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Computerspiele
Das passende Adventure zum postfaktischen Zeitalter

Spätestens seit Donald Trump wird intensiv über Fake News diskutiert. Und diese Debatte geht auch nicht spurlos am Medium Computerspiel vorbei. Ein Spiel aus Deutschland nimmt sich dem Thema nun an.

Von Christian Schiffer | 28.02.2018
    Screenshot aus "Orwell: Ignorance is Strength"
    "Orwell: Ignorance is Strength" spielt geschickt mit den Themen Überwachung und Fake News (Osmotic)
    Vorname: Rhaban, Nachname: Vhart. Geburtsdatum: 15. August 1972, Nationalität: Pargasier, Gerätenummer seines Notebooks: PC-94749-0665. Sozialversicherungsnummer: 632-874-002. Im Internet hat er einmal Sympathie geäußert für die radikale Untergrundorganisation FTP, aber das ist lange her, elf Jahre schon, solche nicht mehr ganz tau-frischen Informationen sind leider schwer zu verwerten. In seiner Krankenakte finden wir seine Adresse und auf Facebook hat er erst vor zwei Tagen geschrieben, dass er mit dem Verschwinden des Agenten Oleg Bakay nichts zu tun hatte. Aber ganz ehrlich: Wer weiß schon, ob das stimmt, immerhin betreibt Herr Vhart das regierungskritische Internetportal "The People's Voice".
    In dem Adventure "Orwell: Ignorance is Strength" sitzen wir als Agent am Monitor und schnüffeln im Dienste der Regierung des fiktiven Staats The Nation im Privatleben anderer Menschen herum, wir scannen Profile von Internet-Netzwerken, lesen den E-Mail-Verkehr mit, stöbern in sehr intimen Akten herum und hören Telefongespräche ab.
    "Orwell: Ignorance is Strength" ist der Nachfolger von "Orwell: Keeping an Eye on You", das 2016 sowohl Kritiker als auch Spieler begeistern konnte - und das weltweit. Das Spielprinzip und auch das Kernthema sind gleich geblieben, es geht um die Überwachungsgesellschaft, Inspirationsquellen waren Filme wie "Das Leben der Anderen" und: die Realität. Der Vorgänger entstand unter dem Eindruck der Snowden-Enthüllungen. In "Orwell: Ignorance is Strength" kommt nun ein weiteres Thema hinzu, erzählt Mel Taylor von Osmotic, dem kleinen Hamburger Spielestudio, in dem "Orwell" entstanden ist:
    Screenshot aus "Orwell: Ignorance is Strength"
    Würden Sie mithören? (Osmotic)
    "Es geht um dieses Sich-selbst-Darstellen im Internet und generell darum, wie Dinge im Internet dargestellt werden und dass man dem nicht immer trauen kann. Das ist in letzter Zeit sehr oft aufgekommen, weil Leute in ihrer eigenen Medienblase bleiben und nur das glauben, was sie glauben möchten. Und dadurch, dass das Internet da sehr selektiv ist und man immer seine Meinung bestätigt bekommt, ist das für uns naheliegend gewesen, dass wir dieses naheliegende Thema noch einmal von einer anderen Perspektive aufgreifen."
    Schnüffeln, Gerüchte streuen, Lügen aufdecken
    Das neue "Orwell" verknüpft das Thema Überwachung geschickt mit dem Thema Fake News. Als Spieler versuchen wir mit Hilfe des perfekt geschmierten Überwachungsapparates, die Lügen aufzudecken, die Raban Vhart mithilfe seiner radikalen Internetseite verbreitet, auf der schon mal gephotoshopte Bilder oder halbwahre Texte veröffentlicht werden. Doch irgendwann werden wir dann selbst zur Fake-News-Schleuder und versuchen, den Unruhestifter zu diskreditieren: Wir streuen Gerüchte, Vhart habe seine Frau nur deswegen geheiratet, um sich eine Aufenthaltsgenehmigung zu erschleichen. Dank Massenüberwachung finden wir dafür sogar genügend Indizien, um diese Behauptung glaubwürdig erscheinen zu lassen. Orwell spielt mit den Erwartungen des Spielers, schlägt den einen oder anderen narrativen Haken und zeigt, dass die Sache mit der Wahrheit oft genug auch eine Frage des Blickwinkels ist:
    "Wir haben immer gesagt, dass wir dem Spieler nicht mit der Moralkeule kommen möchten, es soll offen sein zur Interpretation, sodass man sich selber seine Meinung bilden kann. Aber wir wollen auf jeden Fall dieses Thema aufwerfen, also: Wem kann man glauben und was ist überhaupt Wahrheit und kann man überhaupt von einer absoluten Wahrheit reden? Wir wollen den Spieler darüber zum Nachdenken bringen, dass Informationen im Internet nie so ganz wahr oder sind und dass man sehr viel interpretiert. Und dass man dazu neigt, zu sagen: Das sind Fakten und das sind Lügen und das ziemlich selektiv."
    Screenshot aus "Orwell: Ignorance is Strength"
    Alle Fakten über eine Person in postfaktischen Zeiten (Osmotic)
    Diese Botschaft hat vielleicht etwas Irritierendes an sich, schließlich haben diverse Zeitungsredaktionen damit begonnen, Anti-Fake-News-Abteilungen auszuheben, in Anti-Fake-News-Bootcamps wird Journalisten die sachgemäße Bedienung der Google-Rückwärtssuche eingehämmert, Start-ups schaffen Services, mit denen man noch schneller und noch effizienter Fake News erkennen und mit chirurgischer Präzision bekämpfen können soll. Es ist eben offenbar nicht so, dass Wahrheit nur vom Betrachter abhängt und von der Lüge kaum zu unterscheiden ist. Aber so leicht macht es sich "Orwell" auch nicht. Das Spiel lehrt, dass es sinnvoll ist, sich eine gesunde Skepsis zu bewahren - und zwar auch den Alternativ-Medien gegenüber, die wiederum skeptisch gegenüber den Mainstream-Medien sind. Und das macht "Orwell: Ignorance is Strength" zum passenden Begleitspiel des postfaktischen Zeitalters.