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Clever wie ein blinder Fisch

Wer der Natur in die Karten schaut, kann meist noch was lernen. Zum Beispiel, wenn es darum geht, intelligenten Robotern beizubringen, sich in unbekannter Umgebung zurechtzufinden. Ein autonomes U-Boot, das in trüben Abwasserkanälen tauchen soll, wurden von einem blinden Fisch inspiriert.

Von Ralf Krauter | 20.09.2010
    Der kurze Film, den Leo van Hemmen Besuchern zeigt, wirkt als hätte ein Aquarienfreund ihn gedreht. Man sieht flinke Fische umherschwimmen, die allen Hindernissen geschickt ausweichen. Doch so selbstverständlich, wie es scheint, ist das in diesem Fall gar nicht. Denn die kleinen Fische sind nicht nur flink, sie sind auch blind, erklärt der Professor von der Technischen Universität München:

    "Das ist der blinde mexikanische Höhlenfisch. Diese haben während ihrer Existenz in Höhlen ihre Fähigkeit zum Sehen verloren. Die sind kurz nach der Geburt blind. Aber trotzdem: Wie man im Experiment sehen kann, die handhaben sich im Wasser mühelos, stoßen sich an keinem Stein."

    Ein Fisch, der nichts sieht und trotzdem nirgends aneckt – das hat die Neugier des Biophysikers geweckt. Denn ein intelligenter Unterwasser-Roboter, der Ähnliches auf dem Kasten hat, könnte dunkle Kanäle erkunden, ohne gegen die Wand zu fahren.

    "Also der Fisch sieht gar nix. Der ist echt blind. Und das Tier orientiert sich vollständig mittels seines Seitenliniensystems im Wasser. Und das war schon für uns die Inspiration mal zu fragen: Na, wie funktioniert das denn? Und zweitens, wie macht das Tier von seiner natürlichen Umgebung sich mittels des Seitenliniensystems ein Bild im Hirn?"

    Das Seitenliniensystem ist ein Konglomerat empfindlicher Strömungsmessfühler in der Haut von Fischen, verteilt an Kopf und Körper. Hindernisse im Wasser verursachen winzige Änderungen seiner Strömung. Dem mexikanischen Höhlenfisch genügt das, um sie zu orten.

    "Die Bugwelle, die der Fisch wie ein Boot vor sich herschiebt, stößt dann erst auf den Stein und wird reflektiert und von Seitenliniensystem von dem Fisch wahrgenommen. Und der kann dann noch rechtzeitig reagieren."

    Welch präzise Wahrnehmung die Strömungsfühler erlauben, das wissen Biophysiker wie Leo van Hemmen auch vom afrikanischen Krallenfrosch. Der hat rund 200 Sinneszellen in der Haut, die wie die Seitenlinienorgane bei Fischen funktionieren, und ortet damit im Wasser seine Beute: Insektenlarven, Würmer und kleine Fische.

    "Der kann sogar vier identische Objekte sauber trennen. Und wenn die Beute essbar ist, dann dreht der Frosch sich nicht irgendwohin. Der schwimmt in die Richtung von einem der Beutetiere. Im Klartext: Ja, das Seitenlinienorgan kann sogar mehrere identische Objekte sauber wahrnehmen."

    Die Münchner Forscher arbeiten daran, einem Tauchroboter, der knapp einen Meter lang ist, ähnliche Fähigkeiten beizubringen. "Snookie" heißt das torpedoförmige Unterwasserfahrzeug. Seine Hülle besteht aus Plexiglas und Aluminium. Vier am Heck und zwei seitlich montierte Elektromotoren erlauben präzises Manövrieren. Entwickelt und in einem Schwimmbecken getestet wurde "Snookie" von Stefan Sosnowski.

    "Die gelbe Kuppel vorne ist eben der Bereich, wo wir dann später nicht nur aber hauptsächlich diese Messapparaturen für die Strömungsgeschwindigkeit anbringen wollen. Die ganze Form ist auch auf dieses Seitenliniensystem hin optimiert."

    "Snookie" soll sich einmal völlig autonom unter Wasser zurechtfinden. Und zwar ohne Kamera, allein mit Kompass, Beschleunigungsmessern und einem künstlichen Seitenlinienorgan. Dessen Herzstück, ein chipförmiger Sensor, beherbergt einen wärmeabhängigen Widerstand, einen sogenannten Thermistor.

    "Wir legen eine Spannung an den Thermistor an. Der wird durch den eigenen Widerstand warm. Und je schneller das Wasser vorbeiströmt, desto schneller wird dieser Thermistor wieder runter gekühlt. Und durch das Runterkühlen haben wir wieder eine Änderung im Widerstandswert. Und genau das können wir dann messen. Und darüber dann eben Rückschlüsse ziehen: Wie schnell strömt denn jetzt eigentlich das Wasser dran vorbei."

    20 bis 40 der kleinen Strömungsfühler will der Elektroingenieur Stefan Sosnowski demnächst an "Snookies" kugelförmiger gelber Nase anbringen. Damit der intelligente Roboter Hindernisse, die ein paar Handbreit vor seinem Bug liegen, ausmachen und umschiffen kann, müssen die vernetzten Strömungsfühler auf seiner Haut Geschwindigkeitsänderungen mit einer Genauigkeit von einem Prozent erfassen.

    Leo van Hemmen und seine Leute sind optimistisch, dieses Ziel bald zu erreichen. Die nächste Hürde besteht dann darin, "Snookie" aus den Sensordaten seines künstlichen Seitenlinienorgans detaillierte Bilder seiner Umgebung berechnen zu lassen.

    Weitere Informationen:
    Roboter-U-Boot ahmt Sinnesorgan von Tieren nach - TU München