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Code of Conduct der EU
Weiche Regeln gegen harte Worte

Gemeinsam mit Facebook, Twitter, YouTube und Microsoft hat die EU-Kommission den Code of Conduct vorgestellt. Einen Verhaltenskodex, der vorsieht, dass "stichhaltige Anträge" auf Entfernung illegaler Hasskommentare künftig in weniger als 24 Stunden geprüft werden sollen. Nicht alle sind von dem am Dienstag vorgeschlagenen Kodex überzeugt.

Von Michael Meyer | 04.06.2016
    Auf einem Bildschirm ist "Hashtag Hass" zu lesen
    Hasskommentare sind weiterhin ein Thema: Ausländerfeinlichkeiten oder Aufrufe des "Islamischen Staates" sind immer noch im Netz verfügbar. (dpa / picture alliance / Lukas Schulze)
    Auf Facebook wird immer wieder der Holocaust geleugnet, bei Twitter wird regelmäßig zur Gewalt aufgerufen. Das kann man so nicht stehen lassen, so die breite Mehrheit in Politik und Öffentlichkeit. Und doch: Der von der EU-Kommission vorgeschlagene Verhaltenskodex ist problematisch, stellt die Sozialwissenschaftlerin Julia Krüger fest. Krüger arbeitet seit Jahren zum Thema Inhaltemanagement im Internet:
    "Ich denke nicht, dass er effektiv ist, ich halte ihn für eine Privatisierung der Rechtsdurchsetzung, die dazu immer noch intransparent ist, und immer noch ohne Revisionsmöglichkeit. Es gibt ein paar Fortschritte gegenüber den Maas-Vorschlägen, was die Transparenz angeht, allerdings ist es, glaube ich, meines Erachtens noch lange nicht genug."
    Die Unternehmen wachen über den Verhaltenskodex
    Mit anderen Worten: Private Unternehmen wie Google, Facebook, Twitter wachen über den Verhaltenskodex und nicht die Allgemeinheit. Und was genau gelöscht werden soll, ist auch noch nicht exakt definiert. Kein sehr vertrauenswürdiges Verfahren, findet Maryant Fernández Pérez, sie ist Advocacy Manager bei der "European Digital Rights Initiative", kurz EDRI, einem Zusammenschluss von europäischen Bürgerrechtsvereinen:
    "Das Problem dieses Verhaltenskodexes ist, dass es ein freiwilliger Mechanismus ist. Hier werden weder die Rechtssprechung noch fundamentale Rechte respektiert, dass es ein Recht auf Meinungsäußerung und auf Privatsphäre gibt. Es geht nicht um die Einhaltung eines Gesetzes, sondern nur um die Einhaltung von Nutzungsbedingungen, denen jeder Nutzer zustimmen muss. Problematisch ist auch, dass wenn man kritische Äußerungen aus dem Netz entfernt, Ermittler und Staatsanwälte dann keine Möglichkeit mehr haben, Beweise vorzulegen."
    Und das ist wichtig, gerade bei Ermittlungen zu Gewaltaufrufen. Věra Jourová, EU-Kommissarin für Justiz, Verbraucher und Gleichstellung, erklärte hierzu:
    "Die sozialen Medien gehören leider zu den Instrumenten, die terroristische Gruppen nutzen, um junge Leute zu radikalisieren, und die Rassisten nutzen, um Gewalt und Hass zu propagieren. Die Vereinbarung ist ein wichtiger Schritt, um zu gewährleisten, dass das Internet ein Raum für die freie und demokratische Meinungsäußerung bleibt, in dem die europäischen Werte und Gesetze geachtet werden."
    Möglicher Misbrauch?
    Fraglich bleibt allerdings, so meint die Sozialwissenschaftlerin Julia Krüger, ob Regierungen im Nahen Osten oder in der Türkei nicht den "Code of Conduct" abkupfern und den Terrorismus-Begriff ganz eng auslegen – gegen jede missliebige Oppositionsgruppe. Neben dem Aufruf zur Gewalt, so sagt Julia Krüger, gebe es auch minder schwere Formen, wie Diskriminierung oder Verbreitung von Stereotypen. Mit Letzterem, so sagt die Forscherin Krüger, müsse man leben, auch wenn das unangenehm ist. Löschen von kritischen Inhalten allein könne nicht die Lösung sein, es gebe stattdessen interessante Beispiele aus Australien oder sogar Kenia. Dort arbeiten Wissenschaftler und Bürger in Projekten und überprüfen gemeinsam Kommentare:
    "Die haben ein konstantes Monitoring, was in den sozialen Netzwerken passiert, und greifen allerdings nur ein, wenn das in Gewalt umzuschlagen droht. Das ist ein ganz interessantes Projekt, dass man schon Monitoring hat, aber nicht durch die großen Plattformen, sondern durch ein eigenes Forschungs-Instituts oder Medieninstitut und dann im Prinzip klar ist, dass man die Polizei ruft, hier soll ein Asylbewerberheim angezündet werden oder hier droht es umzuschlagen."
    Derartige Monitoring-Projekte sind in Deutschland noch nicht existent, die EU-Kommission wünscht sie sich aber. Was Not tue, seien auch mehr Daten, wie viele Kommentare überhaupt heikel sind, meint Krüger. Google spricht von 1,5 Millionen Websites, die man überprüft habe. Mit Sanktionen müssen die großen Player wie Facebook etc. ohnehin nicht rechnen, das Ganze ist zunächst eine freiwillige Vereinbarung.
    Nutzer könnten vorsichtiger werden
    Und was bedeutet der Verhaltenskodex nun für die Nutzer? Werden sie sich künftig stärker beschränken in der Meinungsäußerung? Studien zum Thema haben ergeben, dass Nutzer vorsichtiger werden, je strenger überwacht wird, sagt Julia Krüger:
    "Von daher ist davon auszugehen, dass Regulierung in den sozialen Netzwerken schon eine Auswirkung auf das Verhalten hat, klar."