Christoph Heinemann: Am Telefon ist der SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs. Guten Tag!
Johannes Kahrs: Moin!
Heinemann: Herr Kahrs, wir haben Sie heute nicht angerufen, weil Sie Sprecher des Seeheimer Kreises sind, sondern weil Sie längst hinter sich haben, was Thomas Hitzlsperger nun hinter sich gebracht hat. Sie haben sich 1998 zu Ihrer Homosexualität bekannt, als Sie in den Bundestag gewählt wurden. Wie schwer fiel es damals, wie schwer fällt es heute, Homosexualität öffentlich zu machen?
Kahrs: Also ich glaube, dass es mit der Zeit immer einfacher geworden ist. Die Gesellschaft ist in Teilen auch toleranter geworden. Es hat ja auch unter Rot-Grün dann die Lebenspartnerschaftsgesetze gegeben. Aber man braucht eben Vorbilder, und deswegen ist dieser Schritt so begrüßenswert.
Die Bundesregierung hat das ja begrüßt, gleichzeitig sind ja CDU, CSU diejenigen, die Lesben und Schwulen noch die Gleichstellung, die Gleichberechtigung verwehren. Deswegen sagen die, dass sie diskriminiert werden. Das ist eine Debatte, die ist halt schwierig, und da hilft jeder positive Lichtblick.
Heinemann: Wir haben es gerade im Beitrag von Philipp May gehört, diese Witzeleien - erleben Sie das auch, werden Sie beschimpft? Das Internet ist ja durchaus auch eine Dreckschleuder.
Kahrs: Also eher nicht. Ich muss sagen, ich bin auch etwas robuster gebaut, ich bin auch nicht schüchtern, da traut sich auch keiner. Ich habe ... Am Rande kriegt man mal eine blöde Bemerkung ab, das kriegt dann halt jeder zurück, das ist ... Da bin ich relativ schmerzbefreit. Aber ich bin auch 50 Jahre alt und relativ selbstbewusst.
Coming-out: Problem für jüngere Homosexuelle
Das Problem ist: Was machen Sie mit 16-, 20-Jährigen, die sich outen wollen, nicht wissen, ob sie zu Hause ankommen, jemanden, der im Beruf abhängig beschäftigt wird und einen Chef hat, der blöde Sprüche bringt, die haben ein echtes Problem.
Heinemann: Wie reagieren Sie auf blöde Bemerkungen?
Kahrs: Ich gebe die blöde Bemerkung zurück, und das hat noch nie einer zwei Mal gemacht.
Heinemann: Wie viel Energie erfordert es, wenn man seine Homosexualität verstecken will?
Kahrs: Das prägt das Leben. Also ich kenne sehr viele, die es noch tun, sich noch nicht geoutet haben, und man baut sein ganzes Leben darum auf. Und das macht auch krank. Das ist nicht lustig. Und insbesondere, wenn man nicht mit einem überreichen Selbstbewusstsein gesegnet ist, kann das Menschen auch kaputt machen, und je jünger jemand ist und je unsicherer jemand ist, in welche Richtung er tendieren soll, umso wichtiger ist, dass er Menschen hat, mit denen er reden kann, dass er Vorbilder hat, dass Gesellschaft, Sport und Politik da eine Ansage machen.
Heinemann: Herr Kahrs, alle loben jetzt Thomas Hitzlsperger. Ist das eine politisch korrekte Reaktion, die möglicherweise auch Unehrlichkeit und Vorurteile verbirgt? Es fällt ja schon auf, dass das alles in eine Richtung geht.
Kahrs: Ich würde mal sagen, der Mix macht’s. Es ist natürlich so, dass der Zeitgeist so ist. Öffentlich möchte niemand sagen, dass er das komisch findet oder seltsam. Aber es ist natürlich so: dass sich jemand erst nach seiner Karriere outet, spricht ja auch Bände, das heißt, es ist immer noch schwierig, und da hängen ja auch Werbeverträge dran, da hängt die Bezahlung dran, die Frage, ob man ins Ausland gehen kann, ob man in Spanien oder in Italien genommen wird. Das ist nicht einfach für den Betreffenden.
Heinemann: Ist die Welt des Sports noch stärker an Vorurteilen ausgerichtet? Man erlebt ja immer wieder auch rassistische Äußerungen. Also leben die Fankurven noch so ein bisschen im Urwald?
Kahrs: Na ja, ich glaube, es gibt eben Orte in der Gesellschaft, da kann man noch mal die Sau rauslassen, und da kommt dann eben doch das raus, was anderswo vielleicht durch den gesellschaftlichen Druck dann nicht mehr so gesagt wird, also der berühmte Stammtisch, wo dann noch mal jeder die Sau rauslässt. Aber das zeigt, dass das noch nicht selbstverständlich ist, dass unter dieser zivilisatorischen Kruste dann doch immer noch was schlummert, und ich wohne in Hamburg, in St. Georg, das ist ja ein halbes Getto, und das Gleiche in Berlin, ist auch nicht wirklich schwierig.
Es braucht Vorbilder in der Gesellschaft
Aber es gibt durchaus Gegenden in Deutschland, da ist das schwieriger, und es gibt gesellschaftliche Gruppen, Organisationen und Verbände, da ist es auch schwierig, und da braucht es eben Vorbilder, und deswegen ist dieser Schritt so begrüßenswert. Und auch die Debatte, ob sie nun ein bisschen verlogen ist oder nicht, hilft, weil sie denjenigen hilft, die sich noch outen wollen, die sich selbst noch nicht im Klaren sind, wie sie mit sich selber, der Gesellschaft dann mal irgendwann klarkommen.
Heinemann: Herr Kahrs, der DFB-Berater Gunter A. Pilz hat in einem Interview gesagt, Hitzlsperger ist als durchaus harter und aggressiver Spieler bekannt geworden und hat gezeigt, dass dieser Mythos, nämlich Schwule wären Weicheier, Zitat, ad acta gelegt ist. Ist das ab gestern oder ab dieser Veröffentlichung jetzt selbstverständlich?
Kahrs: Na ja, Vorurteile kriegen Sie relativ schwierig aus der Welt. Das ist ein langer Weg. Und es gibt bei Lesben und Schwulen, sage ich mal, die gleichen Stärken und Schwächen wie bei allen anderen auch, da gibt es mehr die Harten, mehr die Weichen, das ist eben halt ganz normal. Und das klarzumachen ist halt das Schwierige.
Und deswegen, wie gesagt, ist dieses Vorbild gut, aber es ärgert einen natürlich, dass diejenigen, die das jetzt alle loben, zum Beispiel die Politik, und da noch mal mein geschätzter Koalitionspartner selber, diskriminieren, weil sie die Gleichstellung nicht ermöglichen und damit natürlich auch das Klima schaffen, dass Leute dann randalieren, und dann die Bundeskanzlerin erklärt, dass Gleichstellung von Lesben und Schwulen ihr nicht wichtig ist und nicht prioritär.
Heinemann: Sie haben eben gesagt, das ist ganz normal. Was entgegnen Sie den Menschen, die homo- oder heterosexuelle Partnerschaften eben unterschiedlich bewerten?
Kahrs: Also im Wahrnehmen ist es so, dass man mit einem flotten Spruch da nicht weiterkommt, sondern wenn dir an dem Menschen was liegt, dann setzt man sich hin und argumentiert und diskutiert und guckt, dass man ihn mitnimmt, weil Vorurteile gehen ja in beide Richtungen, und ich glaube, dass das machbar ist, dass man das auch hinbekommt, auch wenn es einen manchmal ärgert.
"Ich würde mich über jeden freuen, der sich outet"
Aber wissen Sie, das Kernproblem sind eben nicht 30-, 40-, 50-Jährige, die sind auch relativ stabil, sondern das sind eben die Jüngeren, die sich mit 16, 18, 20 nicht trauen, selber nicht genau wissen, was Sache ist, nicht wissen sollen, ob sie mit ihren Eltern reden sollen, ihren Klassenkameraden in der Schule oder im Betrieb, und um die mache ich mir wirklich Sorgen, weil das ist für die heute noch genauso schwierig wie vor 10, 20 oder 30 Jahren.
Heinemann: Was raten Sie also aktiven schwulen oder lesbischen Spitzensportlern?
Kahrs: Ich glaube, das muss jeder mit sich selber ausmachen. Ich würde mich über jeden freuen, der sich outet. Aber ehrlicherweise hat jeder ein Umfeld, hat auch zu seinem eigenen Schutz Geschichten erzählt. Die Frage ist: Wie kommt man da raus? Man hat Werbeverträge, hat vielleicht nur eine begrenzte Anzahl von Jahren, wo man Geld verdienen kann, bevor man dann auch beim Sport nicht mehr aktuell ist. Das, glaube ich, kann man niemandem vorschreiben, niemanden nötigen, das muss jeder mit sich selber klarmachen.
Heinemann: Der SPD-Politiker Johannes Kahrs. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
Kahrs: Immer gerne. Tschüss!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
