Gelehrte streiten seit Jahrzenten, ob Shakespeare den Sommernachtstraum, den Hamlet oder die Königsdramen mit eigener Hand geschrieben hat, oder sie von anderen hat schreiben lassen. Es sind bereits knapp 80 Autoren als angebliche Ghostwriter Shakespeares diskutiert worden. Sehr viel übersichtlicher ist ein alter Streit in Frankreich. Hier geht es um die Frage: Hat Molière seine Stücke selber geschrieben, oder ist sein Kollege Pierre Corneille der eigentliche Urheber? Französische Computerlinguisten haben nun Stücke von Molière, von Corneille und einem Dutzend anderer Autoren des 17. Jahrhunderts neu analysiert. Im Fachblatt "Science Advances" kommen sie zu dem Ergebnis: Molière hat sehr wahrscheinlich seine Stücke doch selbst geschrieben.
Die Autorenschaft Molières wird seit genau 100 Jahren angezweifelt. Bei der Lektüre der Komödie Amphytrion hat der Literaturwissenschaftler und Romancier Pierre Louys stilistische Ähnlichkeiten mit Stücken des von ihm sehr verehrten Pierre Corneille entdeckt. Er meinte, die Handschrift Corneilles ausmachen zu können. Dann beginnt er, die Biografie Molières zu studieren und bemerkt, dass vieles nicht klar verbürgt ist. Dann stößt er auf ein weiteres Problem: Es gibt keine handschriftlichen Manuskripte Molières. Das alles bringt ihn zu der zugespitzten These, Molière sei ein Meisterwerk von Corneille.
Prinzipiell wäre es möglich, dass Corneille ein Ghostwriter von Molière war. Molière hat in Rouen nachweislich Stücke von Corneille gespielt. Später in Paris sind sie sich am Hof Ludwig des XIV. immer wieder begegnet und haben eng zusammen gearbeitet.
Ein wichtiges Argument, Molières Autorenschaft in Zweifel zu ziehen ist dessen fehlende Zeit, zu schreiben. Jean-Baptiste Poquelin, alias Molière, stand selbst bis zu drei Mal täglich auf der Bühne, leitete eine Theater-Gruppe, studierte neue Stücke ein und organisierte Festlichkeiten für Ludwig XIV. Zum anderen hatte Molière keine formalisierte Bildung, die ihm Zugang zum nötigen Fachwissen für die Theaterproduktion verschaffte.
Molière gilt als stilprägend für das Französische
Die etablierte Literaturwissenschaft hat sich mit den Argumenten kaum beschäftigt. Es war und blieb eine Minderheitenmeinung. Da Molière als stilprägend für das Französische gilt. Dann aber haben neue Techniken um die Jahrtausendwende neue Argumente geliefert. Dominique Labbé und sein Sohn Cyril von der Universität Grenoble haben erstmals computergestützte Analysen vorgelegt. Sie haben vor allem den von Molière und Corneille benutzten Wortschatz untersucht und daraus abgeleitet, wie nah Texte sich sind, also die intertextuelle Distanz gemessen. Und sie kommen zu dem Schluss: 16 bis 18 Komödien, die angeblich von Molière sind, weisen eine so große Nähe zu Stücken von Corneille auf, dass sie wohl von Corneille sind.
Neue Ergebnisse aus aktueller Molière-Studie
Die aktuelle Studie aus dem Fachblatt "Science Advances" kommt jedoch zu dem Ergebnis, dass Molière selbst der Autor der Stücke sei. Hier haben Forscher ebenfalls computergestützte Analysen vorgenommen. Sie waren der Meinung, dass nur das Lexikon zu untersuchen nicht ausreiche, um die Nähe von Texten zueinander zu bestimmen. Daher haben sie noch weitere zu analysierende Faktoren benutzt.
Daraus haben sie einen stilistischen Fingerabdruck der Autoren generiert. Tatsächlich haben die Texte Molières und die Texte Corneilles sowie die der anderen Autoren jeweils sehr klare Cluster gebildet, was für eine sehr große stilistische Nähe der Texte zueinander spricht. Die jeweiligen Cluster waren relativ weit voneinander entfernt. Corneilles und Molières Texte unterscheiden sich somit stark voneinander.
Damit ist zwar nicht bewiesen, dass Molière alle seine Stücke selbst geschrieben hat, doch ist es plausibel, dass er der tatsächliche Autor der in der Studie untersuchten Texte ist.
Damit ist zwar nicht bewiesen, dass Molière alle seine Stücke selbst geschrieben hat, doch ist es plausibel, dass er der tatsächliche Autor der in der Studie untersuchten Texte ist.