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Corso-Gespräch
Deutsche Poesie in Lateinamerika

Hans-Eckardt Wenzel hat ziemlich viele Preise auf seinem Kaminsims stehen. Er hat für seine Musik unter anderem den Kleinkunstpreis bekommen, mehrfach den Preis der deutschen Schallplattenkritik und jüngst den Preis für die CD des Jahres der Liederbestenliste.

Hans-Eckardt Wenzel im Corso-Gespräch mit Sascha Ziehn | 06.12.2014
    Der Musiker Hans-Eckardt Wenzel war zu Gast in der Sendung "Tonart" im Deutschlandradio Kultur.
    Der Musiker Hans-Eckardt Wenzel war zu Gast in der Sendung "Tonart" im Deutschlandradio Kultur. (Deutschlandradio - Matthias Horn)
    Sein neues Album "Viva La Poesia" hat er zusammen mit seiner Band unter anderem in Havanna aufgenommen, nach einer Tour durch Kuba und Nicaragua.
    Sascha Ziehn: Hans-Eckardt Wenzel hat 1986, damals noch in der DDR, sein erstes Album veröffentlicht. Seitdem sind etwa 40 Alben dazu gekommen, er hat für seine Musik, die er unter seinem Nachnamen Wenzel veröffentlicht, unzählige Preise bekommen: Den deutschen Kleinkunstpreis, mehrfach den Preis der deutschen Schallplattenkritik – da wird es schon eng auf dem Kaminsims.
    Im Frühjahr war Wenzel mit seiner Band auf Tour in Kuba und Nicaragua. Und da lag es nahe, sich auch für ein paar Tage in einem Studio in Havanna einzumieten und neue Songs in ungewohnter Umgebung aufzunehmen. Das Ergebnis dieser kubanischen Reise ist gestern erschienen, "Viva La Poesia" heißt das neue Album von Wenzel, das er auch gerade live vorstellt, er ist mit seiner Band auf Tour in Deutschland.
    Zeit für ein Corsogespräch hatte er trotzdem – und ich habe ihn als erstes gefragt, warum er denn gleich im ersten Song auf "Viva La Poesia" davon singt, dass man sich von den Siegern fernhalten soll...
    Hans-Eckardt Wenzel: Na, aus vielerlei Gründen, glaube ich. Es ist eine Position in die Welt zu gucken. Wenn man im Zentrum der Welt ist, sieht man nicht viel von ihr. Dann kann man bloß auf den Arsch raus gucken. Aber wenn man sozusagen am Ende der Welt lebt, kann man in die Welt rein gucken. Aus diesem Grunde fahre ich auch gelegentlich an die Ränder dieser Welt, um etwas über meine eigene Welt zu erfahren. Und das andere ist: Wir leben in solchen deterministischen Zusammenhängen, dass man, sobald man sich an der unsexy Stelle des Siegers befindet, man immerzu den Optimismus verteidigen muss. In einer Zeit, die eigentlich sehr brüchig ist und auf sehr tönernen Füßen steht. Und das was alles in dem Lied an Bildern aufgezeigt wird, zeigt eigentlich die Absurdität, in der wir leben. Die wir immer nur erkennen können, wenn wir mit einem gewissen Abstand eine Sache betrachten. Der Abstand ist immer das, was uns ermöglicht, wieder nah kommen zu können.
    Ziehn: Sie haben diese Ränder der Welt angesprochen. Sie waren nicht ganz am Rande der Welt, Sie waren in Nicaragua und auf Kuba auf Tour, haben das Album auch teilweise dort aufgenommen, in einem Studio in Havanna. War das anders, als jetzt in Berlin aufzunehmen?
    Wenzel: Auf jeden Fall anders. Es ist eine andere Erfahrung, die man hat, es sind andere technische Voraussetzungen, andere Eindrücke. Und diese Verwirrung der geordneten Welt, der Eindrücke und Erfahrungen, die ist für mich immer sehr notwendig, damit ich etwas genauer betrachten kann. Wir haben mit kubanischen Musikern zusammen gespielt, wir haben natürlich im Studio auch basteln müssen, weil nicht alles funktioniert, es war ein kleines Studio. Wir haben mit den Leuten dort gelebt, wir haben irgendwann in einer ganz kleiner Bar gefragt, ob wir einfach aufbauen können, haben nachmittags für die Leute da ein kleines Konzert gegeben. Wir haben versucht, in diese Welt hinein zu kommen, unsere Erfahrungen, unsere musikalischen und unsere kulturellen mit einzubringen. Und gleichzeitig war es so ein Stamm aus der DDR, ein Stück Reise in eine restsozialistische Konstellation. Unter diesem Aspekt das noch mal zu betrachten ist auch sehr interessant.
    Ungewöhnliche Umgebungen verändern die Wahrnehmung
    Ziehn: Ist das eigentlich so ein Mythos, den vor allem Musikjournalisten gerne sehen wollen – dass es auch auf die Musik abfärbt, wenn Musiker in einer anderen, vielleicht ungewöhnlichen Umgebung aufnehmen?
    Wenzel: Nein, ich glaube, das verändert alle unsere Wahrnehmung. Das verändert das Schreiben, ich habe einen Großteil der Songs da geschrieben. Es verändert, wie wir mit unseren Partnern, mit unseren Freunden, unseren Kollegen umgehen. Immer wenn wir ein System verlassen, sei es ein kulturelles oder ein sprachliches, dann verändert uns das. Und das ist sehr wichtig in einer auf Eindeutigkeit ausgerichteten Welt.
    Ziehn: Wie waren denn die Reaktionen auf Ihre Musik, als Sie in Nicaragua und auf Kuba gespielt haben – Ihre ja nicht so ganz unwichtigen Texte können die meisten Menschen – nehme ich an – ja dort nicht verstehen.
    Wenzel: Ich habe in diesem Jahr eine Platte meiner Songs in Spanisch heraus gegeben und einen Gedichtband mit einem nicaraguanischen Übersetzer, sodass wir da komplette Konzerte in Spanisch gespielt haben, sodass man die Texte verstehen konnte und auch die Ansagen, also: ein Konzert in anderer Sprache. Und das hat sehr gut funktioniert, man hat sehr aufgehorcht und war sehr erstaunt über einen gewissen anderen Ton in der Musik. Wir sind natürlich etwas fester, preußischer, aber das muss man auch nicht verleugnen, etwas disziplinierter, etwas intellektueller. Das hat sich auf eine angenehme Weise berührt, wir haben mit großartigen Kollegen zusammengearbeitet, sie haben uns begleitet, wir haben sie begleitet, sodass das eine Berührung stattfand.
    Ziehn: Auch auf "Viva La Poesia" ist wieder ein Lied, für das Sie einen Text von dem österreichischen Lyriker Theodor Kramer vertont haben, "Wenn der Kragen ganz verschwitzt ist" heißt es. Theodor Kramer und seine Texte begleiten Sie ja seit langem – warum eigentlich, was reizt Sie so an seinen Texten?
    Wenzel: Er ist mir ein sehr enger Freund in meinem ganzen Leben. Ich habe ihn kennengelernt, ich habe meine Staatsexamensarbeit über ihn geschrieben. Und am Anfang war ich sehr zornig, dass eine so großartige Stimme in Deutschland und Österreich nicht wahrgenommen wird. Dann habe ich ein bisschen meinem, Gerechtigkeitssinn nachgegeben und ihn vertont und bekannt gemacht. Und ich mag an ihm diese Genauigkeit in seinen Bildern, den Widerspruch gegen eine nichtstimmige Welt. Und vor allem eine Tradition von einem gut gebauten Liedtext, der in der Tradition von Heine, Wilhelm Müller steht, eine Tradition, die es in der Weise nicht mehr gibt, scheinbar altertümlich wirkt, aber in seinen Inhalten sehr modern ist.
    Man schreibt sein Leben an einem Lied
    Ziehn: Sie haben 1986 ihr erstes Album veröffentlicht, seitdem grob gezählt 40 weitere - gibt es eigentlich so etwas wie eine Tradition, in der sie sich sehen?
    Wenzel: Es wechselt sicher. Natürlich bin ich irgendwo in der Tradition des deutschen Volksliedes, des Kunstliedes, Franz Schubert, Hugo Wolf, Hans Eisler, Kurt Weill haben mich sehr geprägt. Aber auch andere Arbeiten. Ich bin immer angeregt durch Menschen, mit denen ich mich auseinandersetze. Ich war lange mit Arlo Guthrie auf Tournee, hab über Woody Guthrie gearbeitet, hab in der Türkei Konzerte gegeben. Ich habe immer versucht, vielleicht ein bisschen das Defizit, was mir die DDR aufgezwungen hat, eben nicht sehr viel von der Welt wahrnehmen zu können, versucht durch konkrete Arbeit mit vielen Musikern zurückzuholen. Es ist vielleicht die Welt und mein Verhältnis zu ihr. Dass sich immer wandelt und letzten Endes immer in einem Grundprotest besteht. Also einem gewissen Unglück über Ungerechtigkeit, das mich trägt und das mich auch zum Sprechen bringt. Dann ändern sich die Sachen natürlich immer. Im Grunde schreibt man sein ganzes Leben an einem Lied, um das irgendwann mal zu finden, muss man vielleicht den Umweg machen, über 40 Alben.
    Ziehn: Ihr erstes von diesen 40 Alben, "Stirb mit mir ein Stück", ist 1986 noch in der DDR aufgenommen und veröffentlicht worden. Unter was für Bedingungen eigentlich?
    Wenzel: Ja, das waren Studiobedingungen in einem planmäßig organisierten Staat. Das heißt, man hatte vier Stunden, baute 1,5 Stunden auf, dann nahm man auf, baute wieder ab und dann kam die nächste Kapelle. Die Bedingungen waren so wie das Land war. Man hat versucht, mit gewissen Mängeln leben zu können. Mir fehlte die Erfahrung, ich habe nicht so lange in Studio vorher gearbeitet, nur in kleinen Studios. Ich wusste nicht, wie es genau funktioniert. Die Naivität merkt man der Platte auch an. Ich hatte damals mein Konzept gegen eine Überpolitisierung sowohl von Befürwortern der DDR als auch Kritikern, mich zu entziehen und eigentlich versucht, die Genauigkeit des Alltags und der Einsamkeit in dieser Welt zu beschreiben. Das war nicht so einfach zu zensieren oder anzugreifen, das war wie ein kleiner Virus, den man in die Gesellschaft setzt, über den Sinn nachzudenken und sich nicht von ideologischen Mustern treiben zu lassen.
    Deutsche brauchen positive Feiertage
    Ziehn: Anlässlich des 25 Jahrestages des Mauerfalls gab es viele Feierlichkeiten. wie haben sie die wahrgenommen, als Musiker, der damals in der DDR tatsächlich kurz vor der Wende per Resolution große Veränderungen für Musiker gefordert hat?
    Wenzel: Die Deutschen brauchen nun mal ihre positiven Feiertage. Ich fand es in gewisser Hinsicht übertrieben. Es ist ein großer Moment, dass die Geschichte so unblutig verlaufen sind und das gewisse Dinge verschwunden sind. Aber manchmal scheint es mir so, dass man sich in der Feierlaune über die bestehenden Probleme hinwegsäuft. Dass man sich wegtaumelt und die Augen verschließt vor dem Unrecht in der Welt oder der Hochrüstung, die gerade passiert. Da lässt man ein paar Ballons steigen und macht ein Event. Die Geschichte wird zu einem Entertainment umgepolt und am Ende reden die Feiglinge wie Gauck, die sich nicht engagiert haben und die setzen sich die Krone auf. Aber das ist der Gang der Geschichte in Deutschland immer gewesen.
    Ziehn: Sehen Sie Ihre Musik da auch als politisch, als Gegenstimme zum trunkenen Taumel?
    Wenzel: Ich bin ich erste Linie kein politischer Sänger. Ich versuche, über die Grundthemen zu singen, Liebe und Tod, die Dinge, die wir nicht begreifen. Aber manchmal oder meistens stehen politische Verhältnisse dagegen, das begreifen zu können, und dann ist es meine Pflicht, diese politischen Dinge zu beschreiben. Eine vorsätzliche Politisierung ist nicht gut, da halte ich es mit Hans Eissler der sagte: Überpolitisierung in der Kunst führt zur Barbarei in der Ästhetik. Und ich glaube, dass es den Urgrund haben muss, diese Phänomene der Menschheit zu beschreiben. Und wenn politische Verhältnisse dagegen sind, dann muss ich diese politischen Verhältnisse attackieren, muss meinen Zorn über das Unrecht zum Sprechen bringen. Und in dem Sinne bin ich notgedrungen ein politischer.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.