Jetzt ist George Tabori selber ein Greis von 90 Jahren, und noch einmal will er das Spiel spielen, das seine Leidenschaft war: er war eine Art Schauspieler-Therapeut an den großen Bühnen, jeder kam bei ihm zu seinem Recht, und die Probenarbeit war das Wichtigste überhaupt. Vielleicht ist ja auch die Aufführung, die Premiere eine Art Probe – wie das ganze Leben. Und manchmal hat auch das Publikum was davon.
1972 hat George Tabori die "Clowns", angeblich sein Lieblingsstück, schon einmal aufgeführt, in Tübingen. Seitdem war es vergessen, nicht ganz zu Unrecht, muss man sagen. Es ist eine satirische Versuchsanordnung, die zwar schon Taboris respektlosen Witz transportiert, der zwischen dem Hohen und dem Trivialen bedenkenlos changiert, aber es hat eben auch den heute etwas altbacken wirkenden Gestus des absurden Theaters, eine Beckett-Situation, die sozialkritisch aufgebürstet und in die Travestie, in die Zirkus-Parabel gezogen wird.
"Clowns", das ist die Geschichte einer Ehekrise mit Untreue, Streit und Langeweile; es ist ein Vater-Sohn-Konflikt mit einer Parodie von Wilhelm Tells Äpfelschuss; und es ist ein Stück über Rassismus und die Angst vor dem Fremden, das mit wildem Grunzen in die bürgerliche Sterilität einbricht.
Der Pantomime Jewgenij Sitochin spielt "das Ding", den Außenseiter als animalische Version eines osteuropäischen Asylbewerbers, der Tiermensch im weiten Mantel. Auch sonst hat George Tabori weitaus mehr Vertrauen in die Tiere als in den Homo sapiens: heimliche Hauptfigur der Inszenierung ist ein Hund, von Eleonore Zetzsche mit anrührender Bösartigkeit gespielt, der rassistische Sprüche von sich gibt und trotzdem mit seinem Herrn eine Art Liebesbeziehung hat. So was Entrücktes, Verrücktes kann nur Tabori schreiben.
Die Menschen in dieser Inszenierung sind dagegen mit sehr weltlichen Eifersuchtsdingen, mit politischer Feigheit und erotischen Kamasutra-Turnübungen beschäftigt, die uns nicht besonders viel angehen. Auch die Vater-Sohn-Dialoge kommen uns ziemlich bekannt vor.
Tabori kostet es sichtlich aus, niveauloseste Slapsticks mit Schlangen und widerspenstigen Gegenständen vorführen zu lassen – um das dann mit letzten Fragen zu koppeln: wer ist an allem schuld? Der Kapitalismus? Das Leben? Die Familien-Clowns stecken alle in grellgelben Kostümen, Farbe des Neides, aber vor allem der Ausgrenzung, des Judensterns. Aber auch der jüdische Witz wird etwas schal an diesem Abend, zahlreiche brechtisch angehauchte Songs im Hollywood-Gestus verlängern und zerdehnen die Inszenierung, und letztlich schwebt vor allem der Mythos eines alten Mannes über der Bühne: George Tabori, der sich noch mal ein paar Zirkusnummern gönnt.
Und so ist dieser Abend vor allem ein Abschied. Tabori weiß das. Der greise Mann möchte das Spiel noch einmal spielen, einmal noch die Clowns sehen, nur zum eigenen Vergnügen – und der letzte Clown bläst in Zürich dann das Licht aus. Und diese Endgültigkeit ist dann gar nicht komisch.