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Coronavirus
Welche Bedeutung haben Schüler für die Ausbreitung?

Mit den aktuellen Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie sind in fast ganz Deutschland auch Schulen und Kitas geschlossen. Zwei aktuelle Studien legen nahe, dass diese Maßnahme zur Eindämmung des Virus wichtig sein könnte.

Von Volkart Wildermuth | 16.12.2020
Mundschutzmaske hängt an einem Schülertisch während des Präsenzunterrichts.
Schule ein Infektionstreiber oder nicht - darin sind sich Virologen uneins (picture alliance / Eibner-Pressefoto)
Seit Beginn der Corona-Pandemie ist umstritten, inwieweit Kinder und Jugendliche an der Ausbreitung des Coronavirus beteiligt sind. Nun gibt es zwei weitere Studien: vom Karlsruher Institut für Technologie ("Utilizing Concept Drift for Measuring the Effectiveness of Policy Interventions: The Case of the COVID-19 Pandemic", Baier et al., Preprint 30.11.2020) und der Universität Oxford ("Inferring the effectiveness of government interventions against COVID-19", Brauner et al., "Science", 15.12.2020).
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Wie konnten die beiden Studien die Bedeutung der Schulen nachweisen?
Mit unterschiedlichen mathematischen Methoden haben die beiden Gruppen in Oxford und in Karlsruhe im Grunde dieselbe Spur verfolgt. Im Frühjahr gab es eine erste Welle der Corona-Epidemie in vielen Ländern, die darauf jeweils mit einer ganzen Reihe von Einschränkungen regiert haben: Schulschließungen, Versammlungsverboten, Geschäftsschließungen. Die Strategie hatte auch Erfolg, die Virenausbreitung verlangsamte sich, ging deutlich zurück.
Welche Maßnahmen erfolgreich waren, lässt sich untersuchen, in dem man die Länder vergleicht. Die Forscher aus Karlsruhe haben geguckt, wie schnell welche Maßnahme eingeführt wurde und wann dann in dem Land die exponenzielle Ausbreitung der Epidemie gebrochen wurde. Hier zeigte sich, dass die Schulschließungen am wichtigsten waren und danach mit deutlichem Abstand die Beschränkung der Gruppengröße bei Treffen in der Öffentlichkeit. In Oxford hat man für jeden Tag nachvollzogen, welche Maßnahmen in Kraft waren und wie sich die Reproduktionszahl R verändert hat. Demnach war die Beschränkung der Gruppengröße auf zehn Personen am effektivsten und danach die Schulschließungen.
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Ist es inzwischen allgemein akzeptiert, dass Schulschließungen entscheidend waren?
Nein, denn wie immer gibt es Kritik an den Studien. Die Forschenden aus Oxford merken selbst an, dass in fast allen Ländern Schulen und Universitäten gleichzeitig geschlossen wurden. Es kann also sein, dass gar nicht die Schulkinder, sondern die Studierenden entscheidend für die Ausbreitung von SRAS-CoV-2 sind.
Kritikpunkt zwei: Es sind sehr viele Einschränkungen in kurzem Abstand erlassen worden. Die auseinanderzurechnen gelingt nur mit erheblichen mathematischen Klimmzügen. Um noch einmal die Studie aus Oxford zu zitieren: "Schulschließungen konnten R um 38 Prozent senken." Klingt gut - allerdings gibt es einen großen Unsicherheitsbereich, der tatsächliche Wert könnte auch nur 16 Prozent oder sogar 54 Prozent betragen. Tatsächlich waren Schulschließungen fast überall unter den ersten Maßnahmen: Kommt es vielleicht einfach darauf an, überhaupt schnell zu handeln?

Die ersten sichtbaren Maßnahmen haben dann vielleicht die Bevölkerung animiert, generell vorsichtiger zu sein, Maske zu tragen und so weiter. Um hier mehr Klarheit zu bekommen, hat eine Gruppe aus Bonn (Insitute of Labor Economics) nicht die Schulschließungen untersucht, sondern die Öffnungen nach den Sommerferien, da gab es keine parallelen Maßnahmen und da zeigt sich, dass die Schulöffnungen die Epidemie in den unterschiedlichen Bundesländern nicht befeuert haben. Aber auch diese Studie kann man kritisieren. Am Ende des Sommers war SARS-CoV-2 viel weniger unterwegs, vielleicht war der Effekt deshalb schlicht nicht zu sehen.
Sind Kinder Teil des Infektionsgeschehens?
Klar ist: Gerade kleine Kinder erkranken seltener und deshalb werden ihre Infektionen häufig übersehen. Aber sie bilden durchaus große Virenmengen, können andere also wahrscheinlich ebenso effektiv anstecken, wie das Erwachsene tun. Also lautet die entscheidende Frage: Welcher Anteil der Kinder ist infiziert? Das Robert Koch-Institut schlüsselt die positiven Testergebnisse nach dem Alter auf und da liegen die 15- bis 19-Jährigen mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von 218 inzwischen fast so hoch wie die junger Erwachsener von 20 bis 25 und deutlich über dem deutschen Durchschnitt von 183.

Jüngere Kinder sind jedoch seltener betroffen. In Deutschland wird aber vor allem getestet, wenn jemand Symptome hat, da können gerade Kinder durch die Maschen schlüpfen. Deshalb ist die REACT-1-Studie aus England so interessant, da werden nämlich bei einer repräsentativen Stichprobe Abstriche gemacht. Gerade ist die Analyse der siebten Runde veröffentlicht worden und da finden sich positive Befunde am häufigsten in der Altersgruppe 13 bis 17 und auch jüngere Kinder von 5 bis 12 Jahren sind stärker betroffen als andere Altersgruppen. Diese Zahlen zeigen: Dem Virus sind die Altersgruppen egal, es infiziert, wen es erwischt.
Welche Rolle spielen Schulkinder für die Corona-Epidemie?
Die Schulen sind schlicht Teil der Gesellschaft und wenn sich dort das Virus ausbreitet, dann kommt es auch in die Schulen. Im zeitlichen Verlauf steigen die Zahlen zuerst bei den jungen Erwachsenen an, die sind ja auch besonders reiselustig, haben viele soziale Kontakte, das ist ganz normal. Dann geht es aber schnell weiter zu den Jugendlichen und in die anderen Altersgruppen zu den Alten und den Kindern. Am Anfang haben vor allem Lehrkräfte das Virus in die Schulen gebracht, aber an den Zahlen des RKI kann man ablesen, dass die Ausbrüche in Altenheimen ständig zunehmen, dass seit Mitte November die Ausbrüche an Schulen aber geringer werden. Vielleicht schlagen da schon die in einigen Bundesländern beschlossenen Maßnahmen wie Masken in allen Klassen durch.
Bei der Influenza sind Kinder entscheidend für die Verbreitung des Erregers, danach sieht es bei SARS-CoV-2 aktuell nicht aus. Aber noch einmal: Schulen sind Teil der Gesellschaft, und wenn überall auf Abstand geachtet wird und nur die Klassenzimmer überfüllt sind, dann ist das ein Problem. Das RKI hat ja schon früh Empfehlungen gegeben wie zum Beispiel zum Tragen von Masken und zur Teilung von Klassen, aber die wurden praktisch nirgends in Deutschland umgesetzt. Kein Wunder also, dass es an Schulen zu Ausbrüchen kam. Es kommt darauf an, es dem Virus dort wie überall möglichst schwer zu machen. Und der Lockdown wird das hoffentlich erreichen.
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