Freitag, 19. April 2024

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Comic „Lars der Agentur-Depp“
Analog und urkomisch

Kann man eine ganze Graphic Novel mit einfachst gekrakelten Strichmännchen erzählen? Bislang hat Andre Lux mit diesem Stil seine Egon-Cartoons gezeichnet, jetzt erzählt er damit von den Abgründen des Alltags in einer Werbeagentur, die er selbst erlebt hat, konsequent analog und urkomisch.

Von Andrea Heinze | 04.12.2019
Andre Lux
Der Comic Zeichner Andre Lux (© privat)
Am Ende zeichnet Andre Lux nicht einmal mehr Strichmännchen. Stattdessen steht auf der letzten Seite seiner Graphic Novel folgender handgeschriebener Text:
"Auch in Deiner Region gibt es Träger, die Praktikant*innen, fachfremde Quereinsteiger*innen oder ausgebildetes Personal suchen."
Klingt wie ein Ratgeber für frustrierte Agentur-Mitarbeiter. Aber warum hat er das nicht in Bilder gefasst?
"Das ist einfach das emotionalste Ende, das ich am Ende erzählen konnte."
Bevor Andre Lux ein Jahr Trainee in einer Münchner Medienagentur wurde, hat er in Kanada mit straffälligen Jugendlichen gearbeitet. Das war so fordernd, dass er danach erst mal Abstand brauchte.
"Dann hab ich ein Jahr in einer Agentur gearbeitet, hab mich umgeschaut, hab gedacht: das kann doch wohl nicht wahr sein, dass es sowas gibt und bin dann eben zurück in meinen Sozialjob. Und das war der Antrieb, dass ich dasitze und mir dachte, wie kommt jemand anderes da raus. Das war mein Weg, das ist meine persönliche Geschichte, vielleicht gefällt die jemand anderem auch, ich will etwas Sinnvolles machen, was auch einen Mehrwert für die Gesellschaft bietet."
Agenturjob zwischen Selbstausbeutung und Langeweile
Tatsächlich fängt die Geschichte ganz harmlos an. Da ist Lars, der morgens nicht aus dem Bett kommt und dann bei der Arbeit ein bisschen abhängt, ohne viel zu schaffen – ein Agenturdepp halt. Mit jeder Seite, die eine in sich geschlossene Geschichte erzählt, nimmt die Graphic Novel an Fahrt auf. Da wird der Agentur-Slang aufs Korn genommen, die soziale Inkompetenz der Führungskräfte oder einfach nur die unglaubliche Langeweile, die so ein Agentur-Job offenbar mit sich bringt.
"Manche Sachen habe ich einfach so erlebt. Der CEO, der an seinem Rechner hockt und man läuft dahinter vorbei und sieht, dass der gerade Skispringen guckt, das habe ich eins zu eins erlebt. Und manche Sachen habe ich auch einfach erzählt bekommen. Und das ist einfach so eine Mischung aus Fiktion und Realität und das was Fiktion ist, ist nicht so weit weg von dem was tagtäglich in der Agentur passiert."
Höhepunkte dieser Geschichte sind die Motivationsansprachen der Führungskräfte, die ihre Mitarbeiter gern bis 21 Uhr arbeiten lassen und Ihnen für ihre Selbstausbeutung den sozialen Aufstieg mit Eigentumswohnung im hippen Kiez versprechen – oder davon schwafeln, dass es allen Mitarbeitern zugutekommt, wenn es der Agentur gut geht. In den Gedanken der untergebenen Strichmännchen liest man dazu vor allem Aggressionen, ihre Gesichter lächeln. Das ist zeichnerisches Understatement, konsequent analog und urkomisch.
"Wenn ich einem Kind sagst "so und so und so" und die Hälfte davon ist gelogen, dann checked das Kind das einfach, dann steht das Kind da und sagt: was willst Du mir da für eine Scheiße erzählen? Und das fand ich immer gut, weil ich selbst auch so ticke. Und dann komme ich in ein Arbeitsfeld rein, wo sich gegenseitig eigentlich nur ins Gesicht gelogen wird."
Selbsthilfe-Comic für frustrierte Agentur-Mitarbeiter
Das verrückte an dieser Geschichte: diese einfach gekrakelten Strichmännchen vermitteln ausgesprochen gut die Gefühle zwischen Langeweile und Abscheu, die Lars der Agenturdepp durchlebt.
So auf kariertes Ringbuchpapier gekritzelt und immer wieder mit TippEx ausgebessert wirken sie, wie ein Gegenentwurf zur perfekt-schillernden Agenturszene. Tatsächlich kultiviert Andre Lux diese Art zu zeichnen schon seit 25 Jahren, mit seinem Cartoon-Blog "Egon forever".
"Ich bin ja so aus der Punkrock und Hardcore-Szene und da ist das halt ein gängiges Stilmittel, dass man halt das nimmt, was sich um einen rum befindet, um halt irgendeine Message zu servieren. Das ist jetzt mein Werkzeug, das ich hab. Das habe ich für mich selber in all den Jahren so optimiert, dass ich weiß, wie bringe ich Emotionen am besten rüber. Und deswegen hab ich gedacht, passt ja irgendwie auch, Büro und Collegeblock und Tipp-Ex und so."