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Corso-Gespräch
Polts abgründiger Alltag

"Polt ist ein Ereignis", hat Loriot einmal über ihn gesagt. Nach zehn Jahren Pause startet der neue Kinofilm von Gerhard Polt: "Und Äktschn!". Das klingt nach Schwarzenegger, trägt aber eindeutig die Handschrift des 71-jährigen bayerischen Satirekönigs.

Gerhard Polt im Gespräch mit Christian Geuenich | 06.02.2014
    Gerhard Polt als Heinz A. Pospiech im Film "Und Äktschn!"
    Gerhard Polt als Heinz A. Pospiech im Film "Und Äktschn!" (Delia Wöhlert / Majestic)
    Im Zentrum des Films steht der verschuldete Amateurfilmer, Videoblogger, Fluglärmgegner und fragwürdige Nazi-Devotionalien-Kleinhändler Hans A. Pospiech. Er möchte für einen Filmwettbewerb der örtlichen Bank mit Laien einen Film über Adolf Hitler als Privatmensch drehen - mit der Wirtin als Eva Braun, dem Musikalienhändler als Hitler und dem indischen Koch als Goebbels. Pospiech, den seine Filmleidenschaft schon seine Ehe gekostet hat, ist von sich überzeugt, er ist der Meinung: "Zum Genie fehlt mir nur das Geld."
    Und auch sonst hat Pospiech einen ganz eigenen Blick auf die Welt, unsere Geschichtsvorstellungen und das filmische Vermächtnis. Er glaubt: "Ohne den Peter Ustinov wüsste doch heute kein Mensch mehr, wer Rom angezündet hat" und sagt "Was historisch ist, bestimme immer noch ich."
    Pospiech ist eine typische Polt-Figur, genau wie der Gabelstaplerfahrer, der vor 30 Jahren im Kinofilm "Kehraus" versuchte, ausgerechnet am Faschingsdienstag seine ruinösen Versicherungsverträge wieder rückgängig zu machen oder der ignorante Italien-Urlauber in "Man spricht Deutsch".
    Christian Geuenich hat mit Gerhard Polt über seinen Film, seine Figuren, leidenschaftliche Amateure und Hitler-Filme gesprochen.
    Mit Würde Blödsinn erzählen
    Christian Geuenich: Herr Polt, in Ihrem neuen Film "Und Äktschn!" geht es um den Amateurfilmer Hans A. Pospiech, der für einen Filmwettbewerb der örtlichen Bank einen Film über "Adolf Hitler privat" drehen möchte. Was hat Sie an der Welt der Amateurfilmer gereizt?
    Gerhard Polt: Na ja, die Welt der Amateurfilmer ist wie bei allen Amateuren, nicht nur die Filmer, sondern Amateure das ist ja ein schönes Wort, Amateure klingt sehr gut - manche Leute sagen Laien und andere sagen Dilettanten, es kommt immer drauf an, wie man der Sache begegnet - die haben immer etwas Überzeugendes. Die sind von dem, was sie machen, haben sie eine Obsession. Mit einer unglaublichen Hartnäckigkeit und Begeisterung ziehen sie ihre Sachen durch, und was immer dann dabei rauskommt, sie sind stolz, und sie sind vor allem nicht zu bremsen.
    Geuenich: Mögen Sie dieses Leidenschaftliche?
    Polt: Selbstverständlich, Leute, die von sich überzeugt sind, verstehen Sie, die sich überhaupt nichts mehr sagen lassen, die sind doch sehr unterhaltsam, also ich mag solche Leute. Also eine gewisse Verbohrtheit gibt dem Menschen doch was, die bringt ihm eine gewisse Würde. Leute, die ständig sagen, ach ist das auch noch gut oder nicht und zweifeln, nein, ich mag gerne Leute, die sagen, also was ich da mache, ist großartig. Und dann muss man sie loben, und meistens unterlobt man sie. Also man müsste sie noch mehr loben.
    Geuenich: Diese Besessenen haben häufig eine etwas verquere Logik, merken das in ihrer unreflektierten Begeisterung oder Rage aber nicht. Ist das auch etwas, was Ihre Figuren verbindet, mit Würde, Unsinn erzählen?
    Polt: Ja, selbstverständlich, Sie sagen es richtig, also ich mag das, mit Würde Blödsinn erzählen, genau, unerschrocken zu sein. Sie kennen ja den Ausdruck, es gibt Leute, die ausziehen, die Geschichte das Fürchten zu lernen, und es gibt eben Leute, die lernen das Fürchten nicht. Und solche Leute mag ich.
    Geuenich: Warum bleibt einem bei Ihren Figuren generell oft das Lachen im Halse stecken? Ist das, weil die Menschen ihre Äußerungen so ernsthaft und nachvollziehbar präsentieren, dass es dauert, bis man erst mal realisiert, was die Figuren da eigentlich reden?
    Polt: Ja, Sie sagen es, also eine Figur hat, wenn sie plausibel ist in sich, dann kommt sie einem näher, weil man glaubt sie zu verstehen. Ja es gibt Plausibles, was gesagt wird, was zwar ungeheuerlich ist, also weder moralisch noch ethisch irgendwie vertretbar, aber es wird vorgebracht. Und diese Leute, die drücken einen manchmal an die Wand und es geht einem der Atem aus, was die oft sagen, es ist unglaublich.
    Filmszene aus dem Kinofilm "Und Äktschn!" von und mit Gerhard Polt (rechts).
    Filmszene aus dem Kinofilm "Und Äktschn!" von und mit Gerhard Polt (rechts). (dpa / picture alliance / Majestic Filmverleih)
    "Ich bin diesen Medien gegenüber ein Spartaner"
    Geuenich: "Hans Pospiech" ist durchaus offen für die Neuen Medien, er skypt, um die fragwürdigen Nazi-Devotionalien seines Vaters an den Mann zu bringen, er ist Videoblogger, sein Neffe schaut sich begeistert Filme auf Youtube an. Wie ist das bei Ihnen, schauen Sie sich auch Sachen auf Youtube an?
    Polt: Nein, ich muss sagen, ich bin diesen Medien gegenüber ein Spartaner. Ich schaue es ganz selten an. Nur wenn mich ein Pilotfisch in Form eines jungen Menschen dahinführt und sagt, schau mal da rein, dann sehe ich das, aber denke schon wieder an etwas ganz anderes, meistens an irgendwas Essbares oder was Trinkbares.
    Geuenich: Pospiech dreht mit Laiendarstellern aus dem Ort einen Film über "Hitler privat". Gehen die Deutschen mit ihrer Vergangenheit und mit Hitler zu ernst um oder wie heikel ist eine Satire über Hitler heute überhaupt noch?
    Polt: Wissen Sie, das ist eine gar nicht so einfache Sache, zu beantworten. Es gab lange Zeit sozusagen Stille. Man hat sich an das Thema überhaupt nicht rangetraut, sondern hat ersatzweise oft - mit Recht natürlich auch - den schönen Chaplin-Film angeschaut. Dann kam eine Phase, wo man diesen Mann diabolisiert und dämonisiert hat, das heißt alle waren unschuldig, weil wenn ich in den Händen eines Dämons bin, dann bin ich ja fast schon exkulpiert, dann bin ich ja schon fast unschuldig. Und dann gab es eine Phase, wo man ihn lächerlich gemacht hat. Und unser Versuch, unsere Idee ist eigentlich nur, dass wenn ihn Dilettanten spielen, absolute Laien, dann kommen sie diesen banalen Figuren, die die ja wirklich waren, viel näher, und dann sind sie wahrscheinlich viel authentischer als wenn man sie eins zu eins versuchen würde, zu spielen.
    Geuenich: Also um die Banalität des Bösen zu zeigen?
    Polt: Na ja, die Banalität überhaupt erst einmal. Das muss noch gar nicht das Böse sein, das Banale überhaupt. Schauen Sie, die Eva Braun, das war eine ganz normale Person, die war weder überdurchschnittlich gescheit noch blöd, a Münchner Gwachs, wie man sagt. Aber sie wurde von ihrem Führer und späteren Spät-Gatten dann ja immer Tschapperl genannt, und vielleicht war sie auch a Tschapperl [ein tapsiger, unbeholfener, kindlich-naiver Mensch; Anm. d. Red.], verstehen Sie. Man sagt "die Banalität des Bösen", ich will Ihnen sagen, was faszinierend ist, ist doch, was dieser Hitler und seine Entourage, was die erzählt haben. Die haben aber Leute mitgerissen, die ihnen haushoch überlegen waren. Ich weiß nicht, wie viele Hochschuldirektoren, Schuldirektoren, Chefärzte usw., das ganz akademische deutsche und österreichische Potenzial ist ihnen nachgelaufen, und das waren nur dumpfe Sätze. Es war überhaupt nichts, kein irgendwie brillanter Gedanke oder sonst etwas, es war wirklich ziemlich dumpf, aber die anderen sind nachgelaufen. Leute, die es wirklich wesentlich besser gewusst haben müssten, und das ist doch erstaunlich.
    Hitler ausgelacht
    Geuenich: Ihre Mutter hat eine Hitlerrede in München am Odeonsplatz gehört und musste über ihn lachen. Warum? Was ist oder war das Lustige an Hitler?
    Polt: Meine Mutter hat mir das so erzählt, die war ja damals ein junges Mädchen und fand dieses Gezappel und Rumgeschreie sehr komisch. Und dann war sie mit Freundinnen dort und sie mussten lachen. Die waren, wie man früher gesagt hat, Backfische, und dann spürte sie den Ernst um sich herum, die Leute wurden böse, weil wenn jemand lacht, dann ist er blasphemisch. Mir ist das auch schon so gegangen, ich bin mal aus der Kirche rausgeschmissen worden, weil ich - da war ich vielleicht acht Jahre alt - gelacht habe, weil ich fand es komisch, wie der Pfarrer damals immer wieder den Wein nachgeschenkt bekam und immer wieder getrunken hat, und dann hab ich halt lachen müssen. Und dann hab ich a Fotzn [eine Ohrfeige] gekriegt und bin aus der Kirche rausgeflogen, und der hat gesagt, ich hätte jetzt den lieben Gott beleidigt. Und so ist es meiner Mutter gegangen, die hat halt gelacht und hat damit dem heiligen Nazitum sozusagen eins ausgewischt.
    Geuenich: Bei Ihren Figuren hat man immer das Gefühl, man hat solche Leute schon mal irgendwo getroffen, die wirken unwahrscheinlich authentisch. Wo haben Sie die her? Haben Sie die im Wirtshaus - diesem Mikrokosmos der Gesellschaft - beobachtet und dort die Dialoge abgelauscht?
    Polt: Ich konnte viel zuhören ja, aber es gibt Gott sei dank auch noch öffentliche Verkehrsmittel, oder es gibt noch Läden, wo Leute noch zutraulich mit ihren Kunden reden oder mit ihren Verkäufern und Verkäuferinnen, und es gibt immer Gott sei dank, viele Menschen, die Meinungen haben. Oder es gibt eben jetzt das, was früher nicht war, Menschen mit einem enormen Sendebewusstsein. Das haben wir ja auch in diesem Film versucht, zu zeigen, diese Blogger. Es gibt unheimlich viele Menschen, die jetzt eine Chance haben zur endlichen Selbstverwirklichung, und die verwirklichen sich, und das ist toll. Ich lasse auch in diesem Film, die Figur die ich spiele, sagen, zum Genie fehlt mir nur das Geld. Also wenn viel mehr Menschen Geld hätten, dann hätten wir auch viel mehr Genies.
    Geuenich: In "Und Äktschn!" fordert der Fluglärmgegner Pospiech, doch nicht immer wegzufliegen, sondern lieber zu Hause zu bleiben. Sie selbst sind gerne zu Hause, gelten als Gerne-Wohner, als "leidenschaftlicher Herumwohner", wie Sie es nennen - ist die ganze Verreiserei wirklich so überschätzt?
    Polt: Ja (lacht), wenn Sie mich so fragen. Also ich möchte niemanden hindern, dass er reist, um Gottes Willen. Aber es ist schon erstaunlich, wenn ich manchmal frage, ich hab jetzt, das ist gar nicht so lange her, da hab ich einen gefragt, der war in Australien, und dann habe ich ihn gefragt, wie es so war, und dann hat er erst gesagt, schön. Na gut, sage ich, und was habt's ihr denn gemacht? Da hat er gesagt, gegrillt. Sie haben in Australien gegrillt. Ja und? Ja sagt er, und dann hätten sie noch mal irgendwo gegrillt. Und dann sag ich, wie war es sonst? Und dann sagt er, es war doch ziemlich heiß. Und dann hab ich gesagt, ob er wieder hinfahren würde, sagt er, nein, jetzt fährt er mal nach Kanada. Na, ist doch schön. Auch in Kanada kann man grillen.