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Clavichord-Bauer Martin Kather
Leise Rarität mit Tasten und Saiten

Es ist mehr als 700 Jahre alt, hat Saiten und Tasten und ist sehr, sehr leise: das Clavichord. Bei Instrumentenbauer und Restaurator Martin Kather verlassen jedes Jahr zwei neue Clavichorde die Werkstatt, das Interesse an dem seltenen Instrument und an Alter Musik ist weiter hoch.

Von Simon Schomäcker | 05.04.2019
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Clavichord-Bauer Manfred Kather in seiner Werkstatt (Simon Schomäcker)
Barockmusik erklingt, als Instrumentenbauer Martin Kather erklärt:
"Das Wort selber besteht aus zwei Teilen: Clavi, was Tasten bedeutet und Chord sind die Saiten. Es ist das erste Tasteninstrument, das mit Saiten versehen wurde. Hackbretter wurden mit zwei Löffeln geschlagen und Psalterien mit zwei Federkielen gezupft. Es ist so, dass man mit zehn Fingern mehr Möglichkeiten hat als mit zwei Löffeln oder zwei Federn".
Im 12. und 13. Jahrhundert entstand das Clavichord. In der Werkstatt neben seinem Haus in Hamburg-Sasel reist Martin Kather fast täglich zurück in diese Zeit. Denn seit mehr als zehn Jahren baut und restauriert er Clavichorde.
Eine Reise in die Musikgeschichte
Die kastenförmigen Instrumente sind meist anderthalb Meter breit, 50 Zentimeter tief und etwa 20 Zentimeter hoch. An der langen Seite sitzt die Klaviatur, deren Funktion sich nie geändert hat, erklärt Kather:
"An den Tasten sitzt ein Metallstab. Das heißt heute die Tangente. Und diese Tangente, dieser Stab schlägt die Saite an und teilt sie gleichzeitig ab. Das heißt, er bestimmt die Tonhöhe und erzeugt den Klang. Das ist das Besondere beim Clavichord".
Besonders ist auch, dass es zwei verschiedene Bautypen des Clavichords gibt:
"Es gibt das sogenannte gebundene Clavichord. Das heißt, eine Saite dient für mehrere Töne, wie bei der Gitarre durch die Bünde. Dann gibt es die bundfreie Version, auf der jeder Ton und jede Taste ein eigenes Saitenpaar hat, damit man auch alle Töne gleichzeitig spielen kann".
In Martin Kathers gut 40 Quadratmeter großer Werkstatt fällt zuerst eine mächtige Holzwerkbank auf – und schließlich ein altes Instrument, das gegenüber steht. Dieses Clavichord soll restauriert werden. Dafür prüft Kather zunächst die Farbschichten:
"Das Weiße und dieses vorgetäuschte Holz, die sind beide nicht original. Und ob sich darunter noch etwas findet, was schön ist oder was man erhalten könnte, das wird sich zeigen. Sollte das nicht der Fall sein, bekommt das Instrument einen Anstrich in der alten Technik: Dass man Knochenleime, Hautleime, Fischleime, Bienenwachse, Baumharze und Propolislacke dann verwendet".
Interesse an Alter Musik hilft dem Clavichord
Zum Clavichord kam Martin Kather, der 1963 in Bielefeld geboren wurde, Ende der 80er Jahre. Zu dieser Zeit ging er bei dem belgischen Cembalobauer Jean Tournée in die Lehre. Der Meister hatte gerade begonnen, mehr Clavichorde zu bauen. Denn Cembalistinnen und Cembalisten aus der ganzen Welt interessierten sich verstärkt für die Alte Musik - und wollten diese auf Original-instrumenten wie dem Clavichord spielen.
"Alle diese Musiker gingen in Jean Tournées Werkstatt ein und aus, haben dort Konzerte gegeben, wir haben in der Werkstatt zusammen Mittag gegessen. Und das ist als junger Mensch natürlich eine große Gelegenheit, diese Leute kennenzulernen – die dann später, wenn man sich selbstständig macht, enorm wichtig sind, weil man dann darauf zurückgreifen kann".
Die Begegnungen im Lehrbetrieb waren für Martin Kather ein Anreiz, sich komplett dem Clavichordbau zu widmen. Heute zeigt sich: Es war die richtige Entscheidung. Neben vielen Restaurationen baut Martin Kather auch zwei Clavichorde pro Jahr neu. 23.000 Euro kostet ein Instrument. Die Baumaterialien sucht Kather sorgfältig aus.
"Man benutzt dabei immer die Hölzer die vor Ort wachsen. Das heißt, wenn man ein italienisches Instrument baut, benutzt man Zypresse, Kastanie und Pappel. In Frankreich gibt es viele Hölzer aus Nussbaum. Und in Deutschland wurde sehr gerne abgeguckt, was die Nachbarn machen. Also hier gibt es sämtliche Holztypen".
Martin Kather fertigt sämtliche Bauteile seiner Clavichorde selbst. Er wickelt sogar die Saiten aus Messingdraht auf einer speziellen Drehmaschine. Die spiralförmige Umwicklung sorgt für einen tieferen Ton.
"So wie ich die Saiten haben möchte, kann man sie nicht kaufen. Bei der Gitarre, bei der Geige wird dicht gewickelt. Eine eng umsponnene Saite klingt dumpfer, braucht mehr Energie. Und da das Clavichord so wenig Energie in die Saite gibt, ist eine offene Umspinnung deutlich vorteilhafter für den Klang als eine enge Umspinnung".
Leises Beben im Geräuschebrei
Wenig Energie bedeutet, dass ein Clavichord sehr leise klingt. Cembalo und Klavier sind dank Zupf- bzw. Anschlagsmechanik zwar lauter. Typische Clavichord-Effekte können sie aber nicht hervorbringen. Zum Beispiel die sogenannte Bebung, die durch schnelles Hin- und Herbewegen einer Taste entsteht – und ein wenig an ein Geigen-Vibrato erinnert, erklärt der Instrumentenbauer:
"Das Vibrato ist allein eine Tonhöhenschwankung – und beim Clavichord gibt es auch Lautstärkeschwankungen. Das macht es so besonders, so empfindsam, so ausdrucksstark".
Das Clavichord ist längst nicht mehr nur in der klassischen Musik zu hören. Auch Jazzmusiker experimentieren gerne mit seinen Klängen. Genauso vielfältig ist Martin Kathers Kundschaft heute. Er hat es geschafft, ein weltweites Netzwerk aufzubauen. Das sichert nicht nur seinen Lebensunterhalt, sondern auch, dass das leise Clavichord nicht im lauten Geräuschebrei untergehen wird.