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Coconut Chair und Marshmallow Sofa

Der Amerikaner George Nelson war nicht nur Designer, sondern auch Architekt, Autor und Ausstellungsgestalter. Mit seinem Marshmallow Sofa war er der Popzeit der 70er schon im Jahr 1956 voraus. Und auch danach hat er den Alltag etwas fröhlicher und bunter gemacht. Eine große Retrospektive im Vitra Design Museum in Weil am Rhein will den ganzen Nelson zeigen.

Von Christian Gampert |
    George Nelson war ein Theoretiker, ein Systematiker, und deshalb ist er auch so schwer auszustellen. Das Vitra-Design-Museum fährt wieder eine ganze Palette museumsdidaktischer Medien auf, um das komplexe Thema in den Griff zu bekommen: Filme, Modelle, Entwürfe des (übrigens rastlos fotografierenden) Meisters ergänzen die vielen sachlich designten Möbel.

    Aber es gibt auch die schrägen Ausreißer aus der Cocktail-Kultur der 1950er Jahre: die Bubble Lamps etwa, Lampen wie Blasen. Im Filmraum darf man sich sogar in den berühmten Coconut Chairs fläzen, die eine Sitzfläche haben wie eine aufgeplatzte Kokosnuss. Und man sitzt gut darin.

    George Nelson ist vom Journalismus zum Design gekommen. Als er 1931 sein Architekturstudium in Yale beendete, da litt Amerika ökonomisch noch unter den Folgen der großen Depression - es gab nichts zu bauen. Als Stipendiat in Rom interviewte Nelson die Bauhaus-Architekten und machte ein Buch daraus. Fortan arbeitete er als Redakteur.

    Das hatte den Vorteil, dass alles, was er dann praktisch anpackte, vorher gründlich recherchiert war. Gegen Ende des zweiten Weltkriegs entwarf er zukunftsfroh das Haus von morgen, "Tomorrow’s House", zunächst noch in einer theoretischen Schrift, die dann der Möbelfabrikant Hermann Miller las und Nelson sofort verpflichtete.

    Nelson verpasste der Firma ein "Corporate Design" und ging an die Realisierung einer neuen Innenausstattung für Amerika. Kurator Jochen Eisenbrand:

    "Seine Arbeit repräsentiert sehr schön diese Aufbruchstimmung, die damals in den USA geherrscht hat. Und sie steht damit exemplarisch für das Goldene Zeitalter, das das Design damals in den USA hatte, als es weltweit führend war. Und das natürlich als ein Ergebnis der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung.

    Die USA haben sich damals zur Weltwirtschaftsmacht entwickelt. Es gab eine zunehmend solvente Mittelschicht, die bereit war, auch neue Produkte zu kaufen. Es gab viele neue Werkstoffe, die im Krieg entwickelt worden waren und für die man zivile Anwendungen suchen musste."

    Das waren vor allem Stahlblech und Kunststoffe, die Nelson freilich mit dem wärmer wirkenden Holz ergänzte. Nelson hatte sich in seinem Buch vor allem dem Problem der Aufbewahrung, "Storage", von Dingen in der Wohnung befasst - und ganze Wände kurzerhand durch Wandschränke ersetzt.

    Ökonomisch musste alles sein: die Raumaufteilung in der Wohnung, die Sachen selbst, und auch deren Produktion. Nelson favorisierte Fertighäuser mit vorproduzierten Teilen, immer neu kombinierbar. Er entwarf in den 50er Jahren ganze Möbelsysteme, die mit nur zwei Grundmaßen auskamen und stapelbar waren - IKEA lebt noch heute davon. Aber man kann das auch auf hohem Niveau machen.

    Er dachte sich eine Mustersiedlung aus, in der die Häuser aus lauter japanisch anmutenden Pavillons bestanden. Für die "American National Exhibition" 1959 in Moskau, mitten im Kalten Krieg, konstruierte er Ausstellungsräume in der Form eines kubischen Klettergerüsts und Schirme aus Fiberglas, die zu Hallen montiert wurden. Er schrieb und lehrte und designte nebenbei bunte Sitzmöbel, die Ende der 1950er Jahre die Popkultur vorwegnahmen.

    "Während er zu Beginn für Herman Miller sehr nüchterne, kastige Aufbewahrungsmöbel entworfen hat, kamen dann Mitte der 1950er Jahre einige sehr organische und auch farbenfrohe Entwürfe von ihm. Das war zum Beispiel das sogenannte Marshmallow Sofa, weil die runden Sitzkissen dieses Sofas ein bisschen an diese Süßigkeit Marshmallow erinnern.

    Ein Sofa, bei dem auch wieder diese Idee der Ökonomisierung der Produktion im Vordergrund stand, ursprünglich jedenfalls. Weil man dachte, man konnte diese Sitzkissen - diese runden, die auf ein Stahlrohrgestell montiert sind - industriell herstellen, aus dem Schaumstoff, der sich selbst mit einer glatten Haut überzieht. Und der Hersteller, der das versprochen hatte, konnte das aber doch nicht so verwirklichen, sodass sie dann von Hand hergestellt wurden.

    Ein Möbel, das so ein bisschen Pop-Ära ist vor der Pop-Zeit, also Mitte der 50er Jahre - und vielleicht deshalb heute den Status eines Design-Klassikers hat, obwohl es sich damals gar nicht verkauft hat."

    Auch die Bürosysteme, die Nelson dann in den 1960er Jahren kreierte, sind bis heute wegweisend: Er erfand den Schreibtisch in L-Form und sorgte für Übersicht am Arbeitsplatz. Das Großraumbüro begriff er als "Action Office", das er nicht mehr nach Hierarchien, sondern nach Effizienz, nach tatsächlichen Arbeitsabläufen organisierte.

    Einzig, dass man die Schreibtische abends mit Rolljalousien zu verschließen hatte wie jeder Postbeamte, wirkt heute etwas seltsam. Mittlerweile ist man auch da etwas offener geworden: Ein jeder Redaktionsschreibtisch bietet uns ein ganz persönliches Chaos dar …