
Marcel Anders: Frau Hynde, die Pretenders sind eine klassische One-Women-Band. Sprich: Sie plus diverse Begleitmusiker - und das seit 38 Jahren. Warum dann jetzt ein Solo-Album? Worin besteht der Unterschied?
Chrissie Hynde: Es nennt sich zwar Solo-Album, aber im Grunde ist es eine Kollaboration. Ich habe alle Stücke mit Björn Yttling und Joakim Ahlund geschrieben, was ein ganz neues Arbeiten war. Bei den Pretenders - die weiter existieren - ist es so, dass ich den Löwenanteil der Songs einbringe und wir sie als Team ausarbeiten. Doch diese Jungs haben sich schlichtweg geweigert, Stockholm zu verlassen oder sich meiner Band anzuschließen. Ich habe sie auf Knien angefleht, aber sie haben so viele andere Verpflichtungen, dass es nicht ging. Deshalb trägt das Album jetzt meinen Namen. Was mir aber eher peinlich ist. Ich bin lieber in einer Band, statt in erster Reihe zu stehen.
Anders: Zudem warten Sie mit Gästen wie Ex-Tennisstar John McEnroe und Altmeister Neil Young auf. Eine seltsame Mischung...
Hynde: Normalerweise hätte ich Neil nie angerufen - einfach, weil er Neil Young ist. Nur: Ich wollte meinem Produzenten Björn eins auswischen, weil er mir zu stoisch und emotionslos war. Wir hatten dieses Stück, das wir „den Neil-Song" nannten. Und irgendwann habe ich gesagt: „Ich könnte ihn ja anrufen, damit er da mitmacht." Also einfach, um Björn aufziehen - um zu sehen, ob ich diesem stoischen Schweden eine Reaktion entlocken kann. Aber da kam nichts. Weshalb ich mich entschied, es wirklich zu tun - und Neil sagte sofort zu. Genau wie McEnroe, mit dem ich Björn ebenfalls aus der Reserve locken wollte. Als ich mitbekam, dass er auf Tennis steht, habe ich McEnroe ins Studio geladen, der zufällig für ein Turnier in Europa war.
"Die Tatsache, dass Neil Young kein Pot mehr raucht, ist schon seltsam"
Anders: Hat sich Neil sehr verändert, seit er kein Cannabis mehr raucht?
Hynde: Die Tatsache, dass Neil kein Pot mehr raucht, ist schon seltsam. Aber diesen Punkt erreicht ja jeder - also wenn er oder sie lange genug in diesem Geschäft sind. Da muss man die Drogen zwangsläufig zurückschrauben. Und davon kann sich niemand ausnehmen, weil einem das Leben sonst entgleitet. Sprich: Monatelang mit einem Haufen Typen in einem Tourbus leben, kiffen und sich jeden Abend in den Schlaf saufen, das kann man höchstens bis 40 machen. Dann hinterlässt es deutliche Spuren. Und wenn du mein Alter erreichst, sitzt du womöglich im Rollstuhl. Insofern kann ich kaum glauben, dass ich solange damit durchgekommen bin.
Anders: Sind Sie eine Überlebende des Rock´n´Roll?
Hynde: Ja, und das gilt für alle, die zur selben Zeit angefangen haben wie ich, und immer noch dabei sind. Wobei das erste, was man aufgeben muss, ganz klar das Rauchen ist. Es ruiniert die Stimme.
Anders: Dann sind Erkrankungen wie die von Lemmy Kilmister von Motörhead echte Weckrufe?
Hynde: Ja, was ist los mit Lemmy? Hat er aufgehört zu rauchen?
"Den Korken in die Flasche stecken und mit dem Qualmen aufhören"
Anders: Er hat ein Jahr lang alle Konzerte abgesagt. Was bedeutet, dass es ihm offenkundig nicht gut ging.
Hynde: Stimmt. Ich selbst habe in meiner Karriere vielleicht fünf Konzerte abgesagt. Einmal als bei mir eine Fehlgeburt festgestellt wurde. Und einmal, als ein Arzt meinte, meine Trommelfälle würden explodieren, wenn ich auf die Bühne gehe. Ich war also noch nie ein Waschlappen. Sondern ich bin immer da und immer pünktlich. Nur: Irgendwann ist es Zeit für Veränderungen. Und das normalerweise mit 30. Dann muss man den Korken in die Flasche stecken und mit dem Qualmen aufhören.
Anders: Angesichts dieser Einsichten: Denken Sie mit 63 nie ans Aufhören? Oder daran, vielleicht etwas anderes zu machen?
Hynde: Ich kann mir nichts anderes vorstellen als in einer Rockband zu spielen. Und ich habe erst neulich eine TV-Show namens „Rock Of Ages" gesehen, in der Iggy Pop und Lemmy interviewt wurden. Die zentrale Frage war: „Warum machen sie das immer noch?" Und die Quintessenz war: „Wie kann ich mich selbst in Rente schicken?" Denn genau darum geht es beim Rock´n´Roll und darin besteht der Unterschied zwischen einem Musiker und einem Schauspieler: Als Mitglied einer Band bist du ganz du selbst. Warum solltest du das aufgeben?
Anders: Rock´n´Roll als Mission - und Jungbrunnen?
Hynde: Da ist ein Menge Kram, der mit dem Alter einhergeht und nicht wirklich erstrebenswert ist: Knieoperationen, Krebs, Krankheiten - all die Todessignale, die auftauchen, wenn man erst mal 50 ist. Dagegen kann man nichts machen. Nur: Bislang habe ich den Punkt, an dem man ständig Schmerzen hat, noch nicht erreicht. Ich habe zwar erlebt, wie meine Eltern da durch mussten und natürlich ist das eine Phase am Ende des Lebens, die schwierig ist. Aber wenn du dich gut fühlst - wie ich - ist das Leben sogar besser. Einfach, weil du entspannter bist. Du machst dir nicht mehr wirklich viele Sorgen.
Anders: Wie denken Sie über die heutige Rockmusik?
Hynde: Sie wird immer weiter kastriert. Und es ist definitiv so, dass ich tolle Musik vermisse. Nur: Wie kriegen wir die zurück? Ich meine, das lässt sich nicht erreichen, wenn wir gemütlich mit unserem Schatz auf der Couch liegen und fernsehen. Darüber lässt sich kaum ein guter Song schreiben. Und Künstler sind ja eher dazu da, um den Schmerz auszudrücken, den andere nicht ausdrücken können.
Anders: Sagt die Expertin für Liebeslieder?
Hynde: Da bin ich keine Expertin was das Schreiben betrifft, sondern eher fürs Hören. Ich bin das Publikum.
Anders: Aber Sie haben doch Balladen wie „I´ll Stand By You" komponiert?
Hynde: Ich habe einige geschrieben. Und wenn ich jetzt sagen müsste, was sie ausmacht, dann wären es Enttäuschung, Verlangen oder das Gefühl, am Boden zerstört sein. Es sind negative Aspekte, die dafür sorgen, dass du ein Liebeslied schreibst. Wie bei „Some Guys Have All The Luck" von Rod Stewart. Das klingt zwar wie ein lustiger Song. Und wenn du den Refrain hörst, denkst du, es wäre eine gut gelaunte Karaoke-Nummer. Aber tatsächlich geht es um einen Typen, der im Bus sitzt und sich Pärchen anschaut. Er sitzt da alleine und ist nicht besonders glücklich. Das ist der Standpunkt, der meisten Liebeslieder: „Ich denke permanent an dich, aber habe es dir nie gesagt."
Anders: Was sagt das über Sie? Dass Sie nie viel Glück mit Männern hatten oder eine Einzelgängerin sind?
Hynde: Ich rede nicht über mich. Schon gar nicht über Details aus meinem Privatleben. Einfach, weil ich nicht stolz darauf bin. Aber eine Sache, auf die ich stolz bin, ist, dass die Öffentlichkeit nicht viel über mich weiß. Das gibt mir ein gutes Gefühl. Und von Künstlern, die ich mag - wie dem Schriftsteller Graham Greene - weiß ich weder, wie er aussieht, noch wer er ist. Wobei es heutzutage aber so ist, dass du als Künstler alles geben musst. Wenn du also ein Buch veröffentlichst, gehst du damit auf Lesetour und musst dich quasi selbst vermarkten. Danach entscheiden die Leute, ob sie dein Buch kaufen, oder nicht. Was in die völlig falsche Richtung geht - also für meinen Geschmack. Denn ich möchte nicht in einem Hochsicherheitsgefängnis leben. Ich will nicht aufhören, mich normal unter Menschen zu bewegen und einfach den Bus zu nehmen. Wer will schon so leben?
Anders: Bewegen Sie sich denn in sozialen Medien und im Internet?
Hynde: Damit habe ich nichts am Hut. Ich habe zwar eine Facebook-Seite, die ich aber nie aufrufe. Und ich war noch nie auf fremden Seiten, weil ich so viele negative Dinge und so viele Beschwerden höre. Eben dass da eine ausgeprägte Falschheit herrscht. Die Leute präsentieren sich in dem Licht, in dem sie gerne gesehen werden würden. Dabei gibt es diesen alten Spruch, der besagt, dass du selbst gar nicht richtig weißt, wie du aussiehst, wenn du dich im Spiegel betrachtest. Und ich denke, das stimmt. Du hast keine Ahnung, wie dich andere sehen. Und in den sozialen Netzwerken geht es lediglich darum, das Gesicht zu zeigen, das man gerne hätte. Aber man gibt sich nicht so, wie man es einem Fremden gegenüber an der Bushaltestelle tun würde.
"Die meisten Leute sind nicht besonders glücklich mit sich"
Anders: Dann ist starke Internetpräsenz ein Ausdruck von starker Unzufriedenheit?
Hynde: Die meisten Leute sind nicht besonders glücklich mit sich. Das ist der Grund. Ich dagegen habe Bücher, die ich lesen will, ich möchte mir Filme ansehen und ich liebe es, im Park abzuhängen. Aber ich denke nicht groß über mich nach. Was ein echtes Problem in der westlichen Gesellschaft ist: Die Leute befassen sich nur noch mit sich selbst, aber nicht genug mit externen Dingen.
Anders: Wie Umweltschutz, Tierschutz und gesunde Ernährung? Wie lange sind Sie schon Vegetarierin?
Hynde: Seit ich 17 bin. Und ich bin mir sicher, es hat mir dabei geholfen, den ganzen anderen Bullshit zu überstehen. Ich meine, ich könnte mir nicht vorstellen, etwas zu essen, das von einem Schlachthof stammt. Das ist meine Vorstellung von schrecklich.
Anders: Wobei Sie sogar Ihr eigenes vegetarisches Restaurant hatten.
Hynde: Oh, ich hatte ein wunderbares Restaurant in Akron, Ohio. Aber leider hat sich keiner um die anfallenden Rechnungen gekümmert, ich war zu selten vor Ort, und deshalb ist es untergegangen. Aber: Wenn dadurch nur ein Kind, das dort mit seinen Eltern essen war, zum Vegetarier geworden ist, war es mir die Million Dollar Verlust wert.
Anders: Was ist Ihre kulinarische Spezialität?
Hynde: Bohnen auf Toast. Also ganz simpler Kram.
Anders: Danke für das Gespräch. Es war nett, Sie zu treffen.
Hynde: Das hoffe ich. Schließlich sind Sie extra hierher gekommen.
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