. Zur Qualität der Aufnahme beigetragen hat schließlich die gute Akustik des Saales. Wie in diesem nächtlichen Märchenbild aus dem zweiten Heft der Préludes: Ondine.
    Ondine
    Gilead Mishory mit Claude Debussys Prélude Ondine. Mishory, Jahrgang 1960, ist selbst Komponist; unter anderem schreibt er Opern und Klaviermusik. Er ist in Jerusalem geboren, lebt aber seit 30 Jahren in Deutschland und lehrt seit 2000 als Professor an der Freiburger Musikhochschule. Bei seinem Debussy-Interpretationsansatz legt Gilead Mishory besonderen Wert darauf, nicht ins Schwelgerische zu verfallen: Denn er sagt, die Notierungen und Spielanweisungen in den Préludes seien genauso präzise wie in Beethovens Klaviersonaten. Mishory kommt es darauf an, die grundsätzliche Struktur eines Stückes zu zeigen – und ebenso auf rhythmische Genauigkeit. Das geht über weite Strecken auf. Vielleicht mit kleinen Abstrichen bei Minstrels, einem Prélude, zu dem Debussy von den ersten Auftritten afroamerikanischer Unterhaltungskünstler in Paris inspiriert wurde: Dort ist der zupackende Ansatz aus der vorhin erwähnten 1930er Aufnahme von Alfred Cortot mit seinem strengeren Rhythmus womöglich doch etwas schlüssiger. Aber wie Gilead Mishory an anderer Stelle vorgeht, lohnt das genaue Hinhören: zum Beispiel in Les tierces alternées, dem Spiel mit "Alternierenden Terzen“, übermütig und frei von hergebrachter Funktionsharmonik. Hier betont Mishory die erste Terz eines Viererblocks genauso, wie Debussy es gewünscht hat: "doucement timbrées". So tut das nicht jeder Pianist.
    Les tièrces alternées
    Mit diesem Prélude Les tierces alternées lieferte Claude Debussy 1912 bereits Ausblicke auf sein eher abstraktes Spätwerk. Ein Werk, für das ihm leider nur wenig Zeit blieb, denn 1918 verstarb er mit gerade einmal 56 Jahren. Eine Neueinspielung seiner Preludes mit dem Pianisten Gilean Mishory stand heute im Mittelpunkt unserer Neuen Platte. Erschienen ist sie beim Label Neos in Kooperation mit dem SWR. Eine Aufnahme, die viele Details der Debussyschen Kompositionen prägnant und doch unaufdringlich hörbar macht. Sehr zu empfehlen, findet Michael Kuhlmann, der Ihnen noch einen schönen Ersten Weihnachtstag wünscht.
    Claude Debussy:
    Préludes – Gilead Mishory, Klavier
    Neos 21303-04 (LC 15673)