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Clint Eastwood
Von Western, Jazz und Jersey Boys

Amerika hat zwei Kunstformen hervorgebracht, soll Clint Eastwood einmal gesagt haben: den Western und den Jazz. Nun adaptiert das Western-Urgestein ausgerechnet das Musical "Jersey Boys" über die Kult-Popgruppe "Four Seasons". Die Band hat etwas, das Eastwood am Herzen liegt.

Von Hartwig Tegeler |
    Clint Eastwood arrives for the Los Angeles Film Festival premiere of 'Jersey Boys' in Los Angeles, California
    Clint Eastwood bei der Premiere seines Films "Jersey Boys" in Los Angeles (picture alliance / dpa - Paul Buck)
    "Na ja, ich fände es toll, wenn es mal losgehen würde." (Frankie Valli in "Jersey Boys")
    Aber Frankie, der mit seinem Falsett-Tenor später das Markenzeichen der "Four Seasons" sein wird, Frankie wird noch warten müssen, um wie seine Kumpels rauszukommen aus ihrem Armeleuteviertel in Bellville im US-Bundesstaat New Jersey. Es wird hart, bis sie in den Charts landen:
    "Das ist verrückt, das muss doch irgendeinen Club geben. - Vergiss das mit den Clubs, was wir wollen, ist ein Plattenvertrag. - Was für ein Plattenvertrag, wir schaffen es ja nicht mal in einen Scheiß Bowling-Halle."
    Und dann, nach vielen kleinen Gigs, hier, da, dann der Durchbruch:
    "Hey, Crew, wir haben was für dich. Hör zu."
    "Sherry", der "Four Seasons"-Hit von 1962. Es folgten "Walk Like a Man", "Big Girls Don´t Cry" und und. 1990 wurde die Band in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen. Clint Eastwoods Film ist die Adaption des erfolgreichen Broadway-Musicals. Dass außer John Lloyd Young als Franckie Valli auch andere Darsteller schon im Musical gespielt und gesungen haben, mag die Präsentation der Musik im Film erleichtern. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die schauspielerische Ausdruckskraft von Young, Erich Bergen oder Michael Lomenda einigermaßen mittelmäßig ist. Wenn dann Christopher Walken als Mafiaboss die Szene betritt, da kommt ein ganz anderer Ton in den Film. Doch die große Frage ist: Clint Eastwood und Popmusik, wie geht das zusammen?
    Die "Four Seasons" und der "American Dream"
    In Eastwoods Regiedebüt "Sadistico" von 1971 ruft eine Frau jede Nacht den DJ eines Radiosender an und bittet ihn, die Jazz-Komposition "Misty" von Erroll Garner zu spielen. Der Jazz-Fan trifft in "Sadistico" in gewisser Weise auf den Westernhelden, denn der DJ - gespielt von Regisseur Eastwood -, lässt am Ende seinen weiblichen Fan über den Balkan. Tja, eine Art von Credo des Filmemachers, der vor Jahren einmal sagte, dass der Western und der Jazz die einzigen wahren Kunstformen seien, die Amerika hervorgebracht hat.
    Western hat Clint Eastwood jede Menge gedreht. Mit seinem grandiosen Film "Bird" von 1988 verbeugte er sich tief vor dem Jazz-Saxophonisten Charlie Parker. Ein paar Jahre vor "Bird" hat Eastwood mit "Honkytonk Man" eine Hommage an die Countrymusik inszeniert. Der Teil "Piano Blues" in Martin Scorseses großer Blues-Dokumentation von 2003 stammt ebenfalls von ihm. Also, noch einmal: Warum nun mit "Jersey Boys" die zum Film gewordene Begeisterung für eine stromlinienförmige, typisch amerikanische Popband der 1960er Jahre? Das typisch lakonische Statement von Clint Eastwood, er möge die "Four Seasons"-Musik und es habe ziemlichen Spaß gemacht, sich ihr wieder zu widmen, hilft da nicht. Erst bei genauerem Hinschauen zeigen "Bird", der Jazz-Film, "Honkytonk Man", der Countrymusik-Film, und die "Blues"-Dokumentation, was sie mit "Jersey Boys" gemeinsam haben. Sie erzählen etwas Ur-Amerikanisches: diesen Topos "Vom Tellerwäscher zum Millionär" in Reinkultur nämlich. Wenn Frankie Valli im Film sagt: "Na ja, ich fänd´s toll, wenn´s mal losgehen würde", so beschreibt das, wie einer alles geben muss, um von unten nach oben zu kommen, was heißt: heraus aus dem Milieu von New Jersey. Die Jungens wurden Stars, Pop-Stars. Das ist die helle, die lichte Seite, während Charlie Parker oder der Countrymusiker in "Honkytonk Man" scheitern. Nicht das Scheitern der Musik, der Kunst, sondern das des Menschen, der stirbt. Vielleicht wirkt der Frankie Valli im Film auch so glatt, weil er überlebt. Es vom Jungen aus New Jersey zum Millionär schafft. Weil sich der Satz des alten Mafia-Paten Christopher Walken tatsächlich bewahrheitet:
    "Eine Stimme, wie du sie hast, ist eine Gabe Gottes. Die Welt wird sie hören, ist dir das klar?"
    Und dann sagt der Mafiosi seinem Liebling, der ihn zu Tränen rührt mit seiner Stimme, noch:
    "Keine Sorge, wenn du dich richtig reinhängst, ergibt sich schon alles."
    Ein Film über die Pop-Lüge
    'Per aspera ad astra' - 'durch das Raue zu den Sternen'. Der alte Lateiner-Spruch hat das Zeug zur uramerikanischen Legende, denn Clint Eastwood erzählt in "Jersey Boys" genau davon, von der Mühsal des Aufstiegs, der Arbeit, dem Schweiß, den Tränen, den Rückschlägen, den Entfremdungen, den Familienbrüchen, von all dem also, was wie ein Kontrapunkt zur oberflächlichen, lebensbejahenden Leichtigkeit der "Four Seasons"-Songs steht. Das Leben trifft auf die Pop-Lüge. Und so wirft Clint Eastwood, dem Starruhm nun alles andere als fremd ist, einen Blick auf den Starruhm der "Four Seasons". Zelebriert dabei allerdings eine mitunter recht glatt wirkende Oberfläche, die die Schablone der Herkunft aus der Musical-Vorlage nicht wirklich abwerfen kann. Aber keine Sorge, in diesem Film fängt keiner an, mitten aus dem Dialog heraus zu singen.