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Corso-Gespräch
Wer komponieren will, muss spirituell sein

Die aus Mali stammende Künstlerin Fatoumata Diawara und der kubanische Pianist Roberto Fonseca gehören zu den aufregendsten Musikern derzeit. Aus der gemeinsamen Tournee wurde ein Album: "At home". Warum Glauben und Fehler zu einem gelungenen Auftritt gehören, erklären sie im Corso-Gespräch.

Fatoumata Diawara und Roberto Fonseca im Corso-Gespräch mit Martina Zimmermann | 14.07.2015
    Roberto Fonseca und Fatoumata Diawara bei einem Konzert in Jena 2014.
    Roberto Fonseca und Fatoumata Diawara bei einem Konzert in Jena. (Imago / viadata)
    Martina Zimmermann: Ich habe Sie letztes Jahr bei Jazz à Vienne gesehen. Es war eines der ersten Konzerte der gemeinsamen Tournee. Dabei fiel mir auf, dass alle Musiker wie selbstverständlich zusammenarbeiten. Ich habe da schon anderes erlebt, Konzerte von Musikern aus Mali und USA, bei denen die Malier dominierten. Wie gelingt Ihnen, diese Fusion von malischen und kubanischen Musikern?
    Fatou: Mali und Kuba sind musikalisch verwandt. Die Musik aus Afrika wurde in Kuba weiterentwickelt. Manche sagen, es seien die Einflüsse des westafrikanischen Yoruba-Volkes, doch diese Rhythmen findet man überall in Afrika. Wir sind zuerst Menschen und auf der Bühne haben wir es nicht nötig zu zeigen, das ist aus Mali und das aus Kuba. Wir schätzen uns und es herrscht ein gutes Feeling unter den Musikern. Eine solche Energie ist selten.
    Fonseca: Wir machen auch mal Fehler auf der Bühne. Aber das Gute ist: Wir lachen darüber. Wir wollen vor allem die Musik genießen und sind offen füreinander. Die einzelnen Musiker sind erstaunlich gute Instrumentalisten, aber das Entscheidende ist, dass wir unsere Gefühle in unserer Musik ausdrücken. Die Leute sehen, wie wir singen und lachen. Und manchmal müssen wir aufpassen, dass wir nicht anfangen zu weinen - so emotional (stark) sind manche Songs.
    Zimmermann: Es gibt noch etwas anderes, was sie als Menschen und über die Kontinente hinweg verbindet: die Trance. Fonseca, sie haben mir schon mal erzählt von Ihrem Santeria-Glauben und dass Sie vor Konzerten mit den Musikern einen Kreis bilden.
    Fonseca: Wir sind keine Maschinen. Ohne Spiritualität wären wir Roboter. Ohne Glauben kannst du keine Kunst kreieren. Wer komponieren will und seine Lebenserfahrung einbringen, muss spirituell sein. Anders geht es nicht. Manche Menschen verstehen das nicht und meinen wir seien verrückt. Irgendwie sind wir ja auch verrückt, denn wenn du etwas kreieren willst, braucht dein Geist eine andere Dimension.
    Fatou: Ohne Spiritualität geht ein Künstler schnell kaputt. Unser Beruf verbraucht jeden Tag viel Energie. Diese Energie muss von irgendwoher kommen. Dabei hilft der Glaube, woher soll sonst die Kraft kommen? Nach einer gewissen Zeit würdest du sonst alle anschreien. Oder du würdest dich für was ganz Besonderes halten, meinen, die Welt liege dir zu Füssen. Dank unseres Glaubens bleiben wir bescheiden. Selbst wenn wir müde sind, gibt er uns die Kraft, dem Publikum etwas zu geben. Manche nehmen Drogen, das ist schade. Daran sieht man, wie schwer es ist ein Künstler zu sein. Wenn du Spiritualität hast, brauchst du keine Drogen.
    Zimmermann: Als 2011 Ihr Album "Fatou" von Nick Gold produziert wurde, wollte Nick "das Mädchen mit der Gitarre", wie einst Tracy Chapman. Da sind Sie heute musikalisch ja in einer ganz anderen Welt von Jazz und Improvisation!
    Fatou: Wir haben am 30. Mai im Barbican in London gespielt und Nick war auch da. Nach dem Konzert hat er mich beglückwünscht. Er fand, ich hätte mich auf der Bühne verändert, sei gelassener geworden und mehr in mir selbst verwurzelt als früher. Das hat mich sehr gefreut, denn es bestärkt mich. Trotz der musikalischen Vielfalt in unserer Musik heute bin ich doch ich selbst geblieben. Dank meines Glaubens. Außerdem mache ich auch Yoga. Spiritualität ist mir wirklich wichtig.
    Zimmermann: Yoga soll auch gut für die Stimme sein - Roberto machen sie auch Yoga?
    Fonseca: Ich bin dafür offen, aber ich habe keine Zeit.
    Zimmermann: Als wir uns das letzte Mal sahen, sagten sie, sie üben nicht mal mehr auf dem Klavier, weil sie soviel auf Konzerten spielen, das reiche als Übung.
    Fonseca: Ich verbringe nur einen Monat im Jahr in Kuba. In diesem einen Monat muss ich Zeit mit meiner Familie verbringen und mein Energiereservoir wieder auffüllen. Dazu Musik kreieren und nachdenken, was für eine Musik ich eigentlich kreieren will.
    Zimmermann: Fatou, sie sind nicht nur Sängerin, sondern auch Schauspielerin, im Film und im Theater. Sie spielen in "Timbuktu", dem in Cannes und für einen Oscar nominnierten und mit sieben César ausgezeichneten Film von Abderrahmane Sissako, der unter anderem diesen französischen Filmpreis César für den besten Film und den besten Regisseur erhielt. Sie spielen eine Sängerin, die von den islamischen Fundamentalisten gesteinigt wird. Aber sie hört nicht auf zu singen.
    Fatou: Als 2012 in Mali der Putsch stattfand, unterbrach ich meine Tournee. Die Dschihadisten standen zwei Stunden vor Bamako, im Norden wurde Musik komplett verboten, sie haben alle Instrumente kaputt gehauen, man durfte auch nicht mehr tanzen oder Fußball spielen. Das ist schrecklich. Ich trete überall auf der Welt auf, aber wenn meine Basis - und das ist meine Heimat - wenn die in Gefahr ist, kann ich nirgends auf der Welt glücklich sein. Und deshalb bin ich nach Bamako zurückgegangen und wir machten gemeinsam mit anderen Musikern ein Lied "Don’t touch the music". Wir haben gesagt: Keiner kann die Musik verbieten, kein Mensch, höchstens Gott. Und deshalb ist die Rolle, die ich im Film Timbuktu spiele, eigentlich meine eigene, das bin ich.
    Zimmermann: Wir haben noch nicht darüber gesprochen, wie sie sich begegnet sind. Roberto, sie suchten eine weibliche Stimme für Ihr Album "Yo".
    Fonseca: Ich sah Fatou als Backgroundsängerin bei einem Konzert von Oumou Sangare, der Diva aus Mali. Ich fand Fatou wirklich gut. Ich rief sie an, damit sie für mein Album "Yo" den Song Bibisa singt. Sie veränderte den Song, letztlich war er sogar besser als erwartet. Persönlich hatten wir uns zu dem Zeitpunkt aber noch nicht getroffen. Das passierte erst in London, im Barbican und da war gleich ein gutes Gefühl da. Wir haben zwei Stunden über uns gesprochen, uns kennengelernt und überlegt, wie wir unsere Ideen umsetzen könnten. Gleichzeitig haben wir uns gegenseitig beobachtet, um zu sehen, ob wir zusammenpassen. Denn das Schlimmste ist eine lange Tournee mit jemandem zu machen, den du nicht magst.
    Der erste Eindruck war - wie gesagt - gut, und so war es auch im Studio. Wenn wir anderer Meinung sind - sie will Sachen manchmal auf ihre Weise machen und ich auf meine - dann reden wir darüber und einigen uns schon. Wir sind jetzt wie Bruder und Schwester.
    Zimmermann: In welcher Sprache reden Sie beide eigentlich miteinander?
    Fatou: Mein Englisch ist nicht toll. Aber die erste Sprache ist die Musik. Wir wissen, wie wir miteinander reden müssen. Wenn Roberto anfängt Klavier zu spielen, dann verstehe ich was er sagt.
    Zimmermann: Auf dem Album ist ungefähr die Hälfte der Songs von Fatou, die andere von Roberto. Mit einem leichten Vorteil für Fatou, denn einen Song haben Sie gemeinsam geschrieben: Real Family. Darin geht es um die Themen Zwangsheirat und die Freiheit der Frau. Fatou fordert darauf: Eine Frau muss frei sein wie ein Vogel!
    Fatou: Wenn ich mein Leben vergleiche mit dem meiner Schwestern in Mali, die nicht Nein gesagt haben zur Zwangsheirat, dann ist das erschütternd. Ich werde darüber schreiben und singen, bis sich das wirklich ändert in meinem Land und auch in anderen Ländern, ob in Indien oder sonst wo.
    Fonseca: Die wichtigste Person in meinem Leben ist meine Mama, meine Mutter. Und deshalb bin ich dabei, wenn für Frauenrechte gekämpft wird. Dieser Song "Real Family" ist sehr wichtig in unserer Show. Es geht darum, dass überall auf dieser Welt Frauen ihr Leben selbst bestimmen können müssen.
    Fatou: Auch das ist "at home", zuhause. Ich bin eine Frau und setze mich für solche Themen ein und er unterstützt mich.
    Zimmermann: Ein anderer Song "Clandestin" ist sehr aktuell: Es geht um die vielen Flüchtlinge, die auf kleinen Booten im Mittelmeer untergehen.
    Fonseca: Das ist wirklich ein Horror. Ich habe die Arrangements in diesem Song so gemacht dass sie Text und Fatous Stimme unterstützen.
    Fatou: Wir sind alle betroffen. Wenn die Europäer weiter vor diesen jungen Leuten Angst haben, wird das Drama immer weitergehen. Aber wenn sie die Grenzen öffnen, werden wir genau das gleiche sehen, was bei uns Künstlern passiert: Sobald eine Tournee zu Ende ist, wollen wir so schnell wie möglich wieder nach Hause: zu Familie, den vertrauten Gerüchen, dem Essen. Sie sollten die Grenzen öffnen und dann werden sie sehen: Wir Afrikaner werden alle nach Hause zurückkehren. Wir Künstler machen das bereits. Wir singen für die Leute und kehren nach Hause zurück, nirgends ist es schöner als daheim.