Und dabei greift Claus Kleber tief ins Schatzkästlein seiner Begegnungen und politischen Hintergrundgespräche. Zunächst aber bemüht er die Demoskopen. Die nämlich haben festgestellt: Bush stützt sich auf die religiöse Mitte seines Landes. Eine gute Ausgangsbasis, da 80 Prozent der Amerikaner bekennen, an Gott zu glauben, und mehr als 60 Prozent sogar erklären, dass Religion in ihrem Leben eine wichtige Rolle spielt - vier Mal so viel wie in Deutschland. Kleber schreibt dazu:
" Diese Zahlen zeigen so deutlich wie die Messgeräte texanischer Ölprospektoren, wo Schätze zu holen sind: Durch das kulturelle Fundament Amerikas zieht sich eine Goldmine, eine Art soziales Edelmetall, das auf die Säuren und Laugen täglicher Nachrichten und Sachdebatten nicht reagiert. Seine Lagerstätten sind am stärksten dort, wo religiöse Werte tief verwurzelt sind."
Bush junior hob das Gold in den Herzen. Der bekennende Evangelikale fand nach Alkoholexzessen und Misserfolgen erst spät auf den rechten Pfad zurück. Mit seiner tief empfundenen Religiosität spricht er die "neue moralische Mehrheit" an. Und die besteht keinesfalls nur aus ungebildeten, rechten Eiferern, wie Kleber betont.
" Diese Mitte ist viel religiöser, viel konservativer, als wir uns das von Amerika vorgestellt haben. Amerika war für uns ja immer ein Land der Moderne, und säkular, postreligiös zu sein, ist Teil der Moderne - nicht in Amerika. Amerikaner sind der Ansicht, dass man sehr wohl Hightech und moderne Formen von Business finance verbinden kann mit ganz altmodischen und fraglosen Wertordnungen, und daher kommt Bush."
Claus Kleber veranschaulicht meisterhaft, warum Bush in der charakterlichen Beurteilung vieler Landsleute besser abschnitt als Clinton.
" In einem Land, in dem noch jeder Präsident seinen Soldaten Befehle auf Leben und Tod geben musste, haben Versprechen und Ehrenworte ein Gewicht, das wir Deutschen uns in unserem Politikbetrieb nicht vorstellen können. Und der unverbrauchte Bush galt den Amerikanern damals als eine ehrliche Haut.
Das ist seine ganz große Stärke. Gegenüber Al Gore, gegenüber John Kerry war er der Mann, dem man abnahm, dass er ist, wie er ist, und dass er denkt, wie er redet. Er war authentisch, die Leute glaubten ihm das, und das war seine ganz große Stärke, nachdem die Menschen vor allem in der Clinton-Zeit das Gefühl hatten, dass sie es mit einer doppelzüngigen Politik zu tun hatten. "
Bill Clinton als Wegbereiter seines Nachfolgers - das ist schwer zu verkraften in Europa, wo Clinton nach wie vor vielfach als liberaler Internationalist geschätzt wird. Dennoch liest es sich schlüssig, wie überhaupt das ganze Buch. Stilistisch hervorragend geschrieben, präzise in der Beobachtung, zielt es auf ein breites Publikum, das noch nicht allzu tief in Geschichte der USA eingestiegen und bereit ist, die derzeit chicen anti-amerikanischen Vorurteile noch einmal zu überdenken. Sein Bush-Klischee, beispielsweise. Als breitbeinigen, großspurigen Cowboy mit beschränkter Weltsicht sehen ihn viele Europäer, und auch Kleber gibt zu, ihn lange nicht ernst genommen zu haben.
" Mein Bush-Bild entspricht dem auch. Er ist ein Mann, der mit beiden Beinen und mit Cowboy-Stiefeln in den Werten von Texas steht. Und man begegnet auf Schritt und Tritt solchen Menschen dort, die glauben, dass die Zeit gekommen ist, wo man sich auf diese alten Werte wieder besinnt, und dazu gehört America first, und dazu gehört vor allem die Überzeugung, dass Amerika eigentlich die Antworten auf die Lebensfragen der Völker gefunden hat. Und als Weltmacht nur dann in Frieden leben kann, wenn überall auf der Welt dieser Werte auch Platz greifen."
Der Glaube an die Überlegenheit von Demokratie und Marktwirtschaft - er wird nach dem 11. September zur Politik, erst in Afghanistan, dann im Irak. Kleber dröselt die Querverbindungen im Netzwerk der konservativen Strategen auf, das die neue, aggressive Außenpolitik skizziert hat.
" Der Präsident, der ohne außenpolitisches Konzept ins Land gekommen war, sieht seither einen Weg vor sich: Er führt über ein demokratisches Bagdad zu einem befriedeten Jerusalem. Das ist mehr als ein politisches Ziel, es ist eine, SEINE historische Mission. Damit wurde aus dem Feldzug ein Kreuzzug."
Oder auch: ein "preemptive strike", ein vorbeugender Krieg. Dagegen regte sich - anders als in Europa - in den USA nur verhaltener Widerstand. Kleber versucht Verständnis zu wecken für die Sondersituation der Amerikaner unter dem Schock des 11. September. Sein sonst so nüchterner, ja teils ironischer Stil gleitet hier ab ins Pathetische. Der 11. September als Schock, aber auch als Rechtfertigung für den Krieg gegen den Terror - beides wird hier plastisch. Die zweite Hälfte des Buches umfasst denn auch Reportagen aus Afghanistan und dem Irak. Stilistisch bleibt der Text so geschliffen wie zuvor, Klebers Beobachtungen sind treffsicher; und doch beginnt hier der schwächere Teil des Buches. Denn da ist ein Bruch. Im ersten Teil bezieht Kleber deutlich Stellung, äußert seine Meinung. Er hat die Früchte aus Beobachtungen und Gesprächen in den USA zu Analysen gebündelt; im zweiten Teil zieht er sich größtenteils auf die reine Reportage zurück. Das liegt nahe, bereitet er doch für diesen Teil des Buches lediglich noch einmal drei Afghanistan-Reportagen auf, die das ZDF im vergangenen August ausgestrahlt hat. Ähnlich verfährt Kleber im Kapitel über den Irak, wo er sich im Wesentlichen auf Eindrücke der ZDF-Reporterin Natalia Cieslik verlassen muss. Die durchaus spannende Lektüre bleibt dadurch impressionistisch; weit mehr als im ersten Teil überlässt es Kleber dem Leser, sich ein Urteil zu bilden über die Perspektiven der beiden Länder. Das mag journalistisch redlich sein; unbefriedigend ist es trotzdem.
Amerika, das bleibt als Resümee und Ausblick, will seine Interessensphären sichern. In mehr als 120 Ländern sind amerikanische Spezialeinheiten heute im Einsatz. Doch Omnipräsenz, glaubt Kleber, garantiere kein Verständnis für die Welt. Große Mächte machten große Fehler - so auch George W. Bush.
" Der größte Fehler war ganz sicher der Irak-Krieg zu dieser Zeit und mit diesen Mitteln. Er hat keine eigene Erfahrung in seiner Biographie im Umgang mit anderen Kulturen. Er wusste nicht, was es bedeutet, wenn man einem deutschen Bundeskanzler sagt: Ich will, dass Saddam Hussein von seinen Waffen getrennt wird, indem er aufgibt oder indem wir ihn vertreiben. Und wer mir da im Weg steht, auf den nehme ich keine Rücksicht. So macht man keine Politik, nicht heute. Und da hat er eine Menge Fehler gemacht, nicht nur in der Substanz, sondern auch im Stil."
Bleibt zu hoffen, dass Klebers Prognose zutrifft: dass zweite Amtszeiten meist weniger radikal verlaufen als die ersten. Und dass Bush sich in seiner zweiten Amtszeit um sein Bild in der Geschichte sorgen wird. Denn in die will er vermutlich nicht als Spalter der Nation und ihrer Verbündeten eingehen, sondern als Versöhner.
Claus Kleber: Amerikas Kreuzzüge. Was die Weltmacht treibt.
Verlag C. Bertelsmann, 288 Seiten und kostet 19 Euro 90.