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Constantin Goschler/Jürgen Lillteicher (Hg.): Arisierung und Restitution. Die Rückerstattung jüdischen Eigentums in Deutschland und Österreich nach 1945 und 1989

Im Umfeld aktueller politischer Initiativen in ganz Europa, die nach dem Verbleib des geraubten jüdischen Eigentums fragen, wurde in großem Maßstab historisches Expertenwissen nachgefragt bzw. überhaupt erst produziert. Indem sich die zeithistorische Forschung nunmehr intensiv der Geschichte der "Arisierung" und der Rückerstattung zuwendet, holt sie gewissermaßen auch die Versäumnisse früherer Jahre nach. In zahlreichen nationalen und internationalen Kommissionen, die sich dem Raub des jüdischen Vermögens unter der NS-Herrschaft zuwandten, waren Historiker und Historikerinnen mit der Geschichte von Enteignung und Restitution jüdischen Besitzes beschäftigt - und auf diese Weise wurden politische und fachhistorische Diskurse vielfach in ungewöhnlich enger Weise verzahnt. Doch bedürfen die mit der Rückerstattung in Deutschland und Österreich zsuammenhängenden finanziellen, wirtschaftlichen, politischen, rechtlichen und moralischen Fragen, die im Mittelpunkt dieses Bandes stehen, einer gründlichen Erörterung und erlauben keine schnellen Schlussfolgerungen.

Sven Kramer | 03.06.2002
    Das schreiben Constantin Goschler und Jürgen Lillteicher im Vorwort des von ihnen herausgegebenen Bandes "Arisierung und Restitution - Die Rückerstattung jüdischen Eigentums in Deutschland und Österreich nach 1945 und 1989

    Sobald sie an der Macht waren, begannen die Nationalsozialisten mit einer Politik des systematischen Raubes. Zunächst traf es politische Gegner wie die Parteien und die Gewerkschaften. Die größte Umverteilung von Vermögen, die in Deutschland während des 20. Jahrhunderts stattfand, betraf jedoch die Juden. Im Rahmen der sogenannten Arisierung jüdischen Besitzes wechselten Geld- und Sachwerte in zweistelliger Milliardenhöhe den Besitzer. Außerdem wurden die Juden vollständig aus dem Wirtschaftsleben verdrängt. Erst danach setzte die Vernichtungspolitik ein, die im Holocaust kulminierte. Viele Überlebende bemühten sich nach dem Krieg um die Restitution - also um die Rückerstattung - ihres Eigentums. Dabei hatten sie sich vor allem mit den Nachkriegsgesellschaften der Bundesrepublik, der DDR und Österreichs auseinanderzusetzen, in denen die Profiteure der Arisierungen ihr billig erworbenes Eigentum zäh verteidigten. Was aus der Sicht der Tätergesellschaft vollmundig unter dem Begriff der Wiedergutmachung firmierte, verlief in den drei genannten deutschsprachigen Ländern jeweils unterschiedlich. Bis heute hat jedoch die Rückerstattung in keinem dieser Länder das Volumen der Beraubung auch nur annähernd erreicht - ganz zu schweigen von jenen Schädigungen, an die materielle Erstattungen nicht heranreichen.

    Erst seit jüngster Zeit beschäftigt sich die deutsche Historiografie mit Arisierung und Restitution. Sie reagiert damit auf Rückerstattungsforderungen von Opfern, die erst nach dem Zusammenbruch des Ostblocks artikuliert werden konnten. Was in Westdeutschland auf Druck der Alliierten, insbesondere der Amerikaner, schon nach dem Krieg versucht wurde, stand in Ostdeutschland erst in den neunziger Jahren auf der Tagesordnung. Der vorliegende Sammelband bietet eine fundierte geschichtswissenschaftliche Standortbestimmung. Ausgewiesene Experten schreiben über den Zusammenhang von Raub und Rückerstattung und vergleichen erstmals die unterschiedlichen nationalen Kontexte in der Bundesrepublik, der DDR und in Österreich. Ein wichtiges Ergebnis betrifft das Verhältnis der staatlichen Raubpolitik zu der von der Bevölkerung ergriffenen Eigeninitiative. Hans Safrian kann für das Verhalten der österreichischen Bevölkerung nach dem Anschluss der damals sogenannten Ostmark plausibel machen, dass keineswegs nur Befehle von oben umgesetzt wurden. Hierin erkennt er sogar einen entscheidenden Radikalisierungsschritt für die reichsweite Judenverfolgung.

    Dimension und Charakter der antijüdischen Maßnahmen in der "Ostmark" unterschieden sich deutlich von den Verfolgungsschritten im "Altreich". Im "angeschlossenen" Österreich wurde das Tempo der Verfolgung von zehntausenden einfachen "Partei- und Volksgenossen" diktiert, die ohne und manchmal gegen Befehle aus Berlin handelten und sich um die bestehende Gesetzeslage wenig kümmerten.

    Jene Bevölkerung, die der Ausgrenzung, Enteignung und Vertreibung der Juden zugestimmt oder sie sogar aktiv betrieben hatte, änderte nach dem Krieg nicht einfach ihre antisemitische Einstellung. Diese richtete sich nun gegen die zurückgekehrten und klagenden Alteigentümer. Dabei gab es spezifische Differenzen. In Österreich setzte sich die bequeme These durch, man sei selbst das erste Opfer des Dritten Reichs gewesen. Die von Safrian herausgearbeitete Täterschaft verschwand hinter dem selbstverordneten Opferstatus. In der DDR herrschte der staatliche Antifaschismus und die Meinung, man brauche für die vom Nationalsozialismus verursachten Ungerechtigkeiten nicht einzustehen: Auch die Sozialisten fühlten sich als Opfer Hitlers. In der Bundesrepublik schließlich dominierte das Selbstmitleid über die durch den Krieg verursachten Verluste. Frank Bajohr spürt dem Mangel an Einfühlung in die jüdischen Opfer auch im Ablauf der Restitutionsverfahren nach.

    In der Ausgrenzung der Juden aus dem nationalen Leidensdiskurs nach 1945 wirken ihre vorherige Ausgrenzung aus der nationalsozialistischen "Volksgemeinschaft" fort. Auch die Restitution klammerte die vielfältigen immateriellen Verluste der jüdischen Eigentümer vollständig aus und reduzierte die komplexen Verfolgungserfahrungen auf einzelne materielle Aspekte. Somit verloren sich Entschädigung und Restitution vielfach in den Niederungen bürokratisch-penibler Auflistungen materieller Einzelschäden.

    Um dem materiellen Reduktionismus etwas entgegenzusetzen, gaben manche Enteignete ihrer Rückforderung einen Lebensbericht bei. Auf diese Art erreichten sie wenigstens, dass das Schicksal ihrer ermordeten Angehörigen überhaupt einmal während des Verfahrens zur Sprache kam. Von Seiten der Gerichte war dies nicht vorgesehen. Auch außerhalb der Justiz trafen die Ausgeplünderten mindestens auf Unverständnis, meist jedoch auf ein gut funktionierendes Netzwerk der Nutznießer. Es reichte bis in die höchsten Etagen von Staat und Wirtschaft hinein. So weist Jürgen Lillteicher nach, dass sich der spätere Bundeskanzler Ludwig Erhard 1949 bei der amerikanischen Militärregierung vehement gegen die berechtigte Rückerstattung der Porzellanmanufaktur Rosenthal eingesetzt hat.

    Unter dem Strich blieb die Restitution in der Bundesrepublik unbefriedigend. Immer dort, wo internationaler Druck ausgeübt wurde, reagierte die Politik. So leistete Deutschland in den fünfziger Jahren an Israel und die Jewish Claims Conference globale Entschädigungszahlungen, um international wieder hoffähig zu werden. Doch im Lande selbst wurden die im Unrechtsstaat zustande gekommenen Besitzverhältnisse allzu oft bestätigt. Ähnliches gilt auch für Österreich. In der DDR wurde fast gar nicht rückerstattet. Erst mit der Wiedervereinigung kamen die Restitutionen in Gang. Und wenn es überhaupt in der Geschichte der Rückerstattung so etwas wie einen lichten Moment gab, dann dürfte er hier zu finden sein. Endlich gestand man den Enteigneten faire Verfahren zu. Allerdings soll der entscheidende Schönheitsfehler dieser Entwicklung nicht verschwiegen werden: Sie kam 45 Jahre zu spät.

    Constantin Goschler und Jürgen Lillteicher (Hg.): "Arisierung und Restitution. Die Rückerstattung jüdischen Eigentums in Deutschland und Österreich nach 1945 und 1989", Wallstein Verlag, Göttingen. 288 Seiten, 29 Euro.