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Corso-Gespräch
Songs wie ein guter Schinken

Die drei jungen Kölner Christopher Annen, Henning May und Severin Kantereit begannen zunächst mit Straßenmusik. Jetzt erobert das Trio Annen May Kantereit mit seiner handgemachten Mischung aus Blues, Pop, Jazz und Rock allmählich die deutschen Bühnen. An ihren Songs haben sie oft Monate lang gefeilt.

Henning May im Gespräch mit Anja Buchmann | 19.07.2014
    Ein Musiker spielt auf einer elektrischen Gitarre.
    Das Trio Annen May Kantereit tritt vor allem auf Festivals auf. (picture alliance / dpa / Markus Scholz )
    Henning May: Wir haben zwei Kumpels von Cardinal Sessions und haben mit denen zusammen gesessen abends, beim Bierchen und gedacht, das wäre doch mal eine nette Idee, in einer Uni einen Musik-Flashmob zu machen. Wir kamen dazu, weil wir über andere Flashmobs gesprochen haben, wie toll wir das finden und haben dann überlegt, wo könnten wir das denn machen. Und dann kannten die einen der beiden Professoren, die da eine Vorlesung halten.
    Anja Buchmann: Was war das für eine Vorlesung? Welcher Fachbereich?
    May: Englisch, Geschichte. Und die hatten gerade in dieser Vorlesung Social Fotography. Da wurde das Video, das da gedreht wurde, auch in der nächsten Vorlesung gezeigt. Also, man konnte noch den Anschein des Lerninhalts waren.
    Buchmann: Wer wusste Bescheid? Niemand oder die Professoren dann doch?
    May: Einer der beiden Professoren, der, der im Hintergrund saß. Der, der die Vorlesung gehalten hat, wusste davon nichts. Und wir hatten halt mit dem im Hintergrund vereinbart, sobald er das Licht anmacht, legen wir los. Das hatte der aber ein bisschen verschlafen, hat erst nach 'ner dreiviertel Stunde das Licht angemacht. Und währenddessen war natürlich mein Puls sehr hoch, auch bei den anderen Jungs. Dann haben wir angefangen, waren natürlich sehr ängstlich, es kann ja sein, dass die lieben Studenten sagen: Wir wollen lernen, wir wollen euch jetzt nicht hier hören. Aber die waren alle begeistert und haben auch applaudiert.
    Straßenmusik auf Kölner Einkaufsstraßen
    Buchmann: Sie haben selbst an der Kölner Uni studiert?
    May: Nur ganz kurz.
    Buchmann: Was haben Sie da angefangen?
    May: Frühförderung. Ich fand das auch ganz interessant, das ist ein erziehungswissenschaftlicher Bachelor. Aber ich wollte mich halt auf die Musik konzentrieren und der 'ne Chance geben und das nicht durch so ein Studium gefährden.
    Buchmann: Zusammengefunden haben sie, Annen May Kantereit, beim gemeinsamen Jammen auf der Uniwiese. Wie war das, wie sind sie sich da begegnet?
    May: Ich bin mit Sebi, dem Schlagzeuger, zur Schule gegangen. Man kannte sich schon seit der Fünf und hatte nicht so viel miteinander zu tun. Und der Bruder des Gitarristen Chrissie ist auch in meine Stufe gegangen. Wir sind eben alle auf die gleiche Schule gegangen, das heißt, man kannte sich schon sehr lange, aber hatte nicht viel miteinander zu tun. Und dann, als wir Abi hatten, haben wir etwas Musik miteinander gemacht, dann hat sich das entwickelt, dass wir uns immer mal auf der Uni-Wiese getroffen haben und dann sind wir mal Straßenmusik machen gegangen. In der Ehrenstraße, Schildergasse, das sind so die großen Kölner Einkaufsstraßen. Und dann hat sich das Stück für Stück entwickelt, dass wir dachten, wir können das ja mal probieren.
    Buchmann: Jetzt sind sie gerade auf Club- beziehungsweise vor allem Festivaltour. Wo liegt für sie der Unterschied vom Straßenmusikmachen - oder gibt es auch Gemeinsamkeiten und Dinge, die sie da gelernt haben, die sie jetzt bei Festivaltouren umsetzen können?
    May: Auf jeden Fall. Auf der Straße spielen ist halt immer sehr direkt und unberechenbar, da kann ganz viel passieren. Über Ausraster, Tänzer, Leute, die es gut finden und die es schlecht finden. Und die Reaktionen sind viel direkter, weil du auch nicht durch die Bühne geschützt bist. Man redet immer viel über die Unterschiede, ich finde aber letzten Endes die Gemeinsamkeiten viel wichtiger, denn letzten Endes geht es auch auf der Bühne nur um die Musik, genau wie bei der Straße. Und das ist die Hauptsache.
    Opener war lange Zeit ein Coversong
    Buchmann: Haben sie - gerade auf der Straße, wo es ja nicht ganz leicht ist, wenn die Leute einfach vorbeiflanieren, die dann zu kriegen, zu catchen - haben sie da etwas gelernt, was sie jetzt hier auch umsetzen können, wenn sie andere Konzerte spielen?
    May: Definitiv, also man weiß schon dadurch besser, wie man Leute, die einen nicht kennen und die auch nicht für einen da sind, wie man die sozusagen herumkriegt. Dadurch dass wir viele Festivals gespielt haben, auf denen uns keiner kannte, war das 'ne wichtige Fähigkeit. Sich immer wieder von Neuem zu präsentieren und anziehen zu wollen. Ich glaube, den Drang, den lernt man dann durch Straßenmusik.
    Buchmann: Was war ihr Opener bei der Straßenmusik - oder war das immer wieder anders?
    May: Wir hatten lange Zeit immer als Opener einen Cover Song, weil das für die Leute oft einfacher ist, aus dem Dschungelbuch "I wanna be like you". Und den spielen wir jetzt auf größeren Bühnen immer als allerletzte Zugabe, wenn wirklich dreimal Zugabe gefordert wird und wir nicht mehr weiter wissen.
    Buchmann: Wie ging dann der Weg von der Straßenmusik zu den Festivals jetzt - einfach irgendwo angefragt und ein Demo eingereicht und gefragt "können wir hier spielen" oder wie lief das?
    May: Also man muss verstehen, uns gibt es jetzt fast vier Jahre. Wir haben anderthalb Jahre Straßenmusik gemacht und dann haben wir beschlossen, wir machen ein Album, das war ein Riesending, ein riesiger Aufwand. Wir haben selber alles organisiert, jemanden gesucht, der für uns das Design macht, unsere Kumpels, die fotografieren, angesprochen, dass sie Fotos machen, jemanden, der uns aufnimmt. Dann hatten wir irgendwann das Album, dann haben wir mit dem Album kleinere Konzerte gespielt und es auf der Straße verkauft. Dann haben wir angefangen, uns selber zu booken, das wurde uns aber schnell viel zu viel. Zum einen, weil wir unwissend sind und dadurch schnell betuppt werden können. Und zum anderen, weil es ein unglaublicher Aufwand ist. Also haben wir uns eine Booking Agentur gesucht - das ist ein Kumpel von uns, der gute Connections hat, der macht das jetzt für uns und da bin ich schwer fröhlich drüber.
    Das erste Album wurde im Freien aufgenommen
    Buchmann: Seit wann sind sie da schwer fröhlich drüber, seit wann läuft es gut?
    May: Seit dem 25.10. 2013, da haben wir unser Album herausgebracht. Da haben wir das Konzert im Gebäude 9 in Köln gespielt, das hat er gebookt. Danach haben wir auch noch selber Auftritte organisiert, aber es wurden immer mehr, die er aufgetan hat. Und man muss auch blöderweise sagen, er hat auch die besser bezahlten Auftritte klar gemacht.
    Buchmann: Blöderweise, naja.
    May: Ja gut, aber es ist für uns auch wichtig, das klingt immer so komisch, wenn man sich selber Auftritte organisiert und kriegt da 200 Euro und wenn er sie organisiert, kriegt man 400 Euro, dann ist ja klar, welchen Auftritt man macht.
    Buchmann: Sie haben eben selbst die CD erwähnt, die Sie dann im Oktober 2013 veröffentlicht haben, die haben sie selbst aufgenommen, und zwar draußen. Nicht etwa in einem Studio oder Wohnzimmerstudio oder in der Küche, sondern draußen.
    May: Exakt. Wir haben das live eingespielt an zwei Tagen. Einen Tag, am 25. Mai 2013, haben wir uns draußen hingesetzt vor unseren alten Probenraum. Ein Kumpel von uns hat sein ganzes Equipment, hunderte Mikros und Kabel mitgebracht. Dann fing es natürlich auch an zu regnen, wie das sein soll. Dann mussten wir immer wieder pausieren und konnten deswegen nur sechs Nummer machen und haben noch einen zweiten Tag gemacht, in einer Galerie von einer Freundin, wo auch ein Klavier steht. Das war uns sehr wichtig, draußen aufzunehmen, weil wir auch immer draußen gespielt haben. Und auch weil wir mit der Situation Studio nicht vertraut waren und gesagt haben: Warum sollen wir was Fremdes ausprobieren, wir können es doch einfach machen, wie wir es können. Und es ist doch auch sehr schön, das Album aufzunehmen und dabei in den Himmel zu schauen. Die Sonne geht auf, die Sonne geht unter. Das ist ein wunderschönes Gefühl.
    Regen ist gar nicht cool fürs Equipment
    Buchmann: Und man hört auch hier und da ein kleines Vogelgezwitscher, was auch mit dazu gehört. Worauf muss man besonders achten, wenn man draußen aufnimmt, akustisch gefragt?
    May: Es ist natürlich die Mikrofonierung, das war 'ne große Aufgabe für unseren Kumpel Sebastian, der das gemacht hat. Und es ist natürlich so, wenn du live einspielst, dann musst du auch mal Fehler bewusst übersehen und einfach weiter spielen. Denn es kann sein, dass die anderen das ganz toll gemacht haben und du hast nur einen kleinen Fehler gemacht. Dann darf man halt nicht abbrechen, darf nicht sagen: Oh, stopp, ich habe jetzt hier 'nen Fehler gemacht, wir müssen von vorne anfangen, man muss das dann mal durchziehen.
    Buchmann: Und den Mikrofonen geht es auch noch gut, obwohl es zwischendurch geregnet hat?
    May: Ja, so halbwegs. Es war schon eine große Stresssituation für den Sebastian. Das ist schon ein teures Equipment und Regen ist gar nicht cool, gerade für Kondensator-Mikrofone. Aber er hat uns so lieb, er hat uns verziehen. Es ist sicher das eine oder andere zu Bruch gegangen, so viel kann man sagen.
    Buchmann: Wie entstehen ihre Stücke? Oftmals gemeinsam und aus Jam-Situationen heraus, oder?
    May: Richtig. Wir machen sehr viel Musik und albern auch viel rum. Dann treffen wir uns im Probenraum, und ich habe ne Idee, das kann ein kleiner Satz sein, der wird dann ausgesponnen. Dann hat der Chrissie drei vier gute Akkorde, die ihm gefallen, dann wird das kombiniert und variiert. Wir sagen immer. Ein guter Schinken muss lange hängen. Das heißt, die meisten Lieder von uns gibt es schon sehr lange. Wir bearbeiten sie immer wieder neu über Monate und wenn wir das Gefühl haben, "das hört sich gut an", dann spielen wir den auch auf einer Bühne. Ich ziehe die meisten Texte auch durch Gespräche mit meinen beiden Jungs. Dadurch dass wir uns meinetwegen darüber unterhalten, dass es ein komisches Gefühl ist, nach dem Abi so viele Freunde zu verlieren, entstehen Texte wie "Wohin du gehst". Das ist halt auch sehr schön für uns, diese Nummer zusammen zu singen. Weil wir halt weiterhin zusammen bleiben.