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Comics zum Nachdenken

Graphic Novels - so heißen die ernsten, erzählenden Bildergeschichten, die innerhalb weniger Jahre die Buchmessen erobert haben. Auch jenseits der Feuilletons entsteht eine Diskussion über die farbigen Reportagen. In Hamburg trifft sich die Szene zu einem eigenen Festival.

Von Dirk Schneider | 11.06.2013
    "Im Grunde zeichne ich gerade aus meinem Storyboard, was ich hier liegen habe. Also Storyboard, hier, jede Seite klein aufgezeichnet. Ich mache daraus gerade Vorzeichnungen. Das werden fast 300 Seiten am Ende."

    Die Hamburger Comiczeichnerin Isabel Kreitz hat ihren Arbeitsraum mitten auf St. Pauli, direkt am Hafen. Für ihr aktuelles Projekt kommt das sehr gelegen.

    "Als Langzeitprojekt arbeite ich gerade an einem Buch, das spielt tatsächlich hier auf St. Pauli, was mich sehr freut, ich muss mit der Kamera zum Recherchieren einfach nur vor die Tür gehen. Das spielt so in den 50er- und 60er-Jahren."

    Die Kamera ist für Isabel Kreitz ein wichtiges Instrument, ihre Zeichnungen sind sehr detailgenau, und auch historisch muss bei ihr alles korrekt dargestellt sein. Darum wird Kreitz bei den 2. Hamburger Graphic Novel Tagen auch über das Thema "Realität im Comic" diskutieren, gemeinsam mit Annie Goetzinger. Die über 60-jährige Französin gilt als Altmeisterin des realistischen Comics. Die Graphic Novel Tage finden im Hamburger Literaturhaus statt, was durchaus als Statement zu verstehen ist: Während Comicfestivals doch sehr stark die bunte Fankultur bedienen, möchte man hier dem literarischen Charakter der Bildergeschichten gerecht werden.

    "Uns interessiert über den Begriff "Graphic Novels" also wirklich auch das Literarische am Comic, also das, was erzählt wird. Das wird auch am besten von den Zeichnern erzählt. Das ist bisweilen eindrucksvoller als allzu viele Bilder zu zeigen, obwohl wir das begleitend zu den Gesprächen natürlich auch tun."

    Erklärt Andreas Platthaus, der zusammen mit Christian Gasser die Graphic Novel Tage kuratiert und moderiert. Platthaus ist Literaturredakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und ausgewiesener Comicliebhaber und –experte. Vier Tage Diskussionen über Comics, begleitet von einem Workshop des spanischen Zeichners Max, so versucht man in Hamburg, sich dem Comic aus Perspektive der sogenannten Hochkultur zu nähern. Bei der ersten Ausgabe letztes Jahr ist das durchaus gelungen. Mit tiefer gehenden Diskussionen hat man ein literarisch interessiertes und durchaus älteres Publikum erreicht, als es sich auf Comicfestivals und –messen tummelt.
    Dem jungen englischen Zeichner Luke Pearson, der dieses Jahr eingeladen ist, dürfte das vielleicht gar nicht so sehr gefallen:

    "Ich fand es manchmal etwas frustrierend, dass vor allem Erwachsene zu meinen Lesungen und Signierstunden kamen."

    Der 26-jährige Pearson ist Autor der sehr erfolgreichen Reihe um ein kleines Mädchen namens Hilda, das so einiges sehen kann, das Erwachsenen verborgen bleibt. Mit der Serie hat er junge und erwachsene Fans gleichermaßen erreicht.

    "In Frankreich kamen mal vor allem Kinder zu einer Lesung. Sie haben mir tolle Fragen gestellt, die Erwachsene nie stellen. Sie wollten wissen, warum der Mann aus Holz keine Augen hat, wer Hildas Vater ist, oder warum Hilda blaue Haare hat. Lauter schwierige Fragen, auf die ich keine Antworten hatte. Da musste ich mir schnell was einfallen lassen."

    Luke Pearson wird mit dem deutschen Zeichner Ulf K. über den Unterschied zwischen Erwachsenen- und Kindercomics diskutieren. Und der Hamburger Zeichner Sascha Hommer trifft auf den Spanier Max, beide sind Herausgeber von Anthologien, in denen junge Zeichner sich ausprobieren können. Hommers Anthologie namens "Orang" ist allerdings dieses Jahr zum zehnten und letzten Mal erschienen.

    "Ich finde tatsächlich, dass sich das Format der umfangreichen Comic-Anthologie so ein bisschen überholt hat. Auch weil die Verlage viel besser aufgestellt sind, als noch vor zehn Jahren, als ich angefangen habe, die Anthologie zu betreiben. Auslandsrechte von deutschen Zeichnern werden viel öfter verkauft."

    Dennoch ist das Medium hierzulande noch lange nicht so populär wie in den USA, Frankreich, Italien oder Belgien. Es ist also durchaus Absicht, dass in Hamburg immer ein deutscher und ein nicht deutschsprachiger Zeichner aufeinandertreffen – man möchte von den ausländischen Autoren auch profitieren.

    "Uns interessiert der Austausch zwischen Vertretern sehr etablierter Comicnationen und eben den deutschen Zeichnern. Wir wollen darauf schauen, dass wir die Aufmerksamkeit auf deutsche Zeichner letztlich über unsere internationalen Gäste auch etwas schärfen wollen. Dass wir die miteinander ins Gespräch bringen wollen und darauf hoffen, dass sich daraus auch Partnerschaften entwickeln. Es soll letztendlich ein großes Austauschforum auch über Comics sein."

    Ob Comics respektive Graphic Novels nun Literatur sind oder nicht, diese Frage wird im Hamburger Literaturhaus nicht mehr Thema sein. Comics sind ein eigenes Medium, das unter anderem literarischen Charakter hat, und Punkt. Bleibt noch die Frage nach Populär- oder Hochkultur: Bei den Hamburger Graphic Novel Tagen werden Comics auf jeden Fall als Hochkultur behandelt. Und auch die Veranstaltung mit Luke Pearson und Ulf K. wird am Abend stattfinden, da werden sich im Publikum wohl kaum Kinder finden. Weshalb die dringende Frage, weshalb Hilda blaue Haare hat, nun noch für ihre jüngeren Fans beantwortet sei:

    "Weil es cool aussieht. Das ist der einzige Grund."