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Corona-Krise
Gottesdienste verboten

Wie in Italien sollen nun auch in Deutschland öffentliche Gottesdienste untersagt werden. Die Bundesregierung hat mit den Ländern entsprechende strenge Leitlinien vereinbart: Kirchen, Moscheen, Synagogen bleiben zu - das hat es so noch nie gegeben. Gläubige nicht nur in Berlin sind verunsichert.

Von Thomas Klatt | 17.03.2020
Eine Kamera filmt eine Pastorin in der Kirche während eines Gottesdienstes.
Festgottesdienste in Kirchen werden abgesagt - zu sehen sind sie dann im Videostream (imago / epd)
"Ich wollte in den Gottesdienst und bin fassungslos. Ich für meinen Teil finde, das darf nicht verboten werden."
"Nee, hab ich eigentlich erwartet. Wollte bloß mal sehen, ob das tatsächlich stimmt. Ich hab Verständnis dafür."
Sagen die wenigen Gläubigen vor dem Berliner Dom am Sonntagmorgen. Die erst am Samstagabend vom Berliner Senat verkündeten Restriktionen - sämtliche Zusammenkünfte von mehr als 50 Personen sind verboten - ließen die meisten Gläubigen in den Betten liegen. Im Berliner Dom aber fand der Gottesdienst dennoch statt. Vor leeren Bänken, aber mit schnell improvisierter Handy-Kamera.
Gottesdienst mit Liste
"Deswegen werden die Gottesdienste jetzt über Facebook gestreamt. Wir wollen ja für die Menschen da sein. Es gibt auch keine Besichtigungen mehr. Da diese Gottesdienste immer mit sehr vielen Menschen besucht sind, 400- 500 Personen, können wir nicht bei 50 Schluss machen."
Wie gefährlich ist das neue Coronavirus?
Die Zahl der Infizierten mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 steigt trotz Gegenmaßnahmen vieler Regierungen weiter - auch in Deutschland. Die Weltgesundheitsorganisation hat Ende Januar den "internationalen Gesundheitsnotstand" ausgerufen.
Sagt die derzeitige Pressesprecherin der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz, Christiane Bertelsmann. Auch größere Besuchergruppen aber - wie im Berliner Dom - könnten nun nicht mehr eingelassen werden. Kleinere Kirchen könnten aber weiter zum Gebet geöffnet bleiben.
Bertelsmann: "Es gibt Gottesdienstorte von kleineren Gemeinden, die ganz normal weiter Gottesdienst machen. Aber die natürlich auch zählen. Und es gibt diese Listen. Der Senat hat verordnet, dass auch für diese Veranstaltungen, die müssen sich in diese Liste eintragen. Mit Adresse, mit Namen, Kontaktdaten."
Corona ist keine Strafe Gottes
Wie eben auch bei unaufschiebbaren Beerdigungsfeiern. Alles weitere, von Konfirmationen bis zu Synoden, wird in die Zeit irgendwann später verschoben. Von den Maßnahmen des Senats wurden die Kirchen unvorbereitet erwischt. Es gab keinerlei Absprachen. Und was sagt das Kirchenvolk?
"Die Reaktionen gehen von absoluter Hysterie, 'absolut alles zumachen' bis 'nicht so schlimm, wir könnten doch weiter machen.' Aber diese Stimmen werden weniger. Da haben wir von Stunde zu Stunde weniger."
Blick auf die Kuppeln des Berliner Doms
In Kirchen wie dem Berliner Dom finden derzeit keine Gottesdienste statt (picture alliance / Hans Joachim Rech)
Aber ob nun virtuell via Livestream oder in kleinen Kirchen noch direkt, die Gemeindetheologen versuchen, Trost zu spenden.
"Eigentlich kann man nur versuchen, aus den Folgen dieser Krankheit Sinn zu schöpfen. Man könnte zum Beispiel sagen, so eine Krankheit ist eine ideale Situation, sich jetzt um andere zu kümmern, von denen man annimmt, dass sie es schwerer haben, damit umzugehen. Man kann bei den Nachbarn mal anfragen, vielleicht bei alleinstehenden Leuten, ob man helfen kann."
Sagt die Berliner Dompredigerin Petra Zimmermann. Nur: Woher kommt das Virus? Ist die Pandemie vielleicht sogar eine Gottesstrafe?
"Der Virus als gerechte Strafe Gottes? Wofür? Natürlich ist das nicht die gerechte Strafe Gottes. Krankheiten gibt es schon seit Menschengedenken. Diese Vorstellung, da sitzt jemand und schickt uns jetzt diesen Virus auf den Hals, setzt ja voraus, dass es ein strafender Gott ist, der vor allen Dingen Rache übt. Ein rächender Gott, der die Menschheit jetzt knechtet mit so einem Virus, der entspricht in keiner Weise dem, was ich als christliche Gottesvorstellung habe. Er hat uns als freie Menschen in die Welt gesetzt. Gott ist die Liebe und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.
"Die Eucharistie gehört zu uns"
Auch im Erzbistum Berlin werden die Gottesdienste in der Hauptstadt zunächst ausgesetzt.
"Wir haben ungefähr 320.000 Katholiken. Davon gehen rund 30.000 am Sonntag in die Kirche in Berlin. Und wenn man das verteilt auf die Sonntagsgottesdienste, kommen wir schon auf einen Schnitt von über 50."
Sagt Stefan Förner, Pressesprecher des Berliner Erzbistums. Auf dem Land, in kleineren Gemeinden, soll es weiterhin die Kommunion geben. Anders als beim evangelischen Abendmahl wird dabei kein Kelch mit Wein oder Saft herumgereicht. Aber auch bei Katholiken ist Vorsicht geboten.
"Wir müssen eine Regelung finden, die dem aktuellen Ansteckungsrisiko gerecht wird. Zu uns gehört zum sonntäglichen Gottesdienst die Eucharistie-Feier, die Austeilung der Hostien. Das ist von den Übertragungswegen schon einfacher als im evangelischen Gottesdienst. Es ist jetzt schon klar, dass diese Frömmigkeitsform, die Hostie sich auf die Zunge legen zu lassen, aktuell gar nicht geht. Nur in die Hand."
Gläubige nehmen am 07.06.2013 in Köln (Nordrhein-Westfalen) an einer Eucharistiefeier teil. Der Priester legt einer knienden Dame eine Hostie auf ihre Zunge
Die selten praktizierte Mundkommunion in katholischen Eucharistiefeiern ist bereits verboten (picture alliance / Oliver Berg)
Die Hände sollten aber gut gewaschen sein. Zumindest lang genug.
Förner: "Ich habe jetzt gesehen von den Mönchen in Neuzelle, die haben die Händewaschanleitung unterlegt mit dem 'Salve Regina' in dieser gregorianischen Schrift, das geht wohl auch auf. Andere sagen, ein bis zwei Vaterunser zu beten, je nach dem wie schnell man das tut. Das ernst zu nehmen und nicht lächerlich zu machen, ist auch schon ein erster ernst zu nehmender Schritt."
"Ich glaube, dass die Menschen sehr vernünftig reagieren"
Auch der traditionelle Friedensgruß, das gegenseitige Händeschütteln im Gottesdienst, entfällt. Und das Weihwasser?
"Üblich ist, dass man, wenn man in die Kirche geht, sich mit dem Weihwasser bekreuzigt, um sich an die eigene Taufe zu erinnern. Das ist eine Art Reinigung. Dass das aktuell keine reinigende, sondern eine gefährdende Rolle hat, ist evident. Deswegen sind in den Kirchen die Weihwasserbecken trockengelegt."
Manche Gläubige würden ihre Hand in das leere Weihwasserbecken stecken und sich nun trocken bekreuzigen. Bei allen Vorsichtsmaßnahmen, was hilft gegen das Virus? In sozialen Netzen kursieren Tipps, von Knoblauch bis zu Nahrungsergänzungsmitteln. Was aber ist mit Rosenkränzen oder dem Heiligen Wasser von Lourdes?
Förner: "Ich glaube, dass die Menschen sehr vernünftig reagieren. Es gibt keinen, der sich in seinen Wahn reinsteigert. Wenn doch, dann muss man dem helfen. Ich habe bisher keinen Hinweis, dass Menschen jetzt auf Zauber und Schabernack und Hokuspokus verfallen, weil sie meinen, es würde den Corona-Virus aufhalten."
"Das Digitale ersetzt nicht die persönliche Begegnung"
Der Leiter des lutherischen Kirchenamtes, Vizepräsident Horst Gorski am Freitag (10.11.2017), bei einer Pressekonferenz während der Tagung der Generalsynode der VELKD in Bonn.
Horst Gorski (EKD) sagt, durch das coronabedingte Verbot von Gottesdiensten werde ein neues Nachdenken in Gang kommen (imago / Norbert Neetz)
Ausfallende Gottesdienste, allgemeine Ratlosigkeit. Auch in den Kirchen fragt sich manch einer, wie aus der Not eine Tugend gemacht werden könnte? Vielleicht auch künftig den Glauben nur noch vor dem Fernseher, am PC oder Smartphone leben? Dass die virtuellen Angebote der Kirchen nun zu einer Blaupause für das künftige Glaubensleben in Deutschland werden, glaubt Horst Gorski nicht. Er ist Theologe und Vizepräsident des Kirchenamtes der Evangelischen Kirche in Deutschand.
"Das Fehlen der Gottesdienste wird im Gegenteil ein Nachdenken darüber in Gang setzen, und bei manchen auch einen Hunger danach, dass die merken: Was ich digital bekommen kann, ersetzt nicht voll die persönliche Begegnung."
Coronavirus
Alle Beiträge zum Thema Coronavirus (imago / Science Photo Library)
Die Berliner Dompredigerin Petra Zimmermann hofft im Gegenteil, dass die Krise die Menschen auch zu mehr Lebensmut ermuntert.
"Vielleicht gibt es neue kreative Entdeckungen, die daraus entstehen. Ich habe zum Beispiel gehört, dass sich Musiker in verschiedenen Häusern zu einem Hinterhofkonzert über die Balkone zusammen finden. Man gibt ein Stück vor und jeder, der ein Instrument hat, versucht von seinem Balkon aus dazu zu spielen. Solche Ideen müssen wir vielleicht stärker entwickeln. Also verlieren Sie nicht den Mut."
Diese Reportage ist am Sonntag und Montag in Berlin produziert worden. Mittlerweile gelten noch strengere Leitlinien, vereinbart von Bundesregierung und Bundesländern. Demnach sollen unter anderem "Zusammenkünfte in Kirchen, Moscheen, Synagogen und Zusammenkünfte anderer Glaubensgemeinschaften" verboten werden. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erläuterte die Maßnahmen am Montagabend (16.03.2020) bei einer Pressekonferenz in Berlin.