Donnerstag, 28. März 2024

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Corona-Maßnahmen im November
"Alles, was Kontakte reduziert, ist effizient"

Bei den strikten Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Corona-Pandemie sei jeder Tag ein Gewinn, sagte der Physiker Dirk Brockmann im Dlf. Ein intensiver, kurzzeitiger Lockdown sei effizienter als mittelmäßige Maßnahmen, die sich über einen langen Zeitraum erstrecken.

Dirk Brockmann im Gespräch mit Michael Böddeker | 28.10.2020
Stühle vor einem geschlossenen Restaurant
"Alles, was Kontakte verringert, ist sehr gut, und was Gruppen verkleinert, ist noch besser", sagt der Physiker Dirk Brockmann. (dpa/KEYSTONE/Gian Ehrenzeller)
Bei der Corona-Pandemie schnell, kurz und hart auf die Bremse treten oder lieber länger und dafür etwas weniger bremsen? Darüber wird in der Politik und in der ganzen Gesellschaft debattiert. Zur Eindämmung der steigenden Corona-Neuinfektionen haben Bund und Länder jetzt eine Reihe von neuen Einschränkungen vereinbart. Sie gelten ab dem 2. November.
"Generell kann man natürlich sagen, dass alles, was Kontakte reduziert, effizient ist, und nicht nur das: Es geht auch darum, dass Kontakte in speziellen Situationen stattfinden, beispielsweise in Gruppen", sagte Dirk Brockmann von der Humboldt-Universität in Berlin. Er ist Physiker und modelliert unter anderem für das Robert Koch-Institut die Ausbreitung von Infektionskrankheiten.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (l, SPD) geben eine Pressekonferenz im Kanzleramt nach einem Treffen mit den Ministerpräsidenten der Länder zum weiteren Vorgehen in der Corona-Pandemie. 
Diese Maßnahmen will die Bundesregierung umsetzen
Mit drastischen Einschränkungen will die Bundesregierung die massiv steigenden Corona-Infektionszahlen wieder eindämmen. Die Maßnahmen sollen ab dem 2. November greifen.

Das Interview im Wortlaut:
Michael Böddeker: Macht das einen großen Unterschied, ob solche Maßnahmen zwei Tage früher oder später starten?
Dirk Brockmann: Ja, das kann durchaus einen Unterschied machen, gerade wenn wir uns in einer Phase des exponentiellen Wachstums befinden, bei dem ja täglich sozusagen die Fallzahlen immer anwachsen. Insofern ist da auch jeder Tag ein Gewinn, wenn es um diese Gegenmaßnahmen geht.
Böddeker: Dann mal zur Länge von solchen möglichen Lockdowns: Wie groß ist denn der Unterschied, je nachdem, ob man zwei Wochen, drei oder vier Wochen lang so einen Lockdown macht?
Brockmann: Es gibt eigentlich zwei Parameter, das ist die Intensität des Lockdowns, also wie stark unsere Kontakte reduziert werden durch die Maßnahmen, und dann die Dauer. Alle Modelle, die ich kenne, die sprechen eigentlich eine Sprache, die sagen, dass ein intensiver, kurzzeitiger Lockdown effizienter ist als mittelmäßige Maßnahmen, die über einen langen Zeitraum wären. Deshalb muss man tatsächlich sozusagen auf die Bremse treten, und zwar sehr stark, dann ist der Effekt am allerbesten.
"Schnell, kurz, aber intensiv reagieren"
Böddeker: Das heißt, Sie würden da auch mitgehen bei diesem Modell, bei diesem Bild von einem Lastwagen, der den Berghang hinunterrollt, passt das?
Brockmann: Ja, das ist ein Bild, oder das Bild, was ich ganz gut finde, ist das eines Schwelbrandes, der jetzt wieder ausgebrochen ist, das heißt, es brennt jetzt wieder überall. Und wenn man einen Brand löschen will, dann ist es natürlich viel besser, dass man einmal sehr viel Wasser draufschüttet als wohl dosiert und in kleinen Dosen über eine lange Zeit, weil das Wasser dann wieder verdunstet. Das heißt, man muss schnell, kurz, aber intensiv reagieren.
Böddeker: Jetzt gibt es ja nicht nur Lockdown oder kein Lockdown, sondern ganz viele verschiedene Möglichkeiten – man kann die Schulen offen lassen und dafür Freizeitmöglichkeiten und Kontakte einschränken. Gibt es inzwischen Computermodelle, bei denen man das so genau einstellen kann, man nimmt genau diese Maßnahmen und diese nicht und bekommt dann ein Ergebnis, wie es weitergeht?
Stühle stehen in einem geschlossenen Restaurant auf den Tischen.
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Die zweite Corona-Welle hat Deutschland erfasst, und mit ihr steigt auch die Zahl älterer Infizierter wieder an. Eine Modellierungsstudie prognostiziert dementsprechend einen deutlichen Anstieg der Todesfälle. Forscherin Viola Priesemann plädiert daher für einen kurzen Lockdown.
Brockmann: In der Tat gibt es solche Computermodelle, die die Situation sehr feinkörnig modellieren, aber je genauer diese Modelle so etwas modellieren, desto schwieriger sind die Prognosen, weil man oft nicht die Daten hat, die notwendig sind, um diese Modelle zu eichen oder um sie richtig zu machen. Generell kann man natürlich sagen, dass alles, was Kontakte reduziert, effizient ist, und nicht nur das, sondern es geht halt auch darum, dass Kontakte in speziellen Situationen stattfinden, beispielsweise in Gruppen. Da weiß man, dass die Reduktion von Gruppengrößen oftmals einen stärkeren Effekt hat, als man gegebenenfalls erwarten würde. Das heißt, alles, was Kontakte verringert, ist sehr gut, und was Gruppen verkleinert, ist noch besser.
"Die Kontakte sind quasi das Futter des Virus"
Böddeker: Jetzt kommen so nach und nach die ersten Ergebnisse vom Corona-Gipfel rein. Eine Maßnahme, von der schon die Rede war, waren Restaurants, Bars und Kneipen, die werden voraussichtlich geschlossen. Ist das aus Ihrer Sicht eine sinnvolle Maßnahme?
Brockmann: Ja, ich halte das für eine absolut sinnvolle Maßnahme. Alle Maßnahmen, die halt Gruppengrößen verringern oder verhindern, dass Menschen sich in größeren Gruppen treffen, sind sinnvoll. Wir müssen halt auch echt verstehen, dass wir synchron jetzt im Land die Kontakte runterfahren müssen, denn wir haben das ja in der Hand, die Kontakte sind quasi das Futter des Virus. Das Virus braucht unsere Kontakte, um zu überleben. Ohne Kontakte kann es das nicht, weil es nur eine bestimmte Zeit im Körper eines Menschen überleben kann. Es braucht also diese Kontakte, und da müssen wir ansetzen: Alles, was Kontakte verringert, nimmt dem Virus das Futter, und das kann nicht mehr sich ausbreiten. So müssen wir darüber nachdenken.
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Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
"Synchrone Gegenmaßnahmen immer effizienter"
Böddeker: Wie lang müsste die Zeit sein, die man dann, um in diesem Bild zu bleiben, dieses Virus aushungert?
Brockmann: Eine typische Zeitskala ist die Quarantänezeit, das heißt, stellen Sie sich vor, das Virus ist im Körper eines Menschen, da kann es nur eine gewisse Zeit drin überleben, bis die Person dann geheilt ist oder immun ist und das Virus bekämpft ist. In dieser Zeit muss das Virus dafür sorgen, dass es einen anderen Wirt findet. Wenn man also zwei, drei Wochen wartet – also drei Wochen wahrscheinlich ist etwas sicherer – und in dieser Zeit dafür sorgt, dass das Virus nicht übertragen werden kann, dann werden, mit einer bestimmten Zeitverzögerung, auch die Fallzahlen rapide wieder in den Keller gehen, weil das Virus einfach sich nicht ausbreiten kann.
Böddeker: Neben einem zeitlich begrenzten Lockdown könnte man sich ja auch räumlich begrenzte Lockdowns vorstellen, zum Beispiel je nach Landkreis und je nachdem, wie hoch oder wie niedrig dort eben die Werte sind. Was wären dabei denn die Vor- oder Nachteile?
Brockmann: Es gibt verschiedene Modelle, die diese beiden Szenarien vergleichen. Nach meiner Kenntnis sind die synchronen Gegenmaßnahmen immer effizienter, also wenn alle das gleichzeitig machen, allerdings ist das auch so ein bisschen eine akademische Frage jetzt, weil ja die meisten Landkreise in Deutschland schon über dem kritischen Schwellenwert sind, bis auf Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein im Wesentlichen. Aber generell sollte das flächendeckend und synchron passieren, weil man dann tatsächlich überall dem Virus das Futter gleichzeitig nimmt, und dann weiß es nicht mehr, wo es hin muss.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.