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Cocktail-Party-Effekt

Medizin. - In Tübingen fand am vergangenen Wochenende eine Tagung für Wahrnehmungsforscher statt. Auf den jährlichen Treffen von Neurowissenschaftlern, Psychologen, Biologen, Informatikern und Mathematikern stand die Frage im Mittelpunkt, wie das Gehirn des Menschen die Wahrnehmung organisiert und strukturiert. Besondere Beachtung schenkten die Experten in diesem Jahr der Struktur des Hörens.

    Von Susanne Poelchau

    Kaffeepause auf der 6. Tübinger Wahrnehmungskonferenz. Es ist eine typische akustische Situation, mit der sich die hier versammelten Forscher beschäftigen : Der sogenannte Cocktail Party Effekt. Welche Leistung unser Gehirn in solchen Situationen vollbringt, zeigt ein Beispiel : Stellen Sie sich vor, Sie sitzen mit dem Rücken zu einem See. Links und rechts von sich haben Sie zwei schmale Kanäle in den Sand gegraben und in jedem ein Taschentuch befestigt. Daran, wie diese Tücher durch die hereinströmenden Wellen bewegt werden, sollen Sie erkennen : Wie viele Boote sind auf dem See, wie schnell fahren sie, wo befinden sie sich ? Unmöglich, sagen Sie! Doch unser Gehör bewältigt genau diese Aufgaben und noch viel mehr. Allein anhand von Schallwellen können wir Geräusche orten und zuordnen, erkennen, wie viele Personen sprechen, wo sie sind und wer am lautesten spricht, so der Hörforscher Christian Kärnbach:

    Wir sind noch weit davon entfernt, wirklich die Leistung verstehen zu können, die Menschen in ganz normalen Situationen erbringen.

    Der Wahrnehmungsforscher aus Leipzig witzelt gerne, dass "Hörforscher bereits zu Lebzeiten einen besonderen Platz in der Hölle haben". Er spielt darauf an, welch grauenhafte Geräusche er und seine Kollegen sich ständig im Labor anhören müssen. Und all das nur, um in Experimenten herauszufinden, wie das Gehirn das Hören organisiert. Chris Darwin von der University of Sussex hat herausgefunden, dass die Tonhöhe ein wichtiges Hilfsmittel dafür ist, mehrere Sprecher auseinander zu halten und sich auf einen speziell zu konzentrieren. Aber wie interpretiert unser Gehirn die Tonhöhe, wenn mehrere Geräusche zur gleichen Zeit zu hören sind.

    Ein einfaches Model, wie das Gehirn die Tonhöhe erkennt, ist, dass es die Töne sozusagen scheibchenweise verarbeitet. In etwa so, als schneidet man einen Schinken in Scheiben und schaut sich dann die Scheiben an: Wie viel Fett, wie viel Fleisch ist dran an jeder Scheibe? Und welches Muster ergibt sich daraus ? Unser Gehirn untersucht aber nicht jeden Ton wie eine Scheibe Schinken, es ist viel raffinierter : Es kann auch die Zusammensetzung der vorhergegangenen Schinkenscheiben anschauen und manchmal sogar die, die noch folgen werden. Und daraus folgert es, welche Aspekte für das relevant sind, was man gerade hört, und welche nur zufällig zur selben Zeit zu hören waren.

    Welche Meisterleistung das Gehirn normalerweise vollbringt, wird deutlich, wenn das Gehör nicht mehr gut funktioniert. Schwerhörige sind besonders in komplexen Situationen überfordert, wenn es viele Stimmen und Geräusche, Schallquellen und Nachhall gibt. Diesen so genannten "Cocktail Party Effekt" können kommerzielle Hörgeräte bisher nicht ausgleichen. Am neuen Oldenburger Kompetenzzentrum Hörtech wird derzeit ein HIFI - Hörgerät der Zukunft entwickelt. Professor Birger Kollmeier:

    Dabei werden verbesserte Lösungen für eine höhere Klangqualität sowie verbessertes Verstehen auch unter Störlärm zu erzielen. Ein wesentlicher Ansatz dazu ist ein binaurale Gerät, bei dem Tonquellen von rechts und links wechselwirken und dabei imitiert wird, was das Gehirn normalerweise automatisch vollbringt: Die Verrechnung von Klängen aus beiden Ohren, wobei unerwünschte Anteile reduziert und erwünschte verstärkt werden.

    Um das neue Gerät auf den Markt bringen zu können, arbeiten die Forscher jetzt an einer drahtlosen Verbindung zwischen den beiden Hörgeräten im linken und rechten Ohr.