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Corona, Börsencrash und Ölpreisverfall
"Ein leichte Rezession ist kaum noch zu verhindern"

Der Börsencrash vom Montag spiegle die Verunsicherung angesichts der Coronaepidemie wieder, sagte der Chefvolkswirt der Bank ING im Dlf. Gleichzeitig seien Auswirkungen auf die Realwirtschaft nicht mehr abzuwenden. Das "Schlimm-Schaurige" sei, dass die langfristigen Folgen nicht absehbar seien.

Carsten Brzeski im Gespräch mit Jörg Münchenberg |
Ein Fußgänger mit einem Mundschutz geht in Tokio an einer Leuchttafel mit Börsennotierungen vorbei
Der Coronavirus hat auch die Börsen infiziert: Am Montag stürzten die Aktienkurse weltweit ab (AFP / Charly Triballeau)
Experten sprachen von einem "Schwarzen Montag" für die Börsen weltweit: Sieben Prozent rauschten der Deutsche Aktienindex und der Dow Jones zum Handelsbeginn in die Tiefe. Der Preis für das Barrel Rohöl der Sorte Brent aus der Nordsee gab um über 30 Prozent nach - eine direkte Folge eines Preiskrieges zwischen Saudi-Arabien und Russland. Doch Auslöser des Börsencrashs ist die Corona-Epidemie, in deren Folge nun Investoren massenweise aus Investitionen aussteigen.
Auch Carsten Brzeski, Chefvolkswirt bei der Bank ING, bezeichnet die Kurseinbrüche vom Montag als einen extremer Crash - nach bereits zwei schwarzen Wochen an den Börsen in Folge der weltweiten Coronavirus-Epidemie. Die Reaktion der Finanzmärkte seien zwar der aktuellen Unsicherheit geschuldet, die durch die Ausbreitung des Coronavirus entstanden sei. Gleichzeitig sei aufgrund der Auswirkungen der Epidemie auf die Realwirtschaft eine leichten Rezession in der ersten Jahreshälfte kaum noch zu verhindern.
Händler stehen am 02.03.2020 an der Wall auf dem Parkett der Wall Street in New York und blicken auf die Aktienkurse auf den Bildschirmen.
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Die langfristigen Auswirkungen seien noch nicht absehbar und etwa abhängig davon, ob es möglicherweise zu nachhaltigen Folgen der Krise auf das Verhalten von Verbrauchern und Unternehmen komme. Der niedrige Ölpreis spiegele auch die Angst vor einer Rezession wieder. Zugleich sei das aktuelle Preisniveau von rund 30 Dollar zu niedrig, für die Ölindustrie, um Profite zu machen. Insbesondere für die US-amerikanische Ölindustrie könnte das negative Folgen haben. An den Börsen bedeute das wiederum: Schlechte Nachrichten für die USA und damit Rezession.
Eine Finanzkrise wie 2008/2009 drohe nach Ansicht von Carsten Brzeski jedoch nicht. Die Banken seien gesünder als damals und alle seien besser vorbereitet.
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Das gesamte Interview im Wortlaut:
Jörg Münchenberg: Manche sagen ja, der gestrige Börsencrash sei so schlimm gewesen wie der von 1929 oder der wie 1987 – übrigens auch damals ein "Schwarzer Montag". Wie schlimm ist es aus Ihrer Sicht?
Carsten Brzeski: Es war schon ziemlich schlimm. Es ist immer schwierig, das zu vergleichen mit ähnlichen Crashs. Aber eigentlich seitdem wir die ersten Infizierten in Italien hatten, haben wir eigentlich schon fast zwei schwarze Wochen an den Börsen gehabt. Von daher ist das schon ein extremer Crash, der auch wieder deutlich macht, dass wir hier irgendwie eine Vermischung haben zwischen realwirtschaftlichen Folgen, die sich dann auswirken auf die Börse, und wenn der Börsencrash so weitergeht, hat das wiederum Auswirkungen auf die Realwirtschaft.
Sämtliche Zukunftsszenarien sind möglich
Münchenberg: Auf der anderen Seite, Herr Brzeski, neigen Finanzmärkte ja oft zu Übertreibungen in die eine oder andere Richtung. Ist das jetzt nicht auch ein Stück weit so, oder steht hinter dem Ausverkauf tatsächlich eine reale Gefahr, zum Beispiel einer weltweiten Rezession?
Brzeski: Das ist eine Kombination von beidem. Natürlich neigen Finanzmärkte zu Übertreibungen. Finanzmärkte mögen überhaupt nicht Unsicherheit oder Undeutlichkeit. Und wir haben es hier mit etwas zu tun, was natürlich Finanzmärkte überhaupt nicht einschätzen können. Die Ursache der Krise liegt ja weit außerhalb der Realwirtschaft und außerhalb dessen, was Finanzmärkte irgendwie in ihren Modellen einpreisen können.
Das nimmt aber nicht weg, wenn wir das ein bisschen anschauen, was die Folgen sind von dem Coronavirus auf die Realwirtschaft, dass wir sicherlich jetzt hier eine leichte Rezession bekommen werden. Das heißt in Expertensprache zwei Quartale mit negativem Wachstum. Das scheint kaum noch zu verhindern zu sein. Das ist keine Rezession oder Krise wie 2008/2009, aber es kommt zu einem Moment, in dem die Finanzmärkte und eigentlich auch alle Experten gedacht hatten, dass wir 2020 mal ein bisschen Ruhe bekommen werden und dies das Jahr des leichten Aufschwungs wieder sein könnte.
Münchenberg: Nun werden ja in China manche Produktionsstätten wieder hochgefahren. Könnte Corona am Ende vielleicht nur für eine Delle in der Weltwirtschaft sorgen, oder ist das Szenario einer Rezession doch wahrscheinlicher?
Brzeski: Das eine schließt das andere nicht aus. Ich denke, dass die Rezession in der ersten Jahreshälfte kaum zu verhindern ist, denn selbst wenn jetzt die Produktion in China wieder anläuft – wir haben ja in Europa und auch in den USA immer noch mit den Folgen von Corona zu tun. Das heißt, wir werden wahrscheinlich mit einer Verzögerung von ein bis zwei Monaten erst wieder diesen Aufschwung in China spüren und dann sind wir schon am Ende des zweiten Quartals. Diese Rezession ist eigentlich kaum noch zu verhindern in der ersten Jahreshälfte.
Delle durchaus ja, und das ist natürlich das Schlimm-Schaurige aktuell an dieser Situation: Wir können sämtliche Szenarien hier machen. Extrapoliert man die Geschichte, hat das wirklich nachhaltige Folgen im Verhalten von Menschen, im Verhalten von Unternehmen, hat das nachhaltige Folgen für die Produktionskette von Unternehmen, dann heißt das nicht, dass wir eine lange Rezession haben, dann heißt das aber schon, dass es mehr als eine Delle sein könnte. Im positiven Szenario war das wirklich nur eine kurzfristige Grippe mit den Folgen für die Realwirtschaft und dann werden wir auch in der zweiten Jahreshälfte wieder sehen, dass die Wirtschaft wieder anzieht.
"Der niedrige Ölpreis spiegelt Angst einer Rezession"
Münchenberg: Wir müssen auch auf den Ölmarkt schauen. Auch da sind die Preise massiv in den Keller gerutscht. Da könnte man ja eigentlich sagen, ist doch eigentlich eine ganz gute Nachricht, dann wird der Sprit günstiger, auch das Heizöl billiger.
Brzeski: Das ist definitiv so und da haben Sie natürlich recht gehabt. Das zeigt auch ein bisschen, warum die Finanzmärkte einen Tag in die eine Richtung gehen, an einem anderen Tag in die andere Richtung, denn normalerweise sind natürlich extrem niedrige Ölpreise gut für Produzenten, gut für die Verbraucher. Was jetzt aktuell an den Märkten gespielt wird, ist die Tatsache - erstens: Der niedrige Ölpreis spiegelt die Angst einer Rezession wieder - weniger Nachfrage nach Öl, weltweite Rezession – und andererseits auch das jetzige Niveau von um 30, 35 Dollar pro Barrel, das ist eigentlich zu niedrig, vor allem auch in den USA, die mittlerweile ja ein extrem wichtiges Öl-exportierendes Land geworden sind, um da überhaupt dann noch Profite zu machen für die Ölindustrie.
Dann wird an den Märkten dieses Szenario gespielt, um die 30, 35 ist negativ für die ganze amerikanische Ölindustrie, auch für Schiefergas, und damit heißt es dann wiederum: schlechte Nachrichten für die USA, das heißt dann wieder Rezession. Solche Szenarien werden an einem Tag wie gestern dann komplett durchgespielt.
Münchenberg: Was ist schwerwiegender, was ist gefährlicher, der Kurssturz oder Preisverfall am Ölmarkt?
Brzeski: Aktuell würde ich sagen, eher Preisverfall am Ölmarkt mit den möglichen Folgen für die US-Wirtschaft. Der Preisverfall an den Aktienmärkten ist erst mal noch nicht so ein großes Drama, kann erst zum Drama wieder werden, wenn das wieder Folgen auf die Realwirtschaft hat. Das heißt, wenn jetzt hierdurch Unternehmen schlechter an Kredite kommen, wenn Banken wieder in die Probleme kommen könnten. Dann würde sich das zurückkoppeln auf die Realwirtschaft. Ansonsten ist es so: Wir kommen von einem extrem hohen Niveau. Vor einem Monat hatten wir noch Rekordhöchststände an den Börsen und da sind natürlich Korrekturen auch in dieser Heftigkeit, die können immer wieder vorkommen.
"Notenbanken können kaum noch etwas tun"
Münchenberg: Nun versuchen ja viele Staaten fast verzweifelt, muss man sagen, der strauchelnden Wirtschaft zu helfen. Hierzulande soll ja zum Beispiel Kurzarbeitergeld ausgeweitet werden, oder Unternehmen sollen leichter an Kredite kommen. Sind das überhaupt die richtigen Antworten? Wenn man auf die Börse schaut, dann eher nicht.
Brzeski: Am liebsten hat man natürlich eine koordinierte Aktion. Das heißt, dass dann die Länder zusammen auftreten. Die Börsen haben in den letzten zehn Jahren immer gelernt, dass sie sich vor allem an den Notenbanken orientieren müssen. Die Börsen möchten am liebsten eine starke koordinierte Aktion der Notenbanken sehen. Das Problem hierbei ist nur, wenn wir uns mal die Europäische Zentralbank anschauen, die sich jetzt am Donnerstag auch wieder trifft: Die Zinsen sind ja schon so extrem niedrig. Da ist so viel Liquidität, dass die Notenbanken eigentlich kaum noch was tun können.
Auch wenn man sich die Natur dieses wirtschaftlichen Schocks anschaut, dann ist das auch einem Unternehmen, das jetzt vielleicht Lieferprobleme bekommt, dadurch eventuell den Kredit nicht zurückzahlen kann, eigentlich egal, ob die Notenbank den Zins noch mal um 10 oder 50 Basispunkte nach unten senkt. Das heißt, es sind wirklich die Regierungen gefragt, und das, was wir jetzt in Deutschland gesehen haben am Sonntagabend, das ist ein gutes Programm. Man versucht, damit diese kurzfristigen Engpässe irgendwie zu überbrücken. Man versucht, dass hier auch einigermaßen gesunde Unternehmen nicht durch ein kurzfristiges Ereignis in die Probleme gebracht werden, eventuell sogar in ein Existenzproblem gebracht werden, in der Hoffnung, dass wir dann wirklich wieder ein Anziehen der Wirtschaft ab dem Sommer sehen werden.
Ob das jetzt von der Höhe genug ist, das muss man abwarten. Ich denke, die Finanzmärkte werden vor allem heute nach Washington schauen, wo ja Präsident Trump angekündigt hat, eventuell doch auch mit einem großen Haushaltsprogramm zu kommen. Das könnte auch die Märkte heute wieder ein bisschen beruhigen.
"Wir sind besser vorbereitet auf eine neue Finanzkrise"
Münchenberg: Wenn jetzt Firmen in Probleme kommen, Kredite ausfallen, dann trifft das ja irgendwann auch wieder die Banken, die diese Kredite vergeben haben. Wir wissen alle noch zu gut, wie schwer die Krise vor ein paar Jahren war. Droht damit faktisch auch eine neue Finanzkrise?
Brzeski: Das ist natürlich die Angst, die jetzt überall gespielt wird. Dazu muss man sagen, wir haben aus der Finanzkrise von 2008/2009 gelernt. Die Banken sind deutlich gesünder geworden. Es ist auch von der Bankenaufsicht her jetzt in Europa, von der EZB her doch einiges dafür getan worden. Wir haben Bankabwicklungsmechanismen. Wir sind deutlich besser vorbereitet auf eine neue Finanzkrise. Ich denke, dass wir einfach mal hoffen, dass es nicht so schlimm wird wie 2008/2009. Es sieht auch nicht so aus, muss man ganz ehrlich sagen. Es sieht nicht so aus, ob es so schlimm wird wie 2008/2009, und wir sind besser darauf vorbereitet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.