Ringen um Unabhängigkeit
Die Commerzbank unter Druck

Die italienische UniCredit greift nach der Commerzbank – in Frankfurt wächst die Unruhe. Während Politik und Belegschaft warnen, sehen Fachleute auch Chancen für Europas Banken.

    Das Logo des Commerzbank ist an einer Filiale in Sichtweite der Zentrale des Geldinstituts angebracht.
    Noch bleibt die Übernahmefrage der Commerzbank offen, aber die neue Bundesregierung setzt eindeutig auf die Eigenständigkeit (dpa / Frank Rumpenhorst)
    Die Commerzbank stemmt sich weiter gegen die Übernahmeambitionen der italienischen UniCredit. Auf der Hauptversammlung in Wiesbaden machten Beschäftigte ihrem Ärger Luft. Auch Management und Aktionärsvertreter nutzten die Gelegenheit, um dem als feindlich empfundenen Vorgehen von UniCredit-Chef Andrea Orcel deutlich zu widersprechen. Worum geht es genau? Und was steht auf dem Spiel?

    Inhalt

    Wie geriet die Commerzbank ins Visier der UniCredit?

    Die Commerzbank ist die zweitgrößte deutsche Privatbank. Doch hinter der Fassade brodelt es. Trotz guter Zahlen sind Aktionäre verunsichert, Mitarbeitende fürchten um ihre Jobs, selbst die Bundesregierung ist involviert.
    Auslöser: Im September 2024 kündigt der Staat, der seit der Finanzkrise Großaktionä istr, an, seine Anteile schrittweise zu verkaufen. Kurz darauf steigt die italienische UniCredit mit über neun Prozent ein – das Interesse an einer Übernahme hatte sie schon früher signalisiert. Gerüchte über eine Fusion verbreiten sich rasch.
    Dann stoppt die Bundesregierung den Verkauf ihrer Anteile – aus Sorge um den Bankenstandort Deutschland. Auch intern reagiert die Commerzbank: Bettina Orlopp, zuvor Finanzvorständin, übernimmt den Vorstandsvorsitz.
    UniCredit erhöht ihren Anteil aber weiter – auf 21, dann fast 30 Prozent. Ab 30 Prozent müsste sie ein offizielles Übernahmeangebot machen. Die Commerzbank geht in den Abwehrmodus, kündigt Kostensenkungen und Stellenabbau an.
    Bankprofessor Hans-Peter Burghof erklärt: „Übernahmen zählen zu den spannendsten Vorgängen in der Wirtschaft – insbesondere dann, wenn das übernommene Unternehmen sich wehrt.“ Solche Prozesse hätten oft „die Züge eines großen Dramas mit enormer Fallhöhe“. Es gehe „um Milliardenbeträge und um tausende Arbeitsplätze – das macht Übernahmeschlachten so besonders.“

    Wie reagiert die Commerzbank auf die Übernahmepläne der UniCredit?

    Die Commerzbank zeigt sich überzeugt, ihre Effizienzziele auch ohne UniCredit zu erreichen. Vorstandschefin Bettina Orlopp sagte gegenüber NTV, man habe in den vergangenen Jahren alle Profitabilitätsziele übertroffen. Übernahmeangebote werde man prüfen, sie müssten sich aber an der „exzellenten eigenständigen Strategie“ messen lassen.
    Diese Strategie sieht unter anderem vor, bis 2028 fast 4.000 Stellen abzubauen, die Gewinne auf über 4 Milliarden Euro jährlich zu steigern und die Dividende zu erhöhen. Nach dem ersten Quartal 2025 meldete die Bank bereits steigende Gewinne. Aktionärsvertreter Klaus Nieding sieht darin eine Reaktion auf den Übernahmedruck: „Man bemüht sich, man hübscht sich auf“ – leider würden Manager oft erst dann aktiv. Eine Übernahme durch UniCredit hält er für riskant: Sie könne die Commerzbank schwächen und sie zur „Frankfurter Niederlassung der Italiener“ machen.
    Auch aus Sicht der Beschäftigten ist die Lage kritisch. Kevin Voss von ver.di warnt vor einem massiven Filialabbau wie einst bei der HypoVereinsbank – das sei nicht im Sinne von Mitarbeitenden, Kunden oder Volkswirtschaft. Zugleich räumt er ein: Auch die aktuelle Commerzbank-Spitze plane harte Einschnitte – ein Dilemma für die Belegschaft.

    Welche gesamtwirtschaftlichen Folgen hätte eine Übernahme durch UniCredit?

    Was hinter den Kulissen des Übernahmedramas passiert, bleibt unklar. Sicher ist: Sollte UniCredit ihren Anteil weiter ausbauen, hätte das Folgen – für Beschäftigte, den Bankenstandort Deutschland und womöglich die gesamte Wirtschaft, meint Bankenexperte Hans-Peter Burghof.
    „Wir haben in Deutschland ein Wirtschaftssystem, das von technologisch starken mittelständischen Unternehmen getragen wird“, so Burghof. Diese bräuchten Kapital, seien aber oft zu klein für den Kapitalmarkt. „Die brauchen Banken, mit denen sie in enger Beziehung stehen – eine Hausbank.“ An erster Stelle stehe die Commerzbank, gefolgt von der HypoVereinsbank – „die allerdings schon zu UniCredit gehört“. Eine Fusion würde den Wettbewerb „in diesem Segment deutlich reduzieren“.
    Christina Bannier, Professorin an der Universität Gießen, sieht das anders. Sie verweist auf das Drei-Säulen-Modell mit Sparkassen, Genossenschafts- und Privatbanken. „Natürlich ist die Commerzbank für den Mittelstand wichtig“, sagt sie, „aber sie ist nicht allein dafür zuständig.“ Die Positionierung als Mittelstandsbank sei auch „ein Stück weit Werbung“.
    Auch das Bundeskartellamt sieht keine Gefahr für den Wettbewerb und erlaubte UniCredit, auf bis zu 29,99 Prozent aufzustocken.
    Bannier hält die gesamtwirtschaftlichen Risiken für gering. Der Bankensektor sei wenig profitabel – auch wegen des starken Wettbewerbs. Größere Institute könnten Fixkosten besser tragen. Übernahmen seien daher ein Weg zu mehr Effizienz.

    Welche Rolle spielt die europäische Perspektive?

    Auch die Europäische Zentralbank signalisiert Offenheit gegenüber einem Einstieg der UniCredit bei der Commerzbank. Ein möglicher Grund: Eine grenzüberschreitende Bankenfusion könnte als Fortschritt für die europäische Bankenunion gewertet werden – also für eine stärkere Integration des bislang national zersplitterten EU-Bankensektors.
    Immer wieder heißt es, die EU leiste sich in Bezug auf ihre Bankenlandschaft 27 Alleingänge. Der Vergleich mit den USA zeigt den Unterschied: Dort haben Unternehmen Zugang zu einem einheitlichen, hochentwickelten Kapitalmarkt – in der EU hingegen agieren die Länder oft noch allein.
    UniCredit-Chef Andrea Orcel stellt die Debatte um die Commerzbank deshalb in einen größeren Zusammenhang. Europa brauche Wachstum – und dafür leistungsfähige Banken. „Wenn Banken nicht groß und stark genug sind, können wir alle Pläne dieser Welt haben – aber wir werden sie nicht finanzieren können“, sagt Orcel. Effizienz sei keine Frage der Meinung, sondern eine Notwendigkeit.

    Was würde eine Übernahme der Commerzbank für Deutschland bedeuten?

    Der Commerzbank-Tower in Frankfurt droht zum Symbol vergangener Größe zu werden – davor warnt Kevin Voss von der Gewerkschaft ver.di. Bei einer Übernahme sei es „ein sehr realistisches Szenario“, dass die Zentrale geschlossen werde.
    Sollte UniCredit die Commerzbank übernehmen, bliebe in Deutschland faktisch nur noch eine große unabhängige Privatbank: die Deutsche Bank. Das sorgt für politische Unruhe. Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) warnt vor einem Verlust von Stabilität und Souveränität am Finanzplatz Frankfurt. „Die Commerzbank ist ein Flaggschiff – ein Schatz, den wir haben“, so Rhein.
    Finanzprofessorin Christina Bannier erkennt in der Debatte auch emotionale Motive: Es sei nachvollziehbar, dass man seine „Kronjuwelen“ nicht in ausländische Hände geben wolle. Aus wirtschaftlicher Sicht gebe es aber gute Gründe, nicht auf nationale Eigentumsverhältnisse zu fixieren.
    Entscheidend sei die Stabilität und Profitabilität von Banken. „Banken, die nicht profitabel arbeiten, sind immer auch ein Risiko für die Stabilität“, warnt Bannier. Sie könnten Krisen zu spät erkennen – mit potenziellen Kosten für den Steuerzahler. Deshalb brauche es ein leistungsfähiges, stabiles Bankensystem – im Interesse aller.

    Wie geht es in der Übernahmeschlacht um die Commerzbank weiter?

    Einigkeit herrscht unter den Bankenprofessoren Christina Bannier und Hans-Peter Burghof: Der Staat will sich langfristig aus der Bankenstützung zurückziehen. Doch der Bund hält noch rund 12 Prozent an der Commerzbank – ganz loslassen fällt schwer. Burghof sieht die Bundesregierung in einem Dilemma: Privatisierung könne dazu führen, dass UniCredit weiter zukauft. Selbst bei breiter Streuung werde mehr Marktmasse verfügbar – das könne eine Fusion begünstigen.
    UniCredit-Chef Andrea Orcel hoffte vor der Bundestagswahl auf Gespräche mit der neuen Regierung. Doch Finanzminister Lars Klingbeil erteilte dem eine klare Absage: Man setze auf Eigenständigkeit, das Vorgehen der UniCredit sei „inakzeptabel“.
    Die Übernahmefrage bleibt offen. UniCredit will innerhalb eines Jahres entscheiden, ob es ein offizielles Angebot gibt. Parallel prüft Orcel auch eine Übernahme der italienischen Banco BPM. Die Wahrscheinlichkeit einer größeren Übernahme liege bei „über 50 Prozent“ – welches Institut gemeint ist, ließ er offen.

    Gregor Lischka