Mittwoch, 24. April 2024

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Colin Firth über Maxwell Perkins
"Er hat sich in diesen Thomas Wolfe verliebt"

Thomas Wolfe und Maxwell Perkins - der Autor und sein Lektor: Im Film "Genius" sieht man zwei unterschiedliche Männer um jedes Wort ringen, damit aus einem 1.100-Seiten-Manuskript der Bestsellerroman "Schau Heimwärts, Engel" wird. Auf eine enge Freundschaft folge das bittere Zerwürfnis, erzählt Darsteller Colin Firth im DLF.

Colin Firth im Corso-Gespräch mit Sigrid Fischer | 08.08.2016
    Sie sehen den britischen Schauspieler Colin Firth auf der Berlinale zur Weltpremiere von "Genius".
    Colin Firth spielt Maxwell Perkins im Film"Genius" (AFP / John Macdougall)
    Sigrid Fischer: Colin Firth, Sie tragen fast den ganzen Film über einen Hut, Max Perkins setzt ihn nicht mal beim Abendessen zu Hause ab, wie wir im Film sehen. Hat dieses Detail Ihr Bild von ihm geformt?
    Colin Firth: Es gibt praktisch kein Foto von ihm ohne Hut. In seinem letzten posthum erschienenen Roman "Es führt kein Weg zurück" spekuliert Thomas Wolfe, dass Perkins mit dem Hut auch unter die Dusche ging. Für einen Schauspieler ist so ein präzises Detail wunderbar. Es klingt vielleicht banal, aber ich finde oft, dass ein Kostüm bei der Ausgestaltung einer Figur sehr hilft. Ich denke dann immer: wenn das nicht funktioniert, wird daraus keine Figur. Der Hut ist sehr authentisch, Perkins hatte viele Gründe, ihn zu tragen, über die zum Teil auch nur spekuliert wird. Ein Grund, auf den wir aber im Film nicht eingehen, war, dass er schwerhörig war. Und er mochte kein Hörgerät tragen. Mit dem Hut hat er seine Ohren etwas nach vorne gebogen. Außerdem fand er, das war ein guter Trick, immer sagen zu können: Oh, ich bin gerade im Gehen, wenn jemand in sein Büro kam, auf den er keine Lust hatte.
    Fischer: Er war offenbar ein bescheidener Mann, er wollte keine Widmungen - oder war das Koketterie, wie Wolfes Geliebte, im Film Nicole Kidman, ihm unterstellt?
    Firth: Ja, er war bescheiden. Aber er hatte auch Vorahnungen. Seine heftige Verweigerung der Widmung gegenüber war nur zum Teil ein Zeichen von Bescheidenheit. Er hat auch vorausgesehen, welche Probleme Thomas Wolfe dadurch bekommen würde. Dass schließlich alle dachten, Perkins sei verantwortlich für Wolfes Erfolg, kam von der Widmung. Damit fing es an. Sie wurde gegen Wolfe verwendet. Wenn man sagt: Ohne ihn hätte ich das nicht geschafft, dann nehmen die Leute einen beim Wort. Von da an hat Wolfe gegen diese kreative Beziehung, dieses Vater-Sohn-Verhältnis rebelliert, was Perkins sehr verletzt haben muss.
    Firscher: Perkins war ja auch Ehemann und Vater von 5 Töchtern, wenn er im Film nach Hause kommt, setzt er sich in den Kleiderschrank, um in Ruhe seine Manuskripte lesen zu können. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist ihm nicht gut gelungen. Und er hat seine Frau bei ihren beruflichen Ambitionen nicht unterstützt
    Firth: Ich bin sicher, das kennen Sie in Ihrem Beruf auch: Manchmal ist es schwer, das, was einen in der Arbeit gerade sehr beschäftigt, mal zu vergessen. Für den Partner ist das eine Belastung. Perkins war einerseits progressiv, aber er fand es auch etwas unpassend, wenn eine Frau Theater spielte. Da war er viktorianisch. Sie wollte Schauspielerin sein und hatte auch Ambitionen als Schriftstellerin. Sie fühlte sich vernachlässigt. Und sie war erfolgreich mit einem Kinderbuch, sie schrieb ein Theaterstück für Katherine Hepburn, die wohnte nebenan. Aber sein Urteil, sein Einfluss, seine Liebe zur Literatur richtete sich nicht auf sie.
    "Er hatte viel Sinn für Abenteuer, hat sie aber nicht selbst erlebt"
    Fischer: Perkins war bescheiden, er war auch der stillere, der introvertiertere im Vergleich zu Wolfe. Er war der Zuhörer. Trotzdem war Perkins damals berühmt, sein Name war bekannt, das ist ungewöhnlich für einen Lektor.
    Firth: Je mehr ich über ihn gelesen habe, desto mehr hab ich verstanden, warum er so beliebt war. Bei seiner Beerdigung passten gar nicht alle in die Kirche. Irgendjemand sagte, es gibt mehr Widmungen für Maxwell Perkins in Büchern als für irgendjemanden sonst. Das lag daran, dass er seine Aufmerksamkeit anderen zuteil werden ließ. Ich glaube, er hat viel aus zweiter Hand gelebt. Er hatte viel Sinn für Abenteuer, hat sie aber nicht selbst erlebt. Thomas Wolfe hat diese Seite in ihm zum Ausdruck gebracht. Auch das Draufgängertum und Lasterleben. Alles, was er sich selbst nicht traute. Er hat sich in diesen Thomas Wolfe verliebt. Wie in einen Sohn, denn Perkins hatte keinen Sohn. Deshalb war er ihm näher als allen anderen seiner Autoren.
    Fischer: Wolfe redet sich um Kopf und Kragen, schäumt über vor Energie. Im Zusammenspiel mit Jude Law kommen also zwei unterschiedliche Energien aufeinander. Wie schwierig war das die auszubalancieren.?
    Firth: Die Leute sagten immer, man hätte Perkins akustisch kaum verstanden. Das habe ich mir dann angeeignet. Michael Grandage, der Regisseur, kommt ja vom Theater und wir haben drei Wochen richtig geprobt, das macht man beim Film normalerweise nicht. Okay, sie nennen das Probe, aber da geht man ja nur mal ein paar Positionen durch für die Kamera. Aber hier war das sehr hilfreich, denn er meinte: Nein, wenn ich das so spiele, hört man ja nur Jude Law. Und real war das bestimmt auch so. Das war tatsächlich nicht so einfach. Die Szenen sind ja so aufgebaut, dass Jude eine Million Wörter spricht und ich antworte mit einem, oder nur mit einem Blick. Aber nur so geht es, es ist kein Film über zwei Alphatiere, die sich gegenseitig bekriegen, sondern über einen Mann, der absolut in sich ruht und sich von dem anderen nicht durcheinander bringen lässt.
    "Er hat sich als Unterstützer verstanden"
    Fischer: Thomas Wolfes Redefluss schlug sich ja auch in seinen Manuskripten nieder. Der Roman, den er dann nach dem Zerwürfnis mit Perkins bei einem anderen Verlag eingereicht hat, soll eine Million Wörter umfasst haben.
    Firth: Er war nicht zu stoppen. Und es gab ja Leute, die haben Perkins vorgeworfen, dass er Wolfes Werk verhunzt. Aber er hat gesagt: Kein einziges Wort geht verloren. Das geht alles in seine Kurzgeschichten oder in andere Romane. Und wenn Sie "Schau Heimwärts, Engel" mal lesen - und das empfehle ich Ihnen - dann denken Sie nicht: Oh, das ist aber reduziert. Sondern Sie denken: Wo war denn hier der Lektor? Denn Perkins hat immer gesagt: Das ist Dein Buch, ich versuche nicht, Dich umzulenken, ich mache es nur passend. Ich möchte für Dich, dass es veröffentlicht wird. Nichts geht verloren. Er hat sich als Unterstützer verstanden.
    "Ich weiß nicht, ob Fitzgerald oder Ernest Hemingway ohne ihn für uns heute die wären, die sie sind"
    Fischer: Können Sie sich vorstellen, dass es so einen Lektor heute noch geben könnte, der sich soviel Mühe macht anstatt zu sagen, Junge, komm wieder, wenn Du 3000 Seiten rausgekürzt hast.
    Firth: Ich weiß nicht genug über die heutige Verlagsszene, aber man hat mir gesagt, dass Leute wie Perkins da nicht mehr üblich sind. Und auch er selbst war in seinen letzten Jahren nicht mehr derselbe. Nach Wolfes und F. Scott Fitzgeralds Tod war die Trauer groß. Er hat sie sehr vermisst und sich noch mehr in sich zurückgezogen. Junge Schriftsteller wie James Jones - der Autor von "Verdammt in alle Ewigkeit" - die kamen in Scharen zu Perkins, weil seine Beziehungen zu den anderen Autoren legendär geworden waren. Und sie wollten auch so eine Vaterfigur, so einen Förderer. Sie erkannten ja sein Genie. Ich weiß nicht, ob Fitzgerald oder Ernest Hemingway ohne ihn für uns heute die wären, die sie sind.
    Fischer: Colin Firth, das sind ja alles sehr schillernde Charaktere, welchen von Perkins Autoren mögen Sie am liebsten?
    Firth: Ich persönlich mag Fitzgerald am liebsten. Ich mag auch Hemingway, und ich weiß, dass es viele Wolfe-Verehrer gibt und ich möchte mich mit keinem von ihnen anlegen, aber ich gehöre nicht zu denen, die jedes Wort und alles von ihm mögen. Ich finde ihn anstrengend. Aber gerade wenn er anfängt, einen zu nerven, dann stößt man auf Passagen von solcher Anmut und Tiefe und Schönheit, dass man ihm alles andere verzeiht. Aber man muss schon etwas abgehärtet sein, um sein ganzes Werk zu lesen.
    Fischer: Nach diesem Film "Genius" sehen wir Sie Im Oktober in "Bridget Jones" wieder. Nach 12 Jahren sind Sie zu Mark Darcy zurückgekehrt. Das ist die eindeutig leichtere Kost. Haben Sie immer noch Spaß an der Rolle?
    Firth: Ja, das hat Spaß gemacht. Es war nicht einfach ein "zurück zu Darcy". Ich hab mich schon vorher gefragt, ob mir das wohl gefallen wird. Vielleicht haben ihn andere noch gut in Erinnerung, aber ich hatte ihn sowas von vergessen, dass ich gar nicht mehr wusste, wie ich ihn spielen sollte. Ich musste mir erst die alten Filme nochmal angucken. Was aber ganz toll war, und das fanden wir wohl alle so, dass wir uns wiedergesehen haben nach all der Zeit, alle zusammen. Bridgets Freunde waren alle da, und das war berührend. Das wäre es wohl nicht gewesen, wenn wir uns auch letztes Jahr getroffen hätten.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.