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Claude Debussy: Jeux, La Mer, Nocturnes

Drei Orchesterwerke von Claude Debussy sollen heute im Mittelpunkt unserer Sendung "Die Neue Platte" stehen: die gut 100 Jahre alten "Nocturnes", dann die dreiteilige Orchesterskizze "La Mer" von 1905 und schließlich die Ballettmusik "Jeux" von 1913 - alle drei zu finden auf einer neuen CD der Firma RCA. Am Mikrofon begrüßt Sie dazu Ludwig Rink.

Ludwig Rink |
    Ursprünglich geplant waren die Nocturnes als eine Art dreiteiliges Violinkonzert besonderer Art: im ersten Satz sollten nur die Streicher den Solisten begleiten, im zweiten drei Flöten, vier Hörner, drei Trompeten und zwei Harfen und im dritten dann alle Instrumente. Debussy ging es um den Versuch, diesen verschiedenen Kombinationen einer einzigen Farbe möglichst viele Aspekte abzugewinnen: er verglich das mit einer Mal-Studie in Grau. Doch Debussy verwirft diese Violinfassung, und so nehmen zwischen 1897 und 1899 die "Nocturnes" ihre neue Gestalt an: gegliedert in den ersten Satz "Nuages - Wolken", den zweiten Satz "Fêtes - Feste" und den dritten Satz "Sirènes", womit in der Tat verführerische Sirenen gemeint sind, deren lockender Gesang durch einen ins Orchester integrierten Chor ohne Worte realisiert wird. Also kein Violinkonzert, auch - trotz der Titel - keine programmatische Musik, die einen Vorgang schildert, sondern eher traumhafte Visionen, nicht bemüht, die wirkliche Welt einzufangen, sondern durch den Klang ein Erlebnis im Kopf des Hörers zu erwecken: sei es Natur, ein Fest in magischem Licht oder die Ahnung eines seit der Antike bedrohlich-verführerischen Gesangs. In der Musikgeschichte markieren diese "Nocturnes" einen wichtigen Punkt: sie sind, wie Heinrich Strobel es formulierte, "der Triumph der Nuance in der Musik. Ein Jahrhundert handelte sie von großen Leidenschaften, ein Jahrhundert lang malte sie mit leuchtenden Ölfarben,...nun wählt sie die zartesten Farben, nun erzählt sie nicht mehr vom Menschen, sondern von der Natur, vom Traum, von einer unwirklichen Welt." Vorbei das Ringen mit sinfonischen Gestaltungsprinzipien, das Austragen von thematischen Konflikten. In unkonventioneller Instrumentation setzt Debussy Sensibilität an die Stelle von Pathos, gleitendes Nebeneinander anstelle von dramatischer Entwicklung, in sich ruhende Klänge anstelle auflösungsbedürftiger harmonischer Spannungen. Die ursprüngliche Idee mit der Studie in Grautönen hat sich in anderem Sinne dabei am ehesten im ersten Stück der Nocturnes erhalten, in "Nuages": das ist der Anblick des unbeweglichen Himmels, über den langsam und melancholisch die Wolken ziehen und in einem grau ersterben, in das sich zarte weiße Töne mischen... * Musikbeispiel: Claude Debussy - aus: Nocturnes, Nuages Nach diesen "Nocturnes" erwartete Paris von Claude Debussy so etwas wie eine erste große Sinfonie. Doch die war für ihn als Form erledigt. "Es scheint mir", schreibt er, "daß seit Beethoven der Beweis für die Sinnlosigkeit der Sinfonie erbracht wurde. Bei Schumann und bei Mendelssohn ist sie nur mehr die respektvolle Wiederholung der gleichen Formen mit schwächeren Kräften. Dennoch war - Beethovens - Neunte ein genialer Hinweis, sie kündet den herrlichen Wunsch, die gewohnten Formen zu weiten und zu befreien...Die Lehre Beethovens lautet also nicht, die alten Formen zu bewahren...Man muß durch die offenen Fenster auf den freien Himmel schauen..."

    Debussy geht den einmal eingeschlagenen Weg konsequent weiter: Ein Werk für großes Orchester ja, aber um Gottes Willen keine Sinfonie. Und auch einem seiner Lieblingsthemen bleibt er treu, dem Meer, das schon in der erfolgreichen Oper Pelléas et Melisande auftauchte und bei den Sirenen in den Nocturnes eine wichtige Rolle spielte. Für die See hat er eine aufrichtige Leidenschaft bewahrt, sie ist reizbar wie er selbst. Heute sonnenüberglänzt, lächelnd, strahlend, morgen wild, ungestüm, bösartig, dann wieder grau, apathisch und traurig. So entstehen die drei sinfonischen Skizzen "La Mer" als eine Art Gegenentwurf zur klassisch-romantischen Sinfonie, von monumentaler Kraft, aber ohne die Durchführungs- und Steigerungstechnik der herkömmlichen Sinfonik. Dennoch vermag diese Musik den Hörer einzufangen mit ihrem Raffinement, ihren reichen und seltenen Harmonien, ihrem Überfluß an unerhörten Rhythmen, ihrer Stimmenvielfalt und ihren völlig natürlich wirkenden, dennoch äußerst kunstvoll hergestellten inneren Zusammenhängen. Mit "Spiel der Wellen" ist der zweite Satz überschrieben. Hier ist er in der Neuaufnahme der Wiener Philharmoniker unter der Leitung von Lorin Maazel. * Musikbeispiel: Claude Debussy - aus: La Mer, Jeux des vagues Solche neue Musik wie "La Mer" brauchte auch einen neuen Dirigententyp. Die Uraufführung 1905 unter Camille Chevillard geriet zu derb, stand noch zu sehr in der Tradition temperamentvoller, romantischer Auslegung, brachte eigenen Ausdruck, Kontraste und Gefühlsergüsse ein, die in der Komposition selbst eigentlich bekämpft wurden. Solches ist bei dem 1930 in Paris geborenen Amerikaner Lorin Maazel nicht zu verzeichnen. Seine Einspielungen der Werke Maurice Ravels waren mustergültig, und auch hier bei Debussy beweist er mit differenziertem Orchesterklang, weit gefächerter Dynamik und solidem Durchhören der unkonventionellen Instrumentation hohe Kompetenz. Die Aufnahmetechnik sorgte für einen wunderbaren, fast kinobreiten Panoramaklang, so daß vom winzigsten Pianissimo bis zum größten Forte alles genau zu orten ist. Besonders gilt dies auch für die Ballettmusik "Jeux" von 1913, jene modernisierte Version der mythologischen Geschichte von Faun und Nymphen, die hier durch einen zeitgenössischen Mann und zwei Begleiterinnen in Tenniskleidung dargestellt werden, die nach Liebe und einem verlorenen Ball suchen. Trotz des banalen Inhalts entstand eine äußerst vielfältige, delikate Musik, voller Grazie und Eleganz, von merkwürdiger rhythmischer Erregtheit, ironisch, zärtlich, leidenschaftlich, froh und verzweifelt. * Musikbeispiel: Claude Debussy - aus: Jeux Die neue Platte - heute mit Orchestermusik von Claude Debussy, gespielt von den Wiener Philharmonikern unter der Leitung von Lorin Maazel. Zuletzt hörten Sie einen Ausschnitt aus der Ballettmusik "Jeux". Einen schönen Sonntag wünscht Ihnen Ludwig Rink.