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Columbus in Mississippi
Südstaaten-Kleinod am Tombigbee-River

Mit seinen eleganten Herrenhäusern versprüht Columbus in Missisippi nicht nur reichlich Südstaaten-Flair. Die Stadt ist voller Geschichten: von Tennessee Williams, der 1911 dort geboren wurde, von afroamerikanischer Identität und von weiblicher Emanzipation am erste College für Frauen in den USA.

Von Rudi und Rita Schneider | 28.01.2018
    Weiß gestrichenes Haus mit Flachdach, dorischen Säulen und Verzierungen, umgeben von einem grünen Garten.
    Weil Columbus im amerikanischen Bürgerkrieg verschont wurde, finden sich hier auch heute noch viele der bemerkenswertesten Antebellum-Häuser der Südstaaten (Deutschlandradio / Rudi und Rita Schneider)
    Es ist ein sonniger Tag am Tombigbee-River in Columbus, Mississippi. Der Tombigbee entspringt südöstlich von Memphis, Tennessee, und mäandert in unzähligen Windungen durch das flache Land. Während Hernado de Soto bereits 1540 den Tombigbee an diesem Ufer überquerte, entstand die Stadt Columbus erst 280 Jahre später. Und weitere 90 Jahre nach der Gründung hatte gerade mal 300 Meter vom Ufer des Tombigbee entfernt Tennessee Williams in einem Gingerbreadhaus in der Mainstreet seine ersten Schritte ins Leben getan. Für diese in den Südstaaten beliebte Architektur typisch, erreichen wir die Haustür über eine gemütliche überdachte Veranda mit zwei Schaukelstühlen.
    Im Baby-Zimmer von Tennessee Williams
    Hinter der mehr als 100 Jahre alten Eichentür erwartet uns Leigh Yarborough, die mit uns den Raum betritt, in dem für Tennessee Williams alles begann.
    "Wir glauben, dass dies das Schlafzimmer von Tennessees Mutter Edwina Williams war, in dem sie mit ihm in die Wehen kam. Nach der Geburt im Krankenhaus, war dieser Raum wohl auch Tennessees Baby-Zimmer. Das Bett und die anderen Möbel entsprechen dem Stil der damaligen Zeit."
    Der Raum ist lichtdurchflutet, die Sonne hat ein leichtes Spiel, da das Schlafzimmer in der Gebäudeecke liegt und große Fenster zu zwei Seiten hat. Das sind seltsame Momente, wenn man in einem Raum steht, in dem die ersten Bilder des Lebensfilmes eines Menschen stattfanden. Ein Film, der ab diesem Zeitpunkt unaufhaltsam Bild für Bild an unterschiedlichsten Orten mit all seinen Höhepunkten und manchesmal auch Katastrophen abläuft.
    Gelbes Holzhaus mit schwarzen Balken. Das Dach, die Fenster, die Eingangstür und einige Verzierungen sind rot. Vorne befindet sich eine für die Südstaaten typische Veranda.
    In diesem Haus in Columbus, Misssisippi wuchs der Autor Tennessee Williams auf (Deutschlandradio / Rudi & Rita Schneider.)
    Eine Wanderung durch den Zeitfilm der Stadt Columbus wollen wir nun mit Chuck Yarborough unternehmen. Er ist Professor und lehrt unter anderem US und afroamerikanische Geschichte. Unser erstes Ziel ist wiederum das Ufer des Tombigbee River.
    "Das war die Anlegestelle der Schiffe. Die viel befahrene Militärstraße zwischen Nashville und Columbus kreuzte über diese Brücke den Tombigbee River. Von hier aus konnte man auf dem Wasserweg bis nach Mobile und New Orleans gelangen."
    Viele Häuser im Antebellum-Stil
    Zum Geräusch der Schiffe, auf die unzählige Ballen von Baumwolle verladen wurden, mischte sich noch vor 1860 das Geräusch der Eisenbahn, die Cincinnati mit Mobil an der Golfküste verband. Eigentlich sollte sie mitten durch die Stadt führen, aber der Stadtradt entschied sich dagegen, weil sie fürchteten, dass die Eisenbahn Pferde und schwangere Frauen erschrecken würde. Die Linie wurde deshalb seitlich an der Stadt vorbei geführt. Das hört sich seltsam an, aber, im Nachhinein war es ein glückliche Entscheidung. Columbus war im Bürgerkrieg deshalb kein strategisches Ziel, die Stadt wurde von den Union-Truppen verschont. Dies wiederum ist der Grund, warum wir auch heute noch hier viele der bemerkenswertesten Antebellum-Häuser der Südstaaten besuchen können.
    "Das Pratt Thomas Haus ist ein wunderbares Exemplar der Greek Revival Architektur. Als der Film "Vom Winde verweht" Premiere hatte, tourte die Film Crew aus Hollywood durchs ganze Land. Eine der Opening-Galas wurde in diesem Haus gefeiert, und Clark Gable war der Stargast. Man erzählt sich, jede junge Dame, die damals auf dieser Party war, behauptete später, hinten im Garten von Clark Gable geküsst worden zu sein."
    Es sind nicht einfach nur elegante Herrenhäuser, die allesamt Kulisse für Hollywood und Südstaaten Episoden sein könnten. Chuck Yarborough ist wie eine lebendige Bibliothek. Zu jedem dieser Häuser berichtet er aus der Familiensaga. Vor uns liegt "White Arches".
    "Der Bau von 'White Arches' wurde kurz vor dem Bürgerkrieg vollendet. Die Familie hatte eine 16-jährige Tochter. Und weil sich die meisten jungen Männer im heiratsfähigen Alter zur Armee gemeldet hatten, veranstalteten sie einen Ball im Winter 1861-62 für ihre Tochter, um ihr eine Chance zu geben, noch einen jungen Mann fürs Leben zu finden. Es war eine kalte Nacht, und man sagt, sie hätte jeden Tanz getanzt, den sie auf ihrer Karte hatte. Zwischen den Tänzen habe sie sich auf immer dem Balkon kurz abgekühlt. Draußen war es kühl, innen heiß, dabei hat sich sich eine Lungenentzündung eingefangen, an der sie kurze Zeit später starb. Für die Familie war das ein fürchterliches Unglück. Sie verließen das Haus und kehren nie mehr wieder zurück nach Columbus."
    Geschichten wie Romane
    Der Bürgerkrieg überrollte das Land und die Verluste trafen nahezu jede Familie, erzählt Chuck während wir zu einem Haus im Greek Revial Stil mit dem Namen "Twelve Gables" gelangen. Im April 1866, so erzählt Chuck, trafen sich vier Ladies im vorderen Wohnzimmer und beschlossen, am folgenden Tag die Gräber von 1.400 gefallenen Soldaten der Konföderierten auf dem Friendship Cemetery zu dekorieren. Nach einiger Diskussion beschlossen sie, auch die Gräber der Union Soldaten zu schmücken. Die Initiative dieser vier Ladies war die Geburtsstunde des "Memorial Days", der zwei Jahre später offziell als Gedenktag für die Gefallenen aller Kriege der Vereinigten Staaten eingeführt wurde. Folgerichtig führt unser weiterer Weg zum Friendship Cemetery.
    "Während wir über den Friendship Cemetery wandern, erzählen uns die Grabsteine die Geschichte von Columbus. Hier vorne ist das Grabmal von Jerome Wolmersdorff, er war Mitglied des Stadtrats. Über seine Geschichte, aber auch über die meisten anderen Persönlichkeiten und Dynastien, die hier ihre letzte Ruhe fanden, könnte man ganze Romane schreiben. Meine Studenten haben ein umfangreiches Projekt zur Dokumentation dieser ganzen Geschichten durchgeführt, die vielfach ausgezeichnet wurde. Das wurde in allen möglichen Blättern publiziert bis zur New York Times und den Anchorage Alaksa Daily News."
    Geschichten wie Romane, auch die von afroamerikanischen Persönlichkeiten. Robert Gleed beispielsweise war ein entflohener Sklave, der in Columbus gefangen wurde und entsprechend den damaligen Gesetzten wieder zurück in die Sklaverei verkauft wurde. Als die Sklaven nach dem Bürgerkrieg befreit wurden, kam er zurück und gründete eine Reihe von Geschäften, unter anderem die erste afroamerikanische Penny Savings Bank. Er wurde der erste afroamerikanische Stadtrat und der erste afroamerikanische Senator des Staates Mississippi, der den Lowndes County repräsentierte.
    Afroamerikanische Geschichte
    Das afroamerikanische Leben pulsierte in der Catfish Alley.
    "Die Catfish Alley wurde so benannt, weil die Fische im Tombigbee River gefangen wurden und vornehmlich von afroamerianischen Fischern hier in dieser Straße verkauft und auch in Restaurants in verschiedenen leckeren Variation angeboten wurde. Wir stehen hier gerade vor 'Sally's in the Alley'. Sally Jones betrieb das Restaurant bis zu ihrem Tod im Jahr 2012. Das Restaurant ist seit mehr als 100 Jahren unter afroamerikanischer Leitung. Hier serviert man, was wir 'Soul Food' nennen in der Catfish Alley."
    Bei unserem weiteren Spaziergang gelangen wir zu einem Gebäude, das ebenfalls eine interessante Geschichte zu erzählen weiß. Es ist eine Schule. Und ihr geschah das, wovon möglicherweise mancher Schüler geträumt haben mag. Heute würden wir vielleicht sagen, wir stehen vor der Franklin Akademie 4.0, beginnen wir mit der Franklin Akademie 1.0.
    "Es war ein Holzbebäude, das 1840 bis auf die Grundmauern abbrannte. Es wurde durch ein neues Holzhaus ersetzt, das brannte 1880 ab. Dieses Gebäude wurde dann durch ein 'Gothic Revival'-Ziegelsteingebäude ersetzt, das, sie ahnen es schon, 1930 abbrannte. Der dritten abgebrannten Schule folgte an gleicher Stelle das 'Colonial Revial'-Gebäude, das wir hier vor uns sehen. Das ist immer noch die Franklin Akademie, unsere freie öffentliche Schule in Columbus."
    Universität für Frauen
    Eine andere Schule schrieb in Columbus ebenfalls Geschichte. Wir finden uns vor dem Universitätsgebäude ein. Der Haupteingang wird von einem Turm überragt, auf dessen Spitze eine Eule als Symbol für die Weisheit platziert ist. Unterhalb des Turmes wartet Professorin Bridget Pieschel auf uns und erzählt uns von der Gründung dieses Colleges mit historischer Bedeutung.
    "Es wurde 1884 gegründet und es war das erste College für Frauen in den Vereinigten Staaten. Im Bürgerkrieg waren viele junge Männer gefallen und der Gesetzgeber wollte sicherstellen, dass eine gute Ausbildung der Frauen eine Grundlage dafür war, dass die Familien ein sicheres Auskommen haben konnten."
    Während wir mit Briget Pieschel über den Campus wandern, erfahren wir Wissenswertes über die besondere Rolle dieses Colleges für die Emanzipation der Frauen. Bridget lädt uns ein, jenen Raum zu besichtigen, in dem bis 2002 das Herz des College schlug, das Auditorium. 2002 raste ein Tornado genau über das Gebäude und richtete fürchterlichen Schaden an. Das Dach konnte zwar erneuert werden, aber im Innern siehe es aus, als sei der Tornado erst gestern durch das Gebäude gefahren. Bridet nutzt die alte Treppe zur Bühne. Sonnenstrahlen, die durch die Bleiglasfenster einfallen, erzeugen bunte Muster auf der Bühne, die von Scherben übersät ist. An der Seite steht ein verstaubtes Klavier, dem einige Tasten fehlen.
    "Das ist die Original-Bühne. Dort hinten steht auch das original Klavier. Hier haben die Studenten jeden Morgen die täglichen Ansagen gehört, die Schullieder gesungen. Zu Beginn waren es 341 Studentinnen. Hier wurden auch Theaterstücke, beispielsweise von Shakespeare oder auch Konzerte aufgeführt. Die Schüler haben immer hinter mir auf das Bleiglasfenster der Sohia geschaut."
    Sonnenstrahlen fallen durch die farbigen Bleiglasfenster des Auditorium der Mississippi University for Women und erzeugen bunte Muster auf der Bühne, die von Scherben übersät ist.
    Scherben im Auditorium der Mississippi University for Women: 2002 raste ein Tornado genau über das Gebäude und richtete fürchterlichen Schaden an (Deutschlandradio / Rudi und Rita Schneider)
    Im hinteren Bereich des Audtoriums liegt die große Regulator Uhr des College auf dem Boden. Die Uhr blieb offensichtlich an jenem Tag im Jahr 2002, als der Tornado mit seiner zerstörerischen Energie durch das Gebäude fuhr, stehen. Das Ziffernblatt zeigt 18:52 Uhr. Für die Studenten maß sie bis zu diesem Tag die Zeit. Das Maß der Zeit; wir wechseln zum Schluß unserer Wanderung durch Columbus nochmals den Standort und besuchen eine andere Uhr, die nach so langer Zeit heute immer noch tickt. Sie hängt an der Wand im Geburtshauses von Tennessee Williams.
    Dieses Haus war schon zu Tennesse Williams Zeiten und auch für spätere Generationen ein Pfarrhaus, in dem die Pfarrersfamilien wechselten. Während wir dem Ticken der Uhr lauschen, erzählt Leigh Yarborough von insgesamt drei ungewöhnlichen Besucherinnen, die ihrerseits mit ihren Erzählungen interessante zeitliche Fenster in die Geschichte des Hauses und der Menschen, die darin wohnten, öffneten.
    "Ich hatte das große Glück, dass uns drei Damen besuchten, die in diesem Haus selbst während ihrer Kindheit gelebt haben. Ein Dame kam mit ihren Freunden aus den Kindertagen. Ihr Vater war der Priester in den späten 70ern. Eine andere Lady kam mit ihrer Enkelin, sie verbrachte hier ihre Kindheit von 1939 bis Anfang der 40iger Jahre. Vor einigen Monate besuchte uns eine Dame namens Ormend Grey-Caldwell. Sie lebte hier von 1930 bis 1939. Es war so interessant, von diesen Damen so viele, auch oft lustige Details zu erfahren, auch wie die einzelnen Räume jeweils zu ihrer Zeit genutzt wurden."
    Für jede dieser Damen, war es im Laufe der Jahrzehnt gelebte Wirklichkeit in diesem Haus mit all ihren unterschiedlichen Wahrnehmungen und Facetten. Tennessee Williams, der dieses Haus nur in seiner frühen Kindheit erlebt hat, sagte später einmal: "Die Wirklichkeit ist wie ein reißender Strom, in dem es von Nichtschwimmern wimmelt."