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Conferencier populärer Ängste

Für zwei Jahre zeigt die Temporäre Kunsthalle Berlin auf dem Schlossplatz, dem Standort des späteren Humboldt-Forums, aktuelle internationale Kunst. Zur Zeit ist dort unter anderem ein Ast zu sehen, den der englische Künstler Simon Starling von einem Baum des nahegelegenen Boulevards "Unter den Linden" abgesägt hat, um ihn in der Kunsthalle neu zu installieren. Geschichte von natürlichen und kulturellen Transformationsprozessen zeigt die Ausstellung "Under Lime".

Von Carsten Probst |
    Simon Starling ist der große Entschleuniger, einer, der die eingeübten Sinn-Flüsse zwischen den Alltagsdingen zum Erliegen bringt, indem er diese Dinge auseinandernimmt und neu wieder zusammensetzt. Es ist die Stärke vieler seiner Arbeiten, dass sie sich dabei wie eine Chiffre für die jeweilige Umgebung lesen lassen, in der sie entstehen. Den Turner Prize erhielt der Schotte 2005 unter anderem für eine in ihrer Schlichtheit geradezu bezaubernde Aktion.

    Aus dem Holz einer alten Hütte zimmerte er ein Boot, mit dem er anschließend den Rhein bis hinauf nach Basel paddelte, wo er in einem Museum das Boot auseinandernahm und daraus wieder eine Hütte baute. Damit ist auch das Prinzip seiner Arbeit eigentlich erklärt: Die Wandelbarkeit der Form und der Benutzung des Materials, einmal als feste Bleibe, dann wieder als Fortbewegungsmittel. Die vormoderne Art der Bewegung, die lange Zeit, die man auf diese Weise für den Weg nach Basel braucht, Zeit, die heute allenfalls noch Freaks haben, und natürlich auch das Handwerkliche, der Do-it-yourself-Aspekt, das Kostengünstige und Autonome. Das gewohnte und mittlerweile globalisierte Konsumverhalten wird bei Starling gezielt gegen den Strich gebürstet.

    "Zufall spielt oft eine große Rolle in meinen Arbeiten, auch ein Gespür für das Hervorgehen eines Projekts aus einem vorherigen. Ein kleines Stück Information, das du irgendwo erhältst, macht plötzlich Sinn in einem ganz anderen Zusammenhang. Es ist wie eine große Tasche mit halb ausgegorenen Ideen, die ich ständig mit mir herumtrage, Dingen, die ich sozusagen auf dem Weg aufgesammelt habe - und plötzlich machen sie Sinn in einer bestimmten Situation oder lassen sich verbinden mit einem anderen kleinen Bruchstück neuer Information."

    Warum wirkt die Ausstellung in der Temporären Kunsthalle Berlin trotzdem so steril und leblos wie eine Schautafel im Biologieunterricht? Vielleicht liegt es daran, dass sich Starlings Arbeiten tatsächlich am Ort selber entwickeln müssen, dass man sie nicht einfach verpflanzen kann. Zwei der drei Arbeiten sind bereits in früheren Jahren entstanden und wirken hier wie reine Dekoration. Die Installation "Plant Room" hat Starling letztes Jahr für den Kunstraum im schweizerischen Dornbirn entwickelt. Schon der Titel, zu Deutsch "Maschinenraum", verweist darauf, denn der Kunstraum Dornbirn hat in seiner Bauweise einen leicht technoiden Charme. In diesen Raum hatte Starling als bewusstes Gegenzeichen eine archaische Lehmhütte gesetzt, eine Art Gegen-Museum, in dem er in einer Vitrine acht Vintage Prints von Karl Blossfeldt präsentiert, jenem Fotografen der Neuen Sachlichkeit, der durch seine skulptural wirkenden Detailaufnahmen von Pflanzen berühmt geworden ist. Was aber für Dornbirn Sinn macht, muss in der Berliner Kunsthalle noch lange nicht aufgehen.

    "Kakteenhaus" wiederum ist eine Installation aus dem Jahr 2002. Starling hat in der spanischen Tabernas-Wüste einen Kaktus ausgegraben und in seinem Auto nach Nordeuropa gebracht. Für Berlin hat er den Motor aus dem Auto ausgebaut und in die Kunsthalle verlegt, wo er nun im Dauerbetrieb durch seine Wärme das angemessene Raumklima für den Kaktus erzeugt.

    Doch seltsamerweise vertragen Starlings Arbeiten das Verpflanzt-Werden von einem Ort zum anderen offenbar viel schlechter als solch ein Kaktus. Sie verbinden sich in Berlin nicht mit dem Ort und werden dadurch unfreiwillig selbst zu einem Austauschprodukt des globalen Kunstzirkus.

    Die einzige allein für Berlin entstandene Arbeit ist der Ast einer Linde, den Starling an der nahen Straße Unter den Linden abgesägt und unter dem Titel "Under Lime" (Unter den Linden) an die Decke der Kunsthalle gehängt hat, als Verweis auf die Natur, die es an diesem Ort eben nicht mehr gibt. Aber diese Installation allein ist zu klein, um den arg dekorativen Eindruck der Ausstellung insgesamt zu verwischen.

    Die Kunsthalle selbst kann den Eindruck, dass auch sie nur Dekoration ist, nicht ganz verwischen. Eigentlich passt es daher schon wieder ganz gut, wenn die Bundespolitik, wie in diesem Fall der Bundesumweltminister als Schirmherr, ihr Interesse für diesen seltsamen Kunstort entdeckt: um sich eben auch ein wenig dekorieren zu lassen.