Mackenroth betonte, nach jetzigem Kenntnisstand verwahre er sich noch gegen den Vorwurf, dass die Polizei ihren Job in Clausnitz nicht gut gemacht habe. Fragen müsse man dennoch: Habe die Polizei angemessen reagiert? Sei sie gut vorbereitet und ausreichend vertreten gewesen? Ebenso müsse man das Verhalten der Flüchtlinge im Bus hinterfragen und dabei berücksichtigen, dass sie in einer hochemotionalen Lage gewesen seien. Die Provokation sei letztlich von denen ausgegangen, die vor dem Bus gebrüllt und, so wörtlich, mit "zivilisatorischen Defiziten" agiert hätten.
Grundsätzlich hätte man in Clausnitz schon vorher "ordentlich" kommunizieren müssen, sagte Mackenroth. Er nannte als Beispiele den Bürgermeister, das Landratsamt, Ausländerbehörde, Heimbetreiber und Polizei. Man sei nicht professionell genug gewesen. Man hätte besser planen müssen, wie man die Menschen denn im Empfang nehmen könne.
Grundsätzlich fehlten wissenschaftliche Daten über eine Fremdenfeindlichkeit der Menschen in Sachsen. Hier brauche man Rezepte und Lösungen, damit sich solche "schrecklichen und widerwärtigen" Vorfälle wie in Clausnitz und Bautzen nicht wiederholten.
Das Interview in voller Länge:
Jasper Barenberg: Wieder Sachsen, denken jetzt wahrscheinlich viele. Zuerst die Bilder aus dem Örtchen Clausnitz nahe der tschechischen Grenze, Bilder von einem wütenden Mob, der verängstigte Flüchtlinge in einem Bus auf dem Weg in ihre Unterkunft bedrängt und einschüchtert. Und dann die Gaffer in Bautzen, die jubeln, dass in einer Unterkunft dort Feuer ausbricht. Danach muss sich die Polizei auch Vorwürfe anhören, weil sie in Clausnitz einige der Flüchtlinge recht hart angefasst hat. Doch der Innenminister verteidigt den Einsatz.
Am Telefon ist der CDU-Politiker Geert Mackenroth, Ausländerbeauftragter von Sachsen. Schönen guten Morgen.
"Das muss schon für die Flüchtlinge einfach ganz fürchterlich gewesen sein"
Geert Mackenroth: Guten Morgen, Herr Barenberg.
Barenberg: Wie beurteilen Sie das eigentlich, die Signalwirkung, die davon ausgeht? Es gibt einen Mob, der Flüchtlinge bedrängt und verängstigt, und dann gibt es einen Polizeipräsidenten und einen Innenminister, die sagen, jetzt wird gegen einige dieser Flüchtlinge ermittelt.
Mackenroth: Das ist jedenfalls zuerst mal ein gewisses gefühltes Auseinanderfallen von Wahrnehmung und Wirklichkeit. Ich bin aber im Sachverhalt nicht so drin, dass ich mir eine abschließende Beurteilung zutrauen würde. Ich finde es richtig, dass die Innenausschüsse der Parlamente in Berlin und Dresden sich damit beschäftigen wollen. Ich sehe da auch Aufklärungsbedarf. Wir müssen uns viele Dinge fragen: War die Polizei ausreichend mit Kräften vorhanden? War sie gut vorbereitet? Hat sie angemessen reagiert? Aber wir müssen uns auch fragen, was ist in dem Bus passiert, und das ist natürlich der eigentliche Kern, wenn man sich vorstellt, 25 Leute über Monate vielleicht unter harten Entbehrungen sind sie irgendwo in Sachsen im Erstaufnahmelager angekommen, sollen dann da hingebracht werden, wo man ihnen Sicherheit, Ruhe, Gelegenheit zur Besinnung verspricht, und dann ein solcher "Empfang". Das muss schon für die Leute einfach ganz fürchterlich gewesen sein.
Barenberg: Für Sie steht fest, dass es doch einige ernste Fragen auch an die Adresse der Polizei gibt und dass vielleicht die Kernaussage des Polizeipräsidenten und dann in der Folge auch des Innenministers, das sei alles verhältnismäßig gewesen und soweit in Ordnung, dass man da doch noch mal ein Fragezeichen machen sollte.
Mackenroth: Es ist das gute Recht und auch die Pflicht der Parlamentarier, derartige Vorgänge zu hinterfragen. Da lasse ich überhaupt nicht dran rühren. Und auch ich würde, wenn ich im Innenausschuss säße, mir Fragen überlegen und ich würde mir Fragen stellen, übrigens auch natürlich nach dem Verhalten derjenigen, die im Bus gesessen haben, obwohl ich selbstverständlich deren besondere, hoch emotionale Situation berücksichtigen würde.
"Die Provokation ging von denjenigen aus, die gebrüllt haben, die sich davorgestellt haben"
Barenberg: Was kann man diesen Menschen denn vorwerfen? Der Vorwurf der Provokation steht im Raum. Muss man nicht eigentlich sagen, dass das im besten Fall eine Reaktion war, nachdem sie zwei Stunden lang dort belagert in dem Bus gesessen haben. Vielleicht eine unangemessene, vielleicht eine falsche Reaktion, aber jedenfalls keine Provokation?
Mackenroth: Ich sehe das genauso. Ich glaube auch, dass wir berücksichtigen müssen, was wir diesen Menschen denn tatsächlich für einen "Empfang" bereitet haben. Wir waren nicht professionell genug. Am nächsten Tag, am übernächsten Tag waren sie alle da in Clausnitz. Ich hätte mir gewünscht, dass schon am Donnerstagabend da die ersten Gruppen aufgetaucht wären, dass Bürgermeister, Landratsamt, Polizei, Ausländerbehörde, Heimbetreiber und Ähnliche alle vorher ordentlich miteinander kommuniziert hätten, sich überlegt hätten, wie empfangen wir die Leute, was tun wir sozusagen, um abzusichern oder Ähnliches. Ich glaube, dass es nicht richtig ist, nun von vornherein von Provokation zu sprechen. Im Gegenteil: Die Provokation ging von denjenigen aus, die gebrüllt haben, die sich davorgestellt haben, die mit hohen zivilisatorischen Defiziten agiert und die Leute alles andere als willkommen geheißen haben. Und Aufgabe der Polizei ist es, die Flüchtlinge sauber zu schützen, und das gilt auch für die Zeit nach zwei Stunden.
Barenberg: Können Sie sich eigentlich erklären, warum es der Polizei nicht gelungen ist, insofern ihren Job zu machen, als es tatsächlich ja ihre Aufgabe ist, die Flüchtlinge zu schützen und auch eben vor so einem Mob?
Mackenroth: Ich kann wie gesagt den Sachverhalt nicht abschließend beurteilen. Ich weiß nicht, wie die Lagebeurteilung vorher gewesen ist. Ich weiß nicht, welche Informationen da gewesen sind, und ich weiß nicht, mit wieviel Kräften, mit wieviel Unterstützungskräften von der Bundespolizei, mit wieviel zusätzlichen Kräften die Polizei vor Ort gewesen ist. All das ist Sache einer sorgfältigen Aufarbeitung, die in den Parlamentarischen Ausschüssen geschehen muss. Ich würde mich jedenfalls jetzt noch gegen den Vorwurf verwehren, dass unsere Polizei ihren Job nicht gut gemacht hat. Die sind natürlich auch nicht glücklich mit so einer Situation, das muss man ja sehen.
Barenberg: Der Ministerpräsident von Sachsen, Stanislaw Tillich, hat sich doch einige Zeit genommen, bevor er sich zu Wort gemeldet hat zu diesen Vorfällen. Zwei Tage, finden Sie das angemessen?
Mackenroth: Ich halte es grundsätzlich für richtig, wenn sich die verantwortlichen Politiker auf einen Mindestsachverhalt stützen, bevor sie sich äußern. Auch da weiß ich nicht, welche Informationen wann in der Staatskanzlei vorgelegen haben. Aber nun sofort Schnellschüsse zu verlangen, das geht mir eigentlich zu weit. Besonnenheit und Klarheit und vor allen Dingen Wahrheitsgehalt in den Aussagen, das ist mir natürlich nachher wichtiger.
"Wissenschaftliche Daten fehlen, und das würde ich eigentlich von Sachsen auch gerne verlangen"
Barenberg: Viele fragen sich ja jetzt ganz unabhängig von diesem Vorfall, von diesem einzelnen, weil er sich in eine Kette von Vorfällen in Sachsen fügt: Was ist eigentlich in Sachsen los? Einmal mehr diskutieren wir die Frage, ob irgendwie Sachsen ein Sonderfall ist.
Mackenroth: Das wird ja immer wieder behauptet, Sachsen sei ein Sonderfall. Nach meiner Kenntnis gibt es fremdenfeindliche Übergriffe in allen Bundesländern. Natürlich sind sie in Sachsen, da beißt die Statistik keinen Faden ab, statistisch gesehen am höchsten, und deswegen haben wir auch eine besondere Verantwortung, uns mit diesem gesamtgesellschaftlichen Problem zu beschäftigen. Und dass wir verpflichtet sind, dieses Problem aufzuarbeiten, ergibt sich auch daraus, dass das natürlich ein großer Standortfaktor ist, ein wichtiger Standortfaktor. Über die Ursachen lässt sich viel spekulieren. Man sagt, dass hier wegen des geringen Ausländeranteils die gefühlte Bedrohung, die Angst vor Fremdem besonders hoch ist, dass die Bevölkerung vor 25 Jahren gerade mit großen Mühen einen Umsturz bewältigt hat, dass wir so ein bisschen was wie eine Systemkrise, eine politische Systemkrise haben, EU, Griechenland, Maastricht und Ähnliches, und Sachsen-spezifisch ist natürlich das Verhältnis zur Zentralgewalt auch historisch immer ein bisschen kritisch gewesen. Das ist so ein Ursachenbündel. Aber Tatsache ist, dass uns wissenschaftliche Daten fehlen, und das würde ich eigentlich von Sachsen auch gerne verlangen, dass wir aus unserer besonderen Verantwortung heraus uns mal wissenschaftlich dem Thema nähern und fragen, woran liegt das eigentlich, und vor allen Dingen, was können wir nachher machen, wie können wir mit den Leuten umgehen, die eigentlich nicht dialogbereit sind, die die Systemfrage stellen, die dumpf und gewaltig agieren.
"Wir müssen sehen, dass wir uns in allen Bereichen professionalisieren"
Barenberg: Herr Mackenroth, manche sagen ja, es fehlt schlicht an politischer Führung, es fehlt an Klarheit in den Reaktionen der Landesregierung und auch an der Haltung.
Mackenroth: Ich halte diesen Vorwurf in seiner Absolutheit nicht für richtig. Richtig ist, dass wir durch die Flüchtlingskrise, aber auch durch andere Entwicklungen in unserem Land vor gewaltigen neuen Herausforderungen stehen. Wir brauchen zur Bewältigung dafür einen starken Staat. Wir müssen die Polizeipräsenz und Ähnliches, die Personalstärken deutlich hinterfragen. Aber wir brauchen auch einen intelligenten Staat. Wir müssen sehen, dass wir uns in allen Bereichen professionalisieren, und dazu müssen wir die gesamte Gesellschaft einbeziehen, und dafür in der Tat bedarf es dann ein paar Visionen, ein paar Leitlinien, die wir einziehen müssen, um zu gucken, wie wir diese Herausforderung tatsächlich dann annehmen.
Barenberg: Aber wenn Sie jetzt selber sagen, Herr Mackenroth, na ja, ausländerfeindliche Übergriffe gibt es überall, beginnt nicht die Nachlässigkeit genau da, dass man gar nicht zur Kenntnis nimmt, dass es doch eine beängstigende Häufung gibt und man deswegen besonders sich darum kümmern muss?
Mackenroth: Ich bestreite das nicht. Die Statistik lügt nicht und die Statistik sagt, in Sachsen sind die fremdenfeindlichen Angriffe am häufigsten. Deswegen noch mal mein Petitum: Wir haben daraus eine besondere Verantwortung herzuleiten, dass wir uns mit diesem Problem federführend beschäftigen und dass wir es professionell angehen, dass wir Rezepte finden, dass wir Lösungen finden. Das ist Aufgabe von Politik, nicht die Nabelschau, sondern tatsächlich gucken, was machen wir besser, damit sich solche schrecklichen und widerwärtigen Vorfälle wie in Clausnitz und Bautzen nicht wiederholen.
Barenberg: Der Ausländerbeauftragte von Sachsen hier live im Deutschlandfunk im Gespräch, Geert Mackenroth. Vielen Dank!
Mackenroth: Ich danke Ihnen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.