"Für Kinder hat sich durch den eingeschränkten Lockdown in Deutschland der komplette Alltag von heute auf morgen auf den Kopf gestellt," sagte Kerstin Holze, Kinderärztin und Vorsitzende der Deutschen Kinderturnstiftung. Gerade der Sport und die Bewegung seien elementare Bestandteile dieses Alltags, der jetzt komplett weggebrochen sei. Das widerspreche ihrem natürlichen Bewegungsdrang.
Sport- und Bewegungsangebote fallen während Corona aus
Auch Susanne Frenken, Grundschullehrerin aus Leverkusen, sieht das eingeschränkte Bewegungsangebot als Problem an und stellt fest, dass Kinder mit sportaffinen Eltern es leichter hätten, ihrem Bewegungsdrang nachzukommen. In der Notbetreuung sei es sehr schwer gewesen, Kinder in Bewegung zu bringen und gleichzeitig den Mindestabstand einzuhalten. Auch jetzt, wo die Schule nach und nach wieder losgehe, sei Sportunterricht schwer, denn Geräte seien ständig zu desinfizieren und die Abstandsregelungen gelten immer noch.
Bewegung nimmt aus Mangel an Alternativen offenbar zu
Alexander Woll ist Leiter des Instituts für Sport und Sportwissenschaft am Karlsruher Institut für Technologie und macht sowohl eine Langzeitstudie zu Kindern und Bewegung als auch eine punktuelle Erhebung in Coronazeiten. Seine überraschende Erkenntnis: Kinder haben in der Coronakrise mehr Freizeit und nutzen diese offenbar, um aktiv zu sein. Woll stellt in seiner Studie zu Sport während der Corona-Pandemie fest, dass die Bewegung der Kinder um etwa ein Drittel zugenommen hat: "Wir haben eine Zunahme von Bewegung, aber natürlich eine Abnahme an Sport und Sportangeboten."
Boom digitaler Angebote
Den Kindern und Jugendlichen käme entgegen, dass die Beschränkungen in Deutschland nicht so streng waren. Man könne radfahren und laufen, außerdem sei es zu einem Boom von digitalen Angeboten gekommen. Dennoch schränkt er mit Blick auf die Zukunft ein: Dies sei auch in außergewöhnlichen Tagesabläufen geschehen, ohne "organisierte Schul- und Kindergartenzeit".
Oft ist der soziale Hintergrund entscheidend
Grundschullehrerin Susanne Frenken ergänzte in der Diskussion allerdings, dass der soziale Hintergrund der Kinder eine ganz wichtige Rolle bei der Frage spiele, ob Kinder sich in ihrer dazu gewonnenen Freizeit draußen bewegten oder nicht.
Kinderärztin Kerstin Holze betonte die Wichtigkeit einer Kindheit mit viel Bewegung - sei es als Erfahrung von Körperlichkeit oder der Prävention von Krankheiten. "Bewegte Kinder sind bewegte Jugendliche, sind bewegte Erwachsene." Aus den Erkenntnissen von Alexander Woll könne man nicht schließen, dass Bewegungsangebote nicht wichtig seien.
Eine Lobby für Kinder
Offen sei laut Kerstin Holze aber noch, welche Auswirkungen die Corona-Pandemie langfristig auf das Bewegungsverhalten der Kinder haben werde. Wichtig sei demnach, Kinder auch in Zukunft in Bewegung zu halten und sie immer wieder zu unterstützen, Sport zu treiben und sich zu bewegen. "Wir müssen weiter kreativ sein. Ich glaube, das ist der Schlüssel zu allem."
Auch Studienleiter Alexander Woll fordert: "Wir brauchen eine Lobby für Kinder und für Bewegung. Dieses natürliche Bewegungsbedürfnis dürfen wir auch in der Nach-Corona-Zeit nicht aus dem Blick verlieren."