Heyer: Also, was ist zu tun?
Wieland: Ich denke, es muss tatsächlich geklärt werden, wie das mit den Nebeneinnahmen ist. Es ist ja eine sehr komplexe Materie. Einerseits ist es so, dass die Parlamentarier argumentieren, die Höhe ihrer Diäten hängen damit zusammen, dass sie ihre Unabhängigkeit bewahren. Auf der anderen Seite begeben sie sich ja genau wieder in diese Abhängigkeit freiwillig hinein, mit diesen Nebenzahlungen, mit der Bemerkung, sie müssen Praxisluft schnuppern oder was ich für viel wahrscheinlicher halte, dass sie ihre Arbeitsplätze erhalten, falls sie nach vier Jahren nicht wieder gewählt werden. Ich denke, das ist der Konflikt, der dahinter steht und der muss gelöst werden.
Heyer: Sie haben es gerade angesprochen. Wie sehr überzeugen Sie denn Argumente der Nebeneinkunft, Politiker die da behaupten, "Meine Unabhängigkeit ist abhängig von meinen Nebeneinkünften"? Hermann Josef Arentz hat so zum Beispiel argumentiert.
Wieland: Ja, ich denke, das ist völlig inkonsistent, was dort gesagt wird, weil man nur Fallweise redet. Wenn es um die Höhe der eigenen Diäten geht, dann ist es die Unabhängigkeit, wenn es um die Höhe der Nebeneinnahmen geht, ist es die Abhängigkeit, wenn es dann darum geht, die Transparenz zu schaffen, wird mit dem Argument nachgeschoben, es handele sich um Selbstständige und um Rechtsanwälte und Unternehmer, die also sozusagen im Geschäft bleiben müssen. Das alles ist irgendwo verständlich, weil ja niemand eine Garantie hat, dass er nach vier Jahren wieder gewählt wird und tatsächlich ein Arbeitsplatzproblem bekommen kann. Aber das spricht eigentlich nur dafür, dass man es klärt, dass man die Spielregel dafür klärt, dass man die Spielregeln offen legt und dass man sie eben aber auch dann kontrolliert.
Heyer:: Transparenz, das ist das Stichwort zurzeit. Wie ist sie denn zu erreichen, die Transparenz?
Wieland: Ich denke, diese Transparenz ist dadurch zu erreichen, dass man sich erst einmal wirklich - manchmal denkt man, man müsst so was wie eine schärfere bürokratische Regel haben, das ist das, was wir in Deutschland sehr stark diskutieren, das ist nicht richtig. Das eine ist erst mal: Es muss eine Sensibilität für das Thema geben, es muss tatsächlich so etwas wie einen ethischen Standard geben, in wessen Interesse Parlamentarier überhaupt reden. Ich weiß nicht, ob Sie das wissen, aber im englischen Parlament ist es üblich, dass Parlamentarier auch den Satz sagen können, "Jetzt im Moment rede ich von einer Interessensposition aus". Das ist einfach auch eine Frage der Kultur, der Parlamentskultur, die da ist. Also da muss man tatsächlich auch mal eine inhaltliche Diskussion drüber führen. In Deutschland diskutieren wir immer alles nach dem Motto "Noch mehr Bürokratie, noch mehr Offenlegung". Wenn wir das haben, wenn wir die Sensibilität haben, dann müssen wir uns überlegen, wie wir diese kniffligen Fälle - die sind ja knifflig, da darf man nicht drüber hinwegsehen - wie wir damit umgehen. Wir können von keinem Menschen erwarten, der sich für vier Jahre wählen lässt, dass er seine gesamte Existenz aufgibt. So, denke ich mir, muss man sehen, dass man diese Tätigkeiten offen lässt, dass man sie möglich macht und der einzige Weg dann, damit umzugehen, ist tatsächlich, sie zu kontrollieren, sie anzumelden. Das muss ja jeder normale Mensch auch tun.
Heyer: Brauchen wir möglicherweise einen neuen ethischen Kanon für die Politik, für die Politiker?
Wieland: Ja, das denke ich schon, denn darüber wird ja auch das Vertrauen verloren. Das sind ja diese vielen unendlich kleinen Dinge, die dann irgendwie rauskommen. Hier in Baden-Württemberg kommt jetzt raus, dass es zwei ehemalige Minister gibt, die im zarten Alter von 45 aufwärts schon eine sehr große Rente bekommen. Natürlich ist das rechtens, in Übereinstimmung mit den Gesetzen. Es gibt aber eben sehr viele Menschen, die das einfach nicht nachvollziehen können, dass leistungsfähige Menschen sich selbst als Parlamentarier solche Regeln schaffen. Dann haben wir diese Nebentätigkeiten, wo wir es mit wechselnden Argumentationslagen zu tun haben, wo man das Gefühl hat, je nach Bedarf wird was nachgelegt und wird was offen gelegt. Ich denke, das führt nicht dazu, dass das Volk seinen Vertretern an dieser Stelle wirklich traut. Das ist mittlerweile kein technisches Problem mehr, es ist ein Problem der parlamentarischen Kultur geworden.
Heyer: "Vertrauen verloren", Sie haben es gerade angesprochen. Wie würden Sie denn den Imageschaden für die Berufsgruppe der Politiker nach den Schlagzeilen um Meyer-, Müller-, Arentz- Gehaltslisten des VW-Konzerns und RWE beschreiben wollen?
Wieland: Ich weiß gar nicht, ob man in dem Sinne überhaupt noch von Image, beziehungsweise Imageschaden, sprechen kann, denn das ist natürlich schon seit langem runter. Es liegt einfach daran, dass wir offensichtlich nicht in der Lage sind, einen inhaltlichen, von moralischen Prinzipien geführten Diskurs zu führen, sondern es wird immer alles nur geflickschustert. Es kommt was raus, dann macht man wieder was und dann wird es wieder nachgebessert und dann fliegt wieder einer Meilen ab, und dann kommt raus, dass die Meilenregelung nicht in Ordnung ist, dann kriegt jemand eine Pension, dann ist die Pensionsregelung nicht in Ordnung, dann hat jemand Nebeneinkünfte, dann sind die Nebeneinkünfte nicht in Ordnung, und das ist in der Tat katastrophal und meiner Meinung nach kein Reputations- und Imageproblem, sondern eine fundamentale Vertrauenskrise, die dort tatsächlich von den Parlamentariern abgebildet wird.
Heyer: Erst der eigene Geldbeutel und dann die politische Moral. Was ist von Parlamenten denn jetzt wirklich dringend zu leisten, um solche Pauschalurteile zu vermeiden?
Wieland: Ja, Sie haben Recht, es ist ein Pauschalurteil. Viele Menschen dort in den Parlamenten, ich würde sagen pro domo alle, kämpfen für eine politische Idee, setzen sich ein, arbeiten hart. Und dann gibt es eben genau diese Dinge, die das alles wieder zerstören. Ich glaube, es ist auch im wohlverstandenen eigenen Interesse dieser Menschen dort, dass das mal öffentlich erörtert wird. Hinzu kommt, das habe ich schon ein paar mal angeregt: Was ist eigentlich mit einem Aufsichtsgremium, einem selbst verwalteten, im Parlament, das diese ethischen Fragen diskutiert? Das muss ja nicht immer der Präsident des Bundestages sein. Was ist eigentlich auch mit Diskussionsrunden, mit Weiterbildung für Parlamentarier auf diesem Gebiet? Das ist in allen angelsächsischen Ländern üblich. Dort gibt es ein Ethik-Komitee und so weiter. Ich denke, das sind Dinge, über die muss man nachdenken.
Heyer: Aber ethisches Verständnis kann man nicht verordnen, so zum Beispiel Hans Peter Stiel, der ehemalige Präsident des deutschen Industrie- und Handelstages. Was meinen Sie?
Wieland: Es geht nicht darum, dass man Ethik verordnen kann. Das Problem ist, aus meiner Erfahrung - ich beschäftige mich ja relativ viel mit diesen anwendungsorientiertem Aspekt von Ethik - in Moral und Ethik besteht das Prinzip, das ist völlig normal, des ins Schwimmengeratens, wenn man sie in der Praxis anwendet. Es gibt sozusagen die reine Ethik in der Praxis nicht, es gibt immer Grauzonen, es gibt immer Konfliktfälle und man kommt an der Stelle wirklich nur weiter, wenn man diese Konfliktfälle auflistet, wenn man die offen kommuniziert und wenn man dann auch lernt, Regeln zu finden, damit umzugehen. Insofern kann man nicht nur einfach darauf vertrauen, dass die gute Kinderstube das schon richten wird oder sonst was oder die Öffentlichkeit, die Medien dann ihre Enthüllungstätigkeit aufnehmen, sondern dieses Parlament muss verstehen, dass es auf der Basis eines "code of ethics" operieren muss, den es sich selbst gegeben hat, wo es sozusagen professionelle Standards gibt und die auch rigoros eingehalten werden. Das ist einfach der Standard weltweit und das muss das deutsche Parlament auch machen. Und aufhören muss man mit diesem permanenten Reparieren an allen möglichen Bruchstellen, die da ja sozusagen im Moment, wie bei einem morschen Rohr, alle paar Meter auftauchen.
Heyer: Also noch mal: Nach welchen Werten muss ein Politiker sein Tun, sein Handeln ausrichten? Man könnte meinen, dass sei überhaupt keine Frage. Aber offenbar doch?
Wieland: Doch. Also solche Werte wie Integrität sind sehr wichtig, Rechtschaffenheit, Aufrichtigkeit, Wahrhaftigkeit, Glaubwürdigkeit. Das sind wichtige Dinge und wir machen gemeinsam am Institut, gemeinsam mit den beiden Akademien - in Berlin machen wir zum Beispiel Diskussionen mit Wirtschaftsvertretern und Medienleuten und Parlamentariern über diese Frage - und dann kann man eben sehen, wie schwierig der Begriff der Wahrhaftigkeit etwa ist. Und es gibt nicht sehr viele Leute in diesem Land, die vermuten würden, dass das Parlament ein Ort der Wahrhaftigkeit ist.
