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Computerspiele
Zocken im Unterricht

Der Medienspielpädagoge Jürgen Sleegers spricht sich dafür aus, Computerspiele im Schulunterricht einzusetzen. Man könne viel über denjenigen erfahren, der das Spiel nutzt, sagte Sleegers im Deutschlandfunk. Außerdem seien die meisten Computerspiele komplexe Systeme – die Schule könne zum Beispiel helfen, die Spielstrategie zu optimieren.

14.08.2014
    Benedikt Schulz: Die Branche ist erwachsen geworden und die Zeiten, in denen Spiele als Teufelszeug galten – also dicke, picklige, einsame, gewalttätige Kinder –, ja, die Zeiten sind vorbei. Und langsam aber sicher dringen die Games auch in einen Bereich, in dem sie lange Zeit nichts zu suchen hatten, nämlich in die Schule. Warum nicht – so fragen Medienpädagogen –, warum nicht das Potenzial nutzen, das in Computerspielen steckt, und zwar für den Unterricht? Und mit einem Medienspielpädagogen spreche ich jetzt, Jürgen Sleegers, er beschäftigt sich seit Jahren mit Computerspielen, hat auch viel zum Thema veröffentlicht, und er betreut gameskompakt, ein Angebot, das medienpädagogische Kompetenzen im Bereich Games bündeln will, unter anderem, indem es kostenlos Unterrichtsmaterialien zur Verfügung stellt. Herr Sleegers, da ist eine Menge Spiel in Ihrem Lebenslauf. Was ist denn Ihr Lieblingscomputerspiel?
    Jürgen Sleegers: Ich greife einfach mal auf den Klassiker zurück: Eins meiner Lieblingscomputerspiele ist schon ein bisschen älter, „Day of the Tentacle", das ist ein, ja, Retro-Game, würde der heutige Jugendliche sagen, ja, ein Grafik-Adventure, eines der ersten, also sehr vielschichtig, sehr toll, und mir fielen direkt auch Ideen ein, wie man dieses alte Spiel auch heute noch mal Kindern schmackhaft machen könnte und selbst, wie man es in den Unterricht einbinden könnte.
    Schulz: Gehören denn Computerspiele – in welcher Form jetzt auch immer – auf den Lehrplan und wenn ja, warum?
    Sleegers: Ja, ich finde schon. Warum ist die richtige Frage. Vielleicht die erste naheliegendste Antwort: weil es Schülerinnen und Schüler interessiert. Da wird mir vielleicht der eine oder andere Lehrer sagen, na ja, es kann ja nicht danach ausgewählt werden, was Schüler interessiert, kommen ja auch Sachen auf den Lehrplan, die Schüler nicht interessieren. Aber ich finde, es sollte auch rein, weil es Schüler interessiert, weil es zu ihrer Lebenswelt dazugehört, weil sie große Expertise besitzen, und diese Expertise – und die ist meistens viel, viel größer als die von den Lehrern in dem Bereich – von den Lehrern angezapft werden kann. Und so kann dieses System einfach auch mal ein Stück weit umgedreht werden, also dass der Lehrer nicht immer mit dem Stein der Weisen vorne steht. Und ich kann ganz viel über Spiele lernen, aber was viel wichtiger ist – und nicht nur für Lehrer, sondern auch für Eltern, wenn die sich mal ins Kinderzimmer trauen –, ich kann sehr viel über denjenigen erfahren, der das Spiel spielt. Und ich kann sehr gut pädagogisch einwirken. Ich kann an Themen wie Ethik anknüpfen.
    Schulz: Sie gehen jetzt schon langsam in die Praxis. Nehmen wir mal ein konkretes Beispiel. Wie kann man Computerspiele sinnvoll in den Unterricht integrieren?
    Sleegers: Da ich oft mit Lehrern zu tun habe und noch immer das große Fragezeichen ist, was passiert eigentlich in Schule, das Konzepte verhindert, oder was passiert da nicht, bin ich sehr stark ein Vertreter davon, erst mal mit Konzepten in die Schule zu gehen, wo ich nicht die große Hardware brauche. Ich muss nicht den IT-Menschen meiner Schule bestechen, dass ich doch was installieren darf, was ich ja sonst eigentlich auf Schulrechnern nicht installieren darf, ich habe diese ganzen Probleme nicht, an Software zu kommen, sondern ich habe die ganze Expertise und die ganzen Experten im Klassenraum sitzen. Ich muss mit denen nicht spielen – ich kann trotzdem über Spiele reden. Darum konzipiere ich gerne Unterrichtsmaterialien, die erst mal ganz vorne anfangen und wo es eigentlich nicht die Ausrede gibt. Ein Beispiel, das geht noch nicht mal nur um Computerspiele, sondern über die gesamte digitale Medienwelt, mit der Kinder, Jugendlichen, Heranwachsende umgehen, das einfach mal aufzugreifen, das auch mal rückzukoppeln und vielleicht auch mal zu überführen: Wie ist denn das, wie könnt ihr Probleme lösen, ohne jetzt das Handy zu nutzen? Also so ganz alltägliche Sachen noch mal zu überführen, um einfach zu verstehen: Welche Bedeutung haben eigentlich die Medien mittlerweile in meinem Leben?
    Schulz: Könnte man denn jetzt beispielsweise, wenn jetzt doch im Unterricht gespielt wird, mit einem Strategiespiel wie Simcity, wo jetzt der Aufbau einer ganzen Stadt simuliert wird, könnte man so was gezielt im Unterricht einsetzen und daran was lernen?
    Sleegers: Ja, wenn Sie solche Spiele spielen, gerade Aufbau-, Strategiespiele, sehr viel drin ist, an dem man gut anknüpfen könnte. Man könnte sagen, ich spiele mit zwei Teams gegeneinander und gucke mir zwei unterschiedliche Stadtentwürfe an. Und Simcity oder andere Spiele – da steht auch nicht drauf, pädagogisch wertvoll und für den Unterricht geeignet. Das finde ich großartig, dass auch genau solche Spiele genommen werden, die von den Kindern, von den Jugendlichen gespielt werden. Diese Spiele werden ja nicht mal kurz einfach programmiert, das sind ja ganz groß-komplexe Systeme, und das spielen aber auch teilweise Acht- oder Zehn-Jährige freiwillig von zu Hause. Die werden aber nicht alles verstehen. Die haben vielleicht das Wissen, um den nächsten Level zu erreichen, aber genau hier kann ja auch Schule wieder angreifen. Wie wäre es vielleicht möglich, die Spielstrategien zu optimieren, weil ich einfach mehr von dem dahinterliegenden System verstehe?
    Schulz: Eine letzte Frage habe ich noch. Sollten denn Lehrerinnen und Lehrer am besten selbst anfangen zu spielen?
    Sleegers: Auch da wieder: Ja. Sie müssen es aber auch nicht übertreiben. Also sie werden nie die Ressourcen haben, die halt der gemeine Heranwachsende hat, einfach Zeitressourcen beispielsweise, und Spielen dauert auch, man braucht auch Zeit. Insofern müssen sie sich von vornherein befreien von der Idee, ich kann jetzt gleichziehen oder kann genauso gut werden oder ich kann genauso viel kennenlernen – aber reinschnuppern und sich das zeigen lassen. Dann muss ich ein Lehrer sein – und ich hoffe, dass es viele dieser Lehrer gibt: Ja, ich kenne mich in dem Bereich Games jetzt nicht so aus, aber lass uns doch mal gemeinsam überlegen und dann zeigt ihr mir mal was. Super! Also da würde ich mich gerne auch wieder in die Schulbank drücken, wenn es diesen Unterricht gäbe.
    Schulz: Sagt Jürgen Sleegers, Medienspielpädagoge mit dem Schwerpunkt Computerspiel. Herr Sleegers, vielen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.