Donnerstag, 28. März 2024

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Computerspiel "Death Stranding"
Das bizarre Game von Stardesigner Hideo Kojima

Hypnotisch, anstrengend, bizarr und moosig: Das ist "Death Stranding", das neueste Werk des berühmten Computerspieldesigners Hideo Kojima. Wenig war im Vorfeld über das Spiel bekannt geworden, jetzt ist es erschienen und man fragt sich: Ist das Kunst oder kann das weg?

Von Christian Schiffer | 11.11.2019
Ausschnitt aus dem Computerspiel "Death Stranding": Am Eingang einer Höhle ist die Silhouette eines Mannes zu erkennen.
Ausschnitt aus dem Computerspiel "Death Stranding" (IGDB/ Kojima Productions)
Langsam kämpfen wir uns voran - wankend, schwankend, nach Luft schnappend. Auf dem Rücken: ein Turm aus gestapelten Aluminiumbehältern, beinahe so hoch, wie wir selbst. Die Welt um uns herum ist kalt und moosig, es sieht aus wie in Grönland, nur, dass hier sogar noch weniger Menschen anzutreffen sind. Denn der Tod ist in dieser Welt gestrandet, unheimliche, schattenähnliche Wesen bevölkern die Erde. Und dann ist das noch dieser Regen, der alles, was er berührt, schneller altern lässt. In dieser toten, lebensfeindlichen, und ja, in so ziemlich all ihren Aspekten furchtbar deprimierenden Welt, sind wir der Kurier, der die wenigen Menschen in ihren Bunkern mit Dingen versorgt, die diese dringend benötigen.
Was soll das eigentlich?
"Death Strandig" heißt das neue Spiel von Hideo Kojima, einem der wichtigsten zeitgenössischen Computerspiel-Designer. Wenig war im Vorfeld bekannt geworden über sein neuestes Werk. Der Japaner selbst meinte, er würde sein Spiel nicht so ganz verstehen und wüsste auch nicht so genau, was er da eigentlich kreiert hat.
In diesen Tagen dürften Millionen Menschen hinzukommen, die "Death Stranding" ebenfalls nicht verstehen, stundelang durch wunderschöne, tote Moorlandschaften stampfen und sich fragen: Was soll das eigentlich?
Natürlich: Es gibt eine Story, und in der geht es darum, die Schwester aus den Händen von Terroristen zu befreien und dabei die United Cities of America aufzubauen, ein Netzwerk aus Städten. Aber diese Rahmenhandlung ist eingebettet in ein kompliziertes Gewebe aus Andeutungen, Querverweisen und manchmal geradezu bestürzend bizarren Lächerlichkeiten, wie etwa die Tatsache, dass uns während unserer Arbeit als DHL-Hightech-Bote die ganze Zeit ein lebender Säugling in einer Art Einmachglas um den Hals baumelt.
Doch da sind sie dann wieder: die erhabenen, die wuchtigen Momente. Wir schleppen uns durch diese hypnotisierende Welt, dazu ertönt sphärische Musik, wie man sie bisweilen oft auf bestuhlten Hipster-Konzerten zu hören bekommt, aber viel zu selten in Computerspielen.
Peinlich statt Pynchon?
Und so plackern wir uns ab - leiden, fallen hin, richten unser Krönchen, wühlen uns durch komplizierte Menüs, versuchen, das Gleichgewicht zu halten, verteilen die Last neu, kippen fast um, beruhigen den immer noch an unserem Hals hängenden Säugling, machen weiter und weiter und weiter und trotzen "Death Stranding" seine magischen, ja poetischen Seiten ab.
Das Spiel fühlt sich bisweilen an wie ein ludologischer Bandscheibenvorfall, aber genau deswegen kann man es auch lesen als eine Allegorie auf den modernen Foodora-/Lieferando-/Uber-Plattform-Kapitalismus, der die Arbeiter lieber mit Sternchen abspeist, anstatt ihnen einen fairen Lohn zu zahlen. Man kann "Death Stranding" auch als Kritik verstehen an modernen Computerspielen, die einen dauernd von Aufgabe zu Aufgabe schicken, sodass sie sich manchmal weniger nach Spiel anfühlen, als vielmehr nach Arbeit. Eine denkbare Interpretation wäre allerdings auch, das dargebotene Bildschirmgeschehen unter dem hässlichen Wörtchen "Kunstquatsch" zu subsumieren. Vielleicht ist "Death Stranding" nicht viel mehr als Hape Kerkelings "Hurz" in schöner Grafik. Peinlich, statt Pynchon.
Aber so ist es dann auch wieder nicht. Nüchtern lässt sich feststellen, dass "Death Stranding" ein seltsames Spiel ist. Es ist nicht wirklich ein gutes Spiel, aber das beste Spiel, das eigentlich nicht wirklich gut ist. Ein Spiel, bei dem man auch nach 70 Stunden nicht genau weiß, was das jetzt nun eigentlich soll – und dass sich, genau deswegen, völlig richtig anfühlt.