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Comics von Jess Ruliffson
Die unsichtbaren Wunden des Kriegs

Die New Yorker Zeichnerin Jess Ruliffson verfolgt ein ungewöhnliches Projekt: Nach der Lektüre des Buches "War - ein Jahr im Krieg" des Journalisten Sebastian Junger fragte sie sich, wie es den Soldatinnen und Soldaten ergeht, die aus dem Irak oder aus Afghanistan zurückkehren. Für ihre Comic-Geschichten über der Kriegsveteranen hat sie Preise und viel Aufmerksamkeit bekommen.

Von Martin Becker |
    Ein US-Soldat von der 4. Infantriedivision patrouilliert am 24.8.2003 in Samarra nördlich der irakischen Hauptstadt Bagdad.
    Die traumatischen Erfahrungen im Krieg verfolgen die Soldaten auch in der Heimat weiter (picture-alliance / dpa / Vucci)
    "Der Afghanistankonflikt dauert seit zehn Jahren an, und der Einsatz im Irak mein halbes Leben lang. Er begann, als ich zur Highschool ging, heute bin ich fast 30 und erwachsen. Ich habe das Gefühl, es sollte mehr darüber gesprochen werden."
    Jess Ruliffson, eine kleine und zierliche Frau mit Brille, sitzt auf einer Bank vor einem Café im Brooklyner Stadtteil Bushwick. Gleich besucht sie ihren wöchentlichen Schreibkurs. Denn gerade die Texte sind es, die ihr bei den Comics schwer von der Hand gehen. Deshalb hat sie sich aufs Zuhören konzentriert: Sie führte Interviews mit amerikanischen Kriegsveteranen - und verarbeitete ihre Geschichten in Zeichnungen.
    "Ich wollte immer schon Comics machen, aber ich hatte nie das Gefühl besonders gut schreiben zu können und ich wollte nicht über mich selbst schreiben. Die Idee, mit anderen Leuten reden, hat mich sehr gereizt."
    "Ich habe keine Verletzungen. Ich sehe aus wie ein ganz normaler Typ." Diese Sätze sagt ein Ex-Soldat zu Beginn von "Invisible Wounds" - und genau davon erzählt der Veteranencomic: von den unsichtbaren Wunden. Keine martialischen Kampfbilder zeichnet Ruliffson, dafür den scheinbar unspektakulären Alltag eines jungen Mannes nach dem Kriegseinsatz.
    "Kann ich deine Geschichte verwenden, habe ich ihn gefragt, ich finde sie sehr gut. Er war tief berührt, dass ich überhaupt darüber nachdenke und seine Geschichte für erzählenswert halte.
    Unsicherheit, Panik, Angst
    Den Zusammenbruch, die Folgen seiner posttraumatischen Belastungsstörung, dokumentiert Jess Ruliffson ebenso nüchtern wie präzise: Als der Ex-Soldat in einem Haus Fliesen verlegen soll, verliert er plötzlich das Gefühl für Zeit und Raum. Er schaut auf die Uhr - und innerhalb eines Augenblicks sind Stunden vergangen. Er flieht aus dem Haus. Irgendwann später greift die Polizei den verwirrten Veteranen auf. Nach seiner Genesung sehen wir ihn auf einer anderen Zeichnung in seinem Wohnzimmer. Eine Nachbarin ist zu Besuch. Und die hat es plötzlich ganz eilig, das Haus zu verlassen.
    "Diese Frau fragte ihn, warum er untauglich geworden sei fürs Militär. Er erzählte ihr von seiner posttraumatischen Belastungsstörung und der Hirnverletzung, die er erlitten hatte, weil er in unmittelbarer Nähe schwerer Explosionen war. Um sie zu beruhigen, sagte er dann: 'Aber ich bin nicht gefährlich oder so.' Das machte alles noch schlimmer!"
    Jess Ruliffson hat die traumatischen Erfahrungen nicht selbst gemacht, kann sie aber nachvollziehen. Sie kennt die Gefühle, von denen die Veteranen ihr erzählt haben: Unsicherheit im Alltag, die Panik der anderen Leute und die eigenen Ängste. Beispielsweise vor dem, was ein falscher Satz auslösen kann. Nicht zuletzt interessiert sich Ruliffson für Zäsuren im Leben - schließlich sind viele Soldaten noch sehr jung, wenn sie die Armee verlassen und sich plötzlich in der nicht-militärischen Welt zurechtfinden müssen, wo niemand ihnen sagt, was zu tun ist:
    "Auch die Leute, die nicht an der Front kämpfen, müssen dieser Sache einen Teil ihres Lebens widmen. Man unterschreibt und sie sagen einem, wohin man gehen und was man essen, wie man sein Haar schneiden und welche Kleidung man tragen muss."
    Vor dem Erzählen kommt das Zuhören
    Ein Dutzend Veteranen hat die Comiczeichnerin mittlerweile interviewt. Und sie sind dankbar dafür, dass Jess Ruliffson ihre Geschichten aufschreibt. Denn oftmals fragt sie schlichtweg niemand nach ihrer Vergangenheit - oder, sie verschweigen ihre Erfahrungen im Alltag ganz bewusst, weil sie mit ihren Freunden nicht darüber sprechen möchten.
    "Nathan, ein Freund von mir aus der Highschool, war Reservist bei der Marine. Mein Comic über ihn erschien in einem amerikaweit veröffentlichten Magazin. Erst da erfuhren seine Freunde, dass er beim Militär war und was für einen positiven Einfluss sie auf sein Leben hatten. Als er aus dem Krieg kam, da konnte er einfach so mit Leuten reden und war nicht gezwungen, über die Dinge zu sprechen, die er gesehen oder getan hatte."
    Wenn Jess Ruliffson von ihrem Projekt erzählt, dann versteht man ihre Motive: denjenigen eine Stimme zu geben, die sonst nicht gehört werden - und natürlich, dem Klischee des durchgedrehten Kriegsveteranen etwas entgegenzusetzen. Schließlich verrät sie noch einen nachvollziehbaren Grund für ihre Faszination: Ruliffson ist auf einem Luftwaffenstützpunkt im US-Bundesstaat Delaware geboren worden. Und auch, wenn die Künstlerin selbst mit der Army gar nichts zu tun hat - ihre Herkunft spielt bei der Erforschung der unsichtbaren Wunden der Veteranen eine Rolle, unterschwellig zumindest.
    "Mein biologischer Vater war bei der Luftwaffe, ebenso mein Stiefvater. Die Leute fragen mich oft: Hast du Familie bei der Armee? Ich bin mir sicher, dass mich das unbewusst beeinflusst hat, aber ich habe nicht bewusst daran gedacht!"