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Clown und Priester

Er war einer der berühmtesten französischen Schauspieler: Michel Serrault ist in Honfleur in der Normandie nach langer Krankheit gestorben. Er wurde 79 Jahre alt. Serraults Karriere begann am Theater und führte zum Film, er war in weit mehr als 100 Produktionen zu sehen.

Von Josef Schnelle |
    Als Kind habe er sich nicht entscheiden können, ob er Clown oder Priester werden wollte. Diese Geschichte erzählte Michel Serrault immer gerne, und wenn man sich sein Lebenswerk mit über 150 Filmen und noch mehr Theaterrollen anschaut, ist man versucht zu resümieren: Er ist beides gewesen. Ein Clown, der mit einem Augenaufschlag Lachsalven erzeugen konnte, zum Beispiel 1978 in "Ein Käfig voller Narren" von Edouard Molinaro als weiblicher Teil eines verrückten Homosexuellenpärchens, und ein Priester der dunklen Geheimnisse der Seele in Filmen von Chabrol oder Sautet.

    Begonnen hat diese Karriere, die ihn zum beliebtesten und bekanntesten Schauspieler Frankreichs machte, tatsächlich in den Pariser Kabaretts am linken Seine-Ufer, kam schließlich in den 70er Jahren an das Théâtre Palais Royal, wo er schon in der legendären Bühnenfassung von "La Cage aux Folles" mitspielte. Von den ersten kleineren Filmrollen in Krimis und Komödien der 50er Jahre ist vor allem sein Auftritt in Henri-George Clouzots Film "Die Teuflischen" im Gedächtnis geblieben. Aber erst mit dem Millionenerfolg von "Ein Käfig voller Narren" für den Serrault seinen ersten französischen Oskar, den César als bester Hauptdarsteller bekam, begann seine Erfolgsgeschichte.

    Serrault drehte noch zwei vergnügte Fortsetzungen des Stoffes. Aber immer mehr wandte er sich auch schwierigen Charakterrollen zu. In "Das Verhör" von Claude Miller spielte er 1981 einen zynischen Kindermörder, der seine Frau in den Selbstmord treibt und an dem sich ein Inspektor im Verhör die Zähne ausbeißt. Das Psychoduell das sich Serrault in diesem Kammerspiel mit Lino Ventura liefert gilt als legendäres Schauspielerkabinettstück des französischen Kinos ebenso wie die kalte Härte der Figur, und wie sie sich in Serraults Partnerin Romy Schneider spiegelt.

    In einer noch weiter zugespitzten und schwierigeren Rolle als psychisch kranker Massenmörder sah man ihn 1982 in Claude Chabrols "Die Fantome des Hutmachers". Wieder ist da dieser Augenaufschlag, doch diesmal verbirgt er schreckliche Wahrheiten. Wahrheiten ist auch Monsieur Arnaud auf der Spur in Claude Sautets Film "Nelly und Monsieur Arnaud" von 1995. Emmanuelle Béart, die schöne Traurige des französischen Kinos spielt Nelly und wird die Privatsekretärin des Pensionärs Arnaud, der mit ihrer Hilfe seine Memoiren schreiben will.

    Dass diese Zusammenarbeit eine Falle ist die Seelenstriptease und unglückliche Liebe beinhaltet, kann sie da noch nicht wissen. Wie Serrault die Beart umgarnt, erotisch stimuliert, gleichzeitig unterdrückt und quält, und dabei Zug um Zug die Panzer seiner Selbsttäuschungen enthüllt , das ist einer der Höhepunkte von Serraults Schauspielkunst, weswegen alles andere als ein weiterer César für diese Rolle, eine böse Überraschung gewesen wäre.

    In einem Interview verriet er sein Erfolgsgeheimnis:

    "Das Publikum in den Glauben zu versetzen, es sei echt, ist idiotisch. Jeder weiß, dass der Vorhang aufgeht, dass alles Pappe ist, dass alles, was wir machen, was passieren wird aus der Kraft der Erfindung und der Umsetzung lebt. Wenn Sie so wollen, ist man wie beim Illusionisten, wenn man selbst nicht überzeugt ist, von dem, was man macht, dann interessiert es niemanden."

    In den letzten Jahren begann Serrault immer mehr, auch mit der jüngeren Generation der französischen Filmemacher zu arbeiten und rief zum Beispiel 2001 in "Eine Schwalbe macht den Sommer" von Christian Carion als brummiger Bauer, der eine junge Frau aus der Stadt von seinem Hof ekeln will noch einmal das ganze Spektrum seiner großen Schauspielkunst ab. All die Mörder und dunklen Gestalten, all die verrückten Charmeure und Gestrauchelten seines Lebens wirkten für ein paar schöne Kinostunden wie Vorstudien zu dieser schließlich milden und sympathischen Figur: Clown und Priester eben.