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Corona-Maßnahmen
Lindner (FDP): Grenzschließungen sind die "Ultima Ratio"

Wenn dauerhaft sichergestellt ist, dass Geimpfte das Coronavirus nicht weitergeben, könne es in Deutschland keine Freiheitseinschränkungen mehr für diese Menschen geben, sagte Christian Lindner im Dlf. Grenzschließungen betrachtet der FDP-Vorsitzende als das letzte aller Mittel zur Pandemiebekämpfung.

Christian Lindner im Gespräch mit Klaus Remme |
Christian Lindner, Fraktionsvorsitzender im Bundestag und Parteivorsitzender der FDP, steht nach einer Buchpräsentation auf einer Dachterrasse.
Sein Gestaltungsanspruch in der Partei gehe über die Bundestagswahl 2021 hinaus, bekräftigte Christian Lindner (dpa)
Mit einem europäischen Impfzertifikat, wie es bereits geplant ist, ließen sich Handlungssicherheit und Bewegungsfreiheit wiedergewinnen, sagte Lindner im Interview der Woche des Dlf. "Wenn es der Fall ist, dass Impfung vor Weitergabe des Virus schützt, kann es im Inland in Deutschland keine Freiheitseinschränkungen mehr für diese Menschen geben." Eine wiederhergestellte Bewegungsfreiheit sei im Übrigen kein Privileg, betonte der FDP-Vorsitzende, sondern "die normalen Grundrechte", die nur aus wichtigem Grund eingeschränkt werden dürften – in der Regel bei Gefahr, die bei sicherer Impfung aber nicht gegeben sei.
Ein Senior geht im Kreisimpfzentrum in Ravensburg zu den Impfstraßen. Am Morgen hatte das Kreisimpfzentrum in der Oberschwabenhalle aufgemacht.
Kreisimpfzentrum Ravensburg (dpa / Felix Kästle)

Gesellschaftliche Spaltung in zwei Lager

Jene Gefahr hingegen, dass aufgrund des langen Impfverlaufs die Bevölkerung in zwei Lager zerfalle – die Geimpften und die Nicht-Geimpften – schätzt Lindner wiederum als "sehr groß" ein. "Das ist enormer sozialer Sprengstoff, der darin liegt." Dennoch könne es bei gründlicher Reflektion keine sinnvolle Alternative dazu geben, die Grundrechte wieder herzustellen. Der soziale Sprengstoff müsse natürlich entschärft werden: "durch Fortschritte beim Impfen und durch intelligente Konzepte, mit denen gesellschaftliches Leben hochgefahren werden kann."
EU-Coronagipfel - Grenzen sollen vorerst offen bleiben
Die EU-Binnengrenzen sollen offen bleiben. Doch die EU hat weitere Maßnahmen angekündigt, um die Ausbreitung der neuen Virusvariante zu stoppen. Auch ein EU-Impfzertifikat wurde beschlossen.

Grenzschließungen in der Pandemie: Ultima Ratio

Die Schließungen von Grenzen könnten bei der Bekämpfung der Coronapandemie nur die Ultima Ratio sein, sagte der FDP-Politiker – und warnte vor einem zu engen nationalen Denken dort, wo es in Wahrheit schon ein Zusammenwachsen gebe. Lindner: "Wir machen ja auch keine Grenzschließung zwischen Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Und eine Grenzschließung zwischen Rheinland-Pfalz und Frankreich beispielsweise hätte genau den Charakter, weil viele Grenzregionen eben überlappend sind."
Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn(AP Photo/Virginia Mayo, Pool)
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Die von Bundeskanzlerin Angela Merkel ins Gespräch gebrachten erneuten Grenzschließungen zur Corona-Bekämpfung seien nicht zielführend, sagte Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn im Dlf.

Konsequenzen aus der Wahl Armin Laschets zum neuen CDU-Vorsitzenden

Lindner betrachtet es als große Chance, dass mit Armin Laschet ein Regierungschef zum neuen CDU-Vorsitzenden gewählt wurde, der eine erfolgreiche schwarz-gelbe Regierung führe und sich offen zur Zusammenarbeit mit der FDP bekenne. "Zugleich wächst auch unsere Verantwortung, weil die Entscheidung für Armin Laschet eine Entscheidung für Kontinuität war und gegen die wirtschaftspolitische Erneuerung eines Friedrich Merz."

Rücktritt ausgeschlossen

Im September hatte Lindner beim Parteitag sein Amt als Parteivorsitzender unmittelbar an eine künftige Regierungsbeteiligung der FDP geknüpft. Die Frage, ob er nach der Bundestagswahl zurücktrete, falls seine Partei dieses Ziel verfehle, verneinte Lindner. "So war diese Aussage nie gemeint, es wäre ja auch absurd in der Sache", erklärte er.
"Wir könnten ja ein Ergebnis von zwölf Prozent erzielen, dann wäre man besser als beim letzten Mal und trotzdem könnte es eine Grün-Rot-Rot-Mehrheit geben." Am Ziel der Regierungsbeteiligung 2021 halte Lindner fest, - mit 42 Jahren habe er aber auch noch genügend Energie und Geduld, um länger durchzuhalten. "Ich biete an, solange der Parteivorsitzende zu sein, bis wir sehr erfolgreich in einer Regierung gewirkt haben werden."
Das Interview in voller Länge:
Klaus Remme: Herr Lindner, ein Jahr, über zwei Millionen Infizierte und mehr als 50.000 Todesfälle in Deutschland später, was geht Ihnen durch den Kopf?
Christian Lindner: Ich erinnere mich noch an die Zeit. Ich erinnere mich an das Wort des Gesundheitsministers, empfehlenswert sei, aufmerksame Gelassenheit – das den Entscheidungsträgern ein Jahr späte vorzuwerfen, hielte ich aber nicht für angemessen. Da gab es Fehleinschätzungen von vielen. Ich erinnere mich allerdings auch, dass die Fraktion der FDP im Bundestag bereits ab Februar dringend dazu geraten hat, eine Corona Task Force im Kabinett einzusetzen, um unser Land wirklich vorzubereiten. Und da mache ich den Vorwurf, weil ein Jahr später haben wir an vielen Stellen – ich denke an das Impfen, an den Schutz der Alten- und Pflegeheime, an innovative Maßnahmen, um Öffnung und Gesundheitsschutz zu vereinbaren –, ein Jahr später haben wir eben noch keine wesentlichen Fortschritte im Management der Pandemie gemacht. Und da sehe ich politische Versäumnisse bis zum heutigen Tage.
Remme: Dann steigen wir ein in die aktuelle Lage. Meinungsforscher ermitteln einen sprunghaften Anstieg derer, die die Corona-Einschränkungen als stark oder sehr stark belastend empfinden. Meinten Sie diese Entwicklung, als Sie letzthin im Bundestag sagten, "Der Bevölkerung geht die Puste aus"?
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Lindner: Ja. Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Pandemiebekämpfung sind überdeutlich. Und ich sehe auch Schwächen in der Kommunikation der Regierung. Es gibt einen November-Wellenbrecher, dann wird das verlängert über Weihnachten, aber Anfang des Jahres dann, dann heißt es, ‘nee, aber doch noch bis Ende Januar‘, jetzt sind wir beim 15. Februar. In Wahrheit hat die Frau Bundeskanzlerin in der letzten Sitzungswoche in internen Runden ja bereits von acht bis zehn Wochen gesprochen. Das heißt, mit der Erwartung der Bevölkerung wird hier nicht sorgfältig umgegangen.
Remme: Na ja, sie hat es nicht nur im Hinterzimmer so gesagt, sie hat auch öffentlich gesagt, dass der Grund für den 15. Februar nicht etwa die Aussicht auf eine Öffnung wäre, sondern der bürokratische ....
Lindner: ... sondern das Infektionsschutzgesetz, der Gesetzgeber.
Remme: Richtig.
Lindner: Der verlangt, dass man alle vier Wochen, die Lage prüft.
Remme: Ja.
Lindner: Dennoch kann man ja eine Erwartung äußern. Inzwischen sind wir auch nochmal wieder weiter. Bei ihrem Auftritt in der Bundespressekonferenz sprach Frau Merkel ja von Normalisierung am Ende des Sommers, wenn man allen Bürgerinnen und Bürgern ein Impfangebot gemacht haben will, sprich 21. September. Und Ihre Frage bezog sich ja auf die Erwartungshaltung der Bevölkerung. Und ich glaube, dass diese Perspektivlosigkeit über so viele Monate noch mit Einschränkungen umgehen zu müssen, dass das die Bereitschaft und die Einsichtnahme in Maßnahmen reduziert.

Defizite beim gesamtstaatlichen Krisenmanagement

Remme: Im Land zeigen sich – so sehe ich das in den Umfragen – etwa gleich starke Teile derer, die mit dem Krisenmanagement der politisch Verantwortlichen zufrieden oder unzufrieden sind. Es ist völlig eindeutig, dass die Zahl der Kritiker steigt. Ihre Partei, auch Sie persönlich, haben den Konsens mit der Linie der Bundesregierung ja schon nach den ersten Krisenmonaten aufgekündigt. Seitdem wird gestritten und gerungen, die einen handeln so, andere anders. Und ich frage mich, wirkt dieser Streit in einer solchen Lage nicht zusätzlich zermürbend? Mit anderen Worten, haben Sie zu dieser Belastung beigetragen?
Lindner: Also, Ihre Frage nehme ich gerne auf, aber ich empfehle doch die Art der Debatten zu betrachten. Denn wir haben nicht einen Konsens aufgekündigt und uns zurückgezogen, sondern wir haben enorme Defizite beim gesamtstaatlichen Krisenmanagement angesprochen und Vorschläge gemacht, die zum Teil in drastischer Art zurückgewiesen worden sind. Ich denke an unsere Forderungen ab dem Sommer, die betagten und hochbetagten Menschen, Menschen mit Behinderung wirksam zu schützen. Da hieß es, "Wir wollen und können die Alten nicht wegsperren", so wörtlich – als ob das jemand gefordert hätte. Aber es ging um Teststrategien in Alten- und Pflegeeinrichtungen, FFP2-Maskenpflicht dort, es ging im Alltag darum, die Menschen auszustatten mit einem Taxi-Gutschein, damit sie nicht Bus fahren müssen, es ging darum, FFP2-Masken an alle Menschen ab einem bestimmten Lebensalter auch mit der Post zu versenden. Das hätte uns viel Leid ersparen können – davon bin ich fest überzeugt –, weil es keine wirksame Strategie zum Schutz der Älteren gegeben hat. Und ich könnte es mit weiteren Punkten festmachen: Beim Impfen, bei der Digitalisierungsfrage, regionale Öffnungsstrategien.
Merkels Ruf als Krisenmanagerin steht auf dem Spiel
Wegen einer Mutante aus Großbritannien, über deren Verbreitung hierzulande wenig bekannt ist, sollen wir uns noch länger zusammenreißen. Diese Wissenslücke sei ein Problem, meint Theo Geers.
Remme: Ich höre, Sie rechnen sich da keine Verantwortung zu?
Lindner: Jeder trägt hier Verantwortung. Aber ich nehme für uns in Anspruch, dass unsere Oppositionsrolle kein Dagegen ist, sondern wir haben Vorschläge unterbreitet, von denen ja viele zum Teil Wochen oder Monate später von der Regierung aufgenommen worden sind.
Remme: Sie wollen – und das sagen Sie immer wieder –, dass der Bundestag vor den Kanzlerrunden stärker eingebunden wird. Und Sie sind jüngst mit der Forderung nach einer Sondersitzung gescheitert. Ich frage mich, gaukeln Sie damit nicht falsche Kompetenzen vor? Wir sehen doch, dass Frau Merkel und die Länderchefs regelmäßig Verabredungen treffen, die danach in den Ländern zu völlig unterschiedlichen Beschlüssen führen.
Lindner: Das Parlament hat zwei – mindestens zwei – Funktionen, die zentral sind.
Remme: Der Bundestag.
Lindner: Ja, der Deutsche Bundestag. Die eine Funktion ist natürlich die der Gesetzgebung. Hier muss das Parlament stärker beteiligt werden und die wesentlichen Entscheidungen treffen – das passiert nicht. Ich nenne als konkretes Beispiel die Festlegung der Impfreihenfolge. Die hat enorme Auswirkungen darauf, ob Menschen ihre Grundrechte werden verwirklichen können oder nicht. Das wird auch umstritten sein, wenn sichtbar wird, es gibt hinreichend viele Menschen, die vielleicht schon ihre Freiheiten leben können und andere müssen noch warten. Da hilft ein Parlamentsgesetz, bei diesen Grundrechtsfragen Legitimation herzustellen. Und das Parlament hat mindestens eine weitere Funktion, nämlich die Herstellung von Öffentlichkeit, öffentliche Debatte. Es ist gut, wenn die Frau Bundeskanzlerin in die Bundespressekonferenz geht, und es ist sicherlich richtig, dass in Talkshows intensiv gestritten wird über die Corona-Politik, aber das gehört eigentlich in die zentrale Arena unserer Demokratie, in den Deutschen Bundestag. Die Herstellung von Öffentlichkeit, das Erklären von Politik.
Remme: Aber es ist doch noch keine zehn Tage her, da hatten wir eine Debatte im Bundestag, mit einer Regierungserklärung.
Lindner: Moment, ich komme darauf gleich zurück. Und auch die Debatte über Alternativen, das gehört ins Parlament. Und in der Tat, die besondere Pointe, warum wir auch mit größter Vehemenz auf einer Sondersitzung bestanden haben und sogar die Linkspartei uns zugestimmt hat, nur die Grünen sich vor die Union gestellt haben, die Besonderheit jetzt war, dass wir eine laufende Sitzungswoche hatten, mit dem Gesundheitsminister, Jens Spahn, der eine Regierungserklärung abgibt und zeitgleich konnte man auf dem eigenen Telefon Medienberichte lesen, dass Frau Merkel in internen Sitzungen von acht bis zehn Wochen sprach, dass sondiert wurde, ob es nicht allgemeine Ausgangssperren gegeben hat. Und da, Herr Remme, sehe ich eine Respektlosigkeit gegenüber dem Parlament, wenn in internen Sitzungen einer Fraktion über die wahre Krisenpolitik gesprochen wird, während das Parlament sich mit einem nicht mehr aktuellen Stand befassen muss. Aus dem Grund wäre vor der Ministerpräsidentenkonferenz eine öffentliche Beratung sinnvoll gewesen. Ich erkenne an, dass es zum Teil ein schlechtes Gewissen bei den Beteiligten gibt, denn anders als sonst gab es dieses Mal vor der Bund-Länder-Runde – immerhin – eine Unterrichtung der Fraktionsvorsitzenden in einem Videokonferenzformat – das gab es sonst nicht. Und nun verlangen Bündnis 90/Die Grünen für die nächste Sitzungswoche eine Regierungserklärung – im Nachhinein. Also, da fühlen sich manche wohl nicht ganz wohl damit, wie das Parlament außen vor gelassen wird.
Remme: Sie haben der Bundesregierung vorgeworfen, den Impfstart verstolpert zu haben. Wir wussten, dass der Impfstoff knapp ist, zumindest als es losging, um Weihnachten. Einige Länder scheinen mit dem knappen Impfstoff aber besser klar zu kommen als andere. Ich ziele auf Nordrhein-Westfalen, wo sie in Regierungsverantwortung sind, wo die FDP an der Seite von Armin Laschet mitregiert. Da wurde der Impfstart jetzt für die über 80-Jährigen, die zu Hause leben, auf den 8. Februar verschoben. Herr Lindner, sind diese ständigen Veränderungen, falschen Versprechungen, Korrekturen – wie immer Sie das nennen wollen – auch auf Landesebene nicht der eigentliche Grund für die Zermürbung?
Lindner: Ich bin tatsächlich dafür, dass wir einen Impfgipfel von Bund, Ländern, den Landkreisen, den niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten und der pharmazeutischen Industrie bekommen, um dort zu besprechen, wie können wir die Logistik verbessern. Nur die Frage ist ja ...
Remme: Ich wollte eigentlich auf ...
Lindner: Ja, aber ich will aber auch auf einen Punkt: Die Frage ist, gelingt es uns, vor den 21. September zu kommen? Das heißt also, gelingt es uns, vor dem 21. September ein oder zwei oder drei Wochen, ein oder zwei oder drei Monate, vier Monate schneller zu werden? Das sichert Menschenleben und reduziert die Schäden.
Remme: Ich will auf den Punkt hinaus, dass es eben nicht nur die Bundesregierung sein kann, auf die mit dem Finger gezeigt werden kann, sondern dass eben die Länder mit dabei sind und dadurch auch die FDP in drei Ländern. Lüfter, digitale Endgeräte für Lehrer, Bewegungsradius, Impftermine, Schulöffnungen, da ist die FDP in der Kanzlerrunde doch indirekt immer mit im Boot.
Lindner: Nein. Das ist eine völlig verzerrte und falsche Darstellung, und aus meiner Sicht eine zu starke Parteinahme für das Kanzleramt. Die zentrale Krisenstrategie wird vom Kanzleramt geprägt, kommunikativ geprägt und auch konzeptionell. Und deshalb haben wir den Charakter einer Runde der Regierungschefs, wo die Länder und damit auch die Koalitionspartner in Wahrheit dann nur ratifizieren können. Und wenn Sie schon einzelne Länder vergleichen, Herr Remme, dann würde zur Fairness auch gehören, das Bundesland Schleswig-Holstein zu nennen, denn da trägt für all diese Fragen im Ressort ein FDP-Gesundheitsminister Verantwortung. Ich mache das nur als Reaktion auf Ihre Fragetechnik. Also, wenn man schon das genau festmacht, dann schauen wir uns die Bilanz der Gesundheitsminister in den Ländern an, da hat der einzige FDP-Gesundheitsminister eine gute Bilanz.

Grenzschließungen nur als letztes aller Mittel

Remme: Okay, ich beharre auf diesem Punkt so stark, weil Sie von einem Politikversagen mit Anlauf, mit Ankündigung im Bundestag gesprochen haben.
Lindner: Ja.
Remme: Das ist eine massive Kritik. Und wenn ich jetzt noch einmal auf ein Land schaue – und ich bleibe wieder bei Nordrhein-Westfalen, dort kennen Sie die Verhältnisse am besten, Sie haben die Landespolitik verlassen, dennoch will ich Sie fragen. Wenn ich jetzt Klagen lese der Bestatter-Branche, die darum kämpfen muss, als systemrelevant anerkannt zu werden – wir geraten hier leicht in die Gefahr, makaber zu werden, aber es ist nun einmal die Lage – und die darauf hinweisen, dass eine Runde im Kanzleramt am Dienstag tagt und am folgenden Montag das Ganze in Kraft tritt, das ist doch nicht das Tempo, dass die FDP sonst einfordert?
Lindner: Ich werde mich drum kümmern und den CDU-Gesundheitsminister in Nordrhein-Westfalen danach fragen. Nur, wenn Sie mich zitieren mit "Politikversagen mit Anlauf", das bezog sich auf anderes. Das bezog sich auf die Frage, Impfen und insbesondere den Schutz der vulnerablen Gruppen.
Reiseverkehr in der EU - Schwesig fordert einheitliche Standards
Die EU hat beschlossen, dass ihre Grenzen trotz der weiteren Ausbreitung des Coronavirus vorerst offen bleiben sollen. Manuela Schwesig forderte im Dlf deshalb klare Absprachen zwischen den EU-Ländern.
Remme: Die EU-Staats- und Regierungschefs haben jetzt auch über die Lage an den Grenzen beraten. Im Frühjahr – ich habe es ganz am Anfang erwähnt – stand die Grenze von Bayern im Vordergrund auf Grund der Inzidenzen. Seit Wochen sind es inzwischen die Grenzen zu Polen und zu Tschechien. Keine Schließung lautet das Mantra. Richtig?
Lindner: Schließungen können nur die Ultima Ratio sein. Es sind ja inzwischen verbundene Wirtschaftsräume. Die Menschen pendeln über die Grenze, weil sie ihren Arbeitsplatz im anderen Land haben. Oder es gibt andere Wirtschaftsbeziehungen, persönliche Beziehungen. Deshalb kann es nur eine Ultima Ratio sein. Ich warne da vor einem zu engen nationalen Denken, dort, wo es in Wahrheit schon ein Zusammenwachsen gibt. Wir machen ja auch keine Grenzschließung zwischen Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Und eine Grenzschließung zwischen Rheinland-Pfalz und Frankreich beispielsweise hätte genau den Charakter, weil viele Grenzregionen eben überlappend sind.

Impfzertifikat kann Bewegungsfreiheit wiederbringen

Remme: Ein anderes Thema auch bei den EU-Staats- und Regierungschefs auf dem Tisch, das europäische Impfzertifikat. Das soll es jetzt geben. Herr Lindner, was glauben Sie, welche Rechte sollte dieses Zertifikat mich sich bringen?
Lindner: Wir müssen zunächst einmal wissenschaftlich Evidenz erlangen darüber, ob die Impfung tatsächlich sicherstellt, dass Geimpfte ungefährlich sind, also das Virus nicht weitergeben. Das ist zunächst einmal die wichtigste Frage. Denn davon hängt danach die Abwägung ab, ob Geimpfte wieder ihre normalen Grundrechte verwirklichen können. Wenn es der Fall ist, dass Impfung vor Weitergabe des Virus schützt, kann es im Inland in Deutschland keine Freiheitseinschränkungen mehr für diese Menschen geben. Das sind im Übrigen keine Privilegien, sondern es sind die normalen Grundrechte, die nur eingeschränkt werden dürfen aus wichtigem Grund, also Gefahr. Und in Europa kann Handlungssicherheit und Bewegungsfreiheit wiedergewonnen werden dann durch ein Impfzertifikat, dass von Menschen keine Gefahr mehr ausgeht.
Ein Mitarbeiter vom Altenpflegeheim Heideweg zeigt seinen Impfausweis. 
Privilegien für Geimpfte oder Beschränkungen für alle?
Mit Impfausweis in den Urlaub, ins Kino oder Restaurant – sollten COVID-19-Geimpfte Sonderrechte bekommen oder muss es weiter Beschränkungen für alle geben? Ein Überblick.
Remme: Und wie groß ist die Gefahr, dass auch aufgrund des langen Impfverlaufs, auf europäischer Ebene allzumal, die Bevölkerung zerfällt in zwei Lager, der Geimpften und Nicht-Geimpften?
Lindner: Diese Gefahr ist sehr groß. Das ist enormer sozialer Sprengstoff, der darin liegt. Deshalb haben wir uns diese Frage auch nicht so einfach gemacht. Ich war im Dezember in dieser Frage auch noch sehr unentschieden, aber wenn man mit Verfassungsrechtlern und Ethikern spricht und das genau reflektiert, dann kann es keine sinnvolle Alternative dazu geben, als die Grundrechte wieder zu öffnen und eben nicht weiter Freiheitseinschränkungen anzuordnen, die individuell – unsere Grundrechte sind ja Individualrechte –, die individuell nicht mehr notwendig sind. Und deshalb müssen wir den sozialen Sprengstoff entschärfen, eben durch Fortschritte beim Impfen und durch intelligente Konzepte, mit denen gesellschaftliches Leben hochgefahren werden kann, selbst wenn die Gesellschaft noch nicht durchgeimpft ist. Ich bin fest davon überzeugt – die Überzeugung lasse ich mir auch nicht nehmen, ich habe in meinem Auto jetzt einen Luftfilter, einen mobilen –, dass mit solchen technischen Innovationen, dass mit Schulunterricht im Kinosaal, dass mit Taxigutscheinen für die Älteren – ich will jetzt nicht noch mal alle Einzelmaßnahmen, alle Aspekte aufzählen –, aber dass mit solchen innovativen Konzepten mehr Leben möglich ist als gegenwärtig.

Armin Laschet als neuer CDU-Vorsitzender

Remme: Sie hören das Interview der Woche im Deutschlandfunk und wir sprechen mit Christian Lindner, dem Partei- und Fraktionsvorsitzenden der Liberalen, der Freien Demokratischen Partei. Herr Lindner, ich will einige andere Themen streifen. Seit einer Woche steht Armin Laschet als neuer CDU-Chef fest. Wir zeichnen am Freitagvormittag auf, kennen in Prozenten das Ergebnis der Briefwahl nicht, aber dennoch die Frage: Werden sich die Anhänger von Friedrich Merz in der CDU nun fügen?
Lindner: Das weiß ich nicht. Es ist der CDU zu wünschen, dass sie einen klaren Kurs findet und sich hinter dem Vorsitzenden und dann später, wer auch immer es ist, dem Kanzlerkandidaten versammelt. Ich glaube, unser Land ist in einer besseren Lage, wenn Parteien stabil sind, auch gerade diejenigen, die anstreben, die Regierungen zu bilden.
Remme: Ich frage das deshalb, weil es ja für Sie mit Blick auf die Bundestagswahl interessant sein muss, ob durch diese Personalentscheidung eine Option, eine Chance für die FDP entsteht, Teile der CDU-Wählerschaft für sich zu gewinnen, weil eben Friedrich Merz die Linien dieser Partei nicht bestimmen wird.
Lindner: Unser Ziel ist es, die Menschen, die unserem Gedankengut nahestehen, die unser Lebensgefühl teilen, die an uns zu binden. Und natürlich, wenn jemand zuvor bei einer anderen Partei sich politisch beheimatet gesehen hat und jetzt zu uns kommt, ist er willkommen. Aber wir sind nicht das Auffangbecken für Enttäuschte von Grünen, SPD oder CDU.
Remme: Aber Sie hätten ja nichts dagegen, wenn diese Leute kommen.
Lindner: Ja, aber wir wollen zunächst einmal für uns werben. Und zwar wegen unserer eigenen politischen Inhalte. Der Wert der Freiheit, über den wir gesprochen haben. Die Frage der wirtschaftlichen Erholung, das Land vor einem Schuldensumpf zu bewahren. Mit Blick auf die CDU würde ich die Lage so einschätzen: es ist eine große Chance, dass mit Armin Laschet ein Regierungschef Vorsitzender ist, der eine erfolgreiche schwarz-gelbe Regierung führt und sich auch offen zur Zusammenarbeit mit der FDP bekennt, weil er dort die größte inhaltliche Nähe sieht. Das ist die Chance. Zugleich wächst auch unsere Verantwortung, weil die Entscheidung für Armin Laschet eine Entscheidung für Kontinuität war und gegen die wirtschaftspolitische Erneuerung eines Friedrich Merz. Und diese Punkte – wirtschaftspolitische Erneuerung des Landes, Wachstumsorientierung, die auch durch gute Beiträge in die Debatte und auch in das Regierungshandeln einzubringen –, das ist jetzt noch stärker die Verantwortung der FDP.
Detjen: "Laschet will jetzt auch Bundeskanzler werden"
Armin Laschet konnte sich bei der Wahl zum CDU-Vorsitz gegen Friedrich Merz durchsetzen. Doch die Partei bleibt gespalten: "Da werde noch die Zusammengehörigkeit getestet", meint Dlf-Korrespondent Stephan Detjen.
Remme: Herr Lindner, stimmen Sie Robert Habeck zu, wenn er sagt, die Union ist in Umfragen überbewertet? Wie stark ist die Union ohne Angela Merkel?
Lindner: Ich bin nicht ein objektiver Beobachter für die Stärke oder Schwäche anderer Parteien und würde mir eine Aussage wie Herr Habeck sie tätigt weder für die CDU noch für die Grünen öffentlich anmaßen.
Remme: Aber glauben Sie, dass die Union ohne diese Bundeskanzlerin in Meinungsumfragen schwächer dastehen wird? Sie ist populär, immer noch.
Lindner: Ich weiß es nicht. Es ist ja die Frage, wo dann die Merkel-Wählerinnen und -Wähler hinwandern, wenn sie sehen, dass die Union mit anderem Personal in eine Wahl geht. Ich weiß es schlicht nicht. Ich weiß nur eines, oder meine Erwartung ist eine andere. Herr Habeck macht es daran fest, wie stark oder schwach wird die Union und wie sehr ist sie überbewertet. Das kann er so tun. Ich selbst beschäftige mich mit etwas Anderem. Ich glaube, wir werden noch eine Veränderung der politischen Landschaft, in welcher Weise auch immer, erleben, wenn zur Mitte dieses Jahres die Fragen der aktuellen Pandemiebekämpfung ein Stück Raum geben, auch für andere Fragen. Wenn also die Sorge um die wirtschaftliche Existenz, die Sorge um den eigenen Betrieb, Arbeits- und Ausbildungsplatz, wenn diese Fragen stärker nach vorne kommen, dann wird sich die politische Landschaft noch mal neu formatieren. In welcher Weise, das ist offen.
Remme: Eine Klärung will ich noch versuchen.
Lindner: Gerne.
Remme: Viele haben Sie – um auf die FDP zu sprechen zu kommen – beim Parteitag so verstanden, dass Sie Ihre Position als Parteivorsitzender mit einer zukünftigen Regierungsbeteiligung verbinden. In Ihrer Rede haben Sie das gesagt und unmittelbar danach bei Phoenix auch. Hören wir mal rein.
Ausschnitt eines Interviews bei Phoenix am 19.09.2020
"Mein Parteivorsitz ist an das Ziel unmittelbar gebunden, dass ich die FDP in die Regierung führen will und damit ist es mir sehr ernst."
Remme: Herr Lindner, treten Sie also vom Parteivorsitz, um den Sie sich ja beim kommenden Parteitag wieder bewerben wollen, zurück, wenn es mit der Regierungsbeteiligung nicht klappt?
Lindner: Nein.
Remme: Warum nicht?
Lindner: Wir könnten ja ein Ergebnis von zwölf Prozent erzielen, dann wären wir besser als beim letzten Mal und trotzdem könnte es eine grün-rot-rote Mehrheit geben.
Remme: Korrigieren Sie also Ihre Aussage vom Parteitag?
Lindner: Nein. Die war nie so gemeint. Es wäre ja auch absurd in der Sache. Natürlich will ich als Parteivorsitzender – und das möchte ich unterstreichen – meine Partei in Regierungsverantwortung führen. So wie ich das 2017 in Nordrhein-Westfalen vermocht habe, so möchte ich das in Berlin natürlich auch tun. Für das Land, so glaube ich, wäre es gut, es gelänge schon 2021, zu einer Regierungsbildung unter Beteiligung der FDP zu kommen. Allerdings erlaube ich mir den Hinweis, ich bin 42 und habe auch Energie und Geduld, nötigenfalls länger durchzuhalten. Aber eine neue Politik fürs Land wäre jedenfalls ratsam.
Remme: Ich verstehe das und Sie haben ja auch hinzugefügt – die Antwort war etwas länger –, dass Sie natürlich Ihre politische Arbeit fortsetzen würden, weil sie Spaß macht. Ich frage mich eben nur, welchen Inhalt diese Verknüpfung vermitteln soll, wenn denn nicht die Tatsache, dass Konsequenzen folgen, wenn das Ziel verfehlt wird.
Lindner: Wie gesagt, das ist ja gar nicht in unsere Hand alleine. Es wäre absurd, wenn ein erfolgreicher Parteivorsitzender und Wahlkämpfer, weil andere eine Mehrheit bilden, von seinem Amt zurücktritt. Also alleine da sieht man ja schon, es ist Unsinn. Und ich sage Ihnen: auf gar keinen Fall werde ich das tun. Mein Gestaltungsanspruch in der Partei geht über den Tag hinaus, aber der Führungsanspruch ist eben mit dem Ziel verbunden, die FDP in die Regierung zu führen. Der Adressat meiner Aussage war nicht die eigene Partei. Sondern der Adressat war und ist die Öffentlichkeit, wo es ja manche gibt, die immer noch sagen: na ja, mit diesem Jamaika damals 2017, Sie hätten ja können und warum wollten sie nicht? Ich habe seinerzeit verzichtet auf das Amt des Vizekanzlers und des Finanzministers. Mit allen damit verbundenen Privilegien, Vorteilen und so weiter. Und ich habe das nicht getan – wie soll ich sagen –, weil ich Verantwortung scheue oder es mir leicht machen will. Ich glaube, das war der schwerere Weg. Aber die Öffentlichkeit muss wissen, unser Anspruch ist Gestaltung. Ich bin Parteivorsitzender, weil ich meine Partei in die Regierung führen will. Ich würde meine Aussage dann für Sie auf Nachfrage noch anders machen: Ich biete an, so lange der Parteivorsitzende zu sein, bis wir sehr erfolgreich in einer Regierung gewirkt haben werden – Futur II.
Remme: Ich will zum Abschluss des Interviews noch einmal zurück in die Tagespolitik mit Blick auf die nächste Woche. Wir hören, dass möglicherweise über eine Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz als Gesamtpartei entschieden wird – Sie kennen die Diskussion –, möglicherweise sogar eine Einstufung als gesichert extremistische Organisation. Was erwarten Sie und was halten Sie für die richtige Entscheidung?
Lindner: Das sollten – und das ist eine Frage der demokratischen Hygiene – die Verfassungsschutzbehörden ohne Hinweise aus der Parteipolitik entscheiden. Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass die Parteien des politischen Zentrums sich einem lästigen Mitbewerber entziehen wollen, unter Einschaltung der Inlandsnachrichtendienste. Deshalb gebe ich dazu kein Votum und keine Empfehlung ab. Die AfD ist auch ohne Beobachtung durch den Verfassungsschutz in meinen Augen absolut unwählbar. Nicht nur hinsichtlich ihres Auftretens, der rüde Ton, inhaltlich, weil sie keine klaren Positionen haben, und vor allen Dingen, weil diese Partei grundlegenden Werten unserer offenen, liberalen Gesellschaft widerspricht mit ihrem völkischen Kollektivismus, keine klare Abgrenzung zum Rassismus, für das Land wirtschaftlich enorm schädliche, ich will sagen, verheerende Antworten auf Fragen der internationalen Politik und der wirtschaftlichen Modernisierung unseres Landes. Also, auch ohne Verfassungsschutz, man kann von der Wahl der AfD nur abraten. In den Ländern, zumal in Ostdeutschland, haben Stimmen für die AfD in der Regel auch nur dazu geführt, dass die Regierungen, die Koalitionen, die gebildet werden mussten, weiter nach links gerückt sind.
Remme: Herr Lindner, vielen Dank für das Interview.
Lindner: Ich danke Ihnen, Herr Remme.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.