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Corsogespräch
"Ich bin nicht zu kategorisieren"

Die irische Sängerin Sinéad O'Connor wird von vielen ihrer Landsleute als "nutcase" - arme Irre - bezeichnet. Denn in den letzten Jahren hat sie sich so ziemlich mit jedem angelegt. Sie selbst empfindet ihren Ruf als Freiheit. Und genau die lebt sie auf ihrem neuen Album unter dem vielsagenden Titel "I'm not bossy, I´m the boss" aus.

Sinéad O'Connor im Gespräch mit Marcel Anders | 02.08.2014
    Die Sängerin Sinéad O'Connor bei einem Pop-Festival in Den Haag
    "Ich fühle mich nicht besonders wohl dabei, über Sachen aus der Vergangenheit zu reden", meint die irische Sängerin Sinéad O'Connor. (dpa / picture alliance / Robert Stroy)
    Marcel Anders: Die letzten 20 Jahre haben Sie einen großen Bogen um Irland gemacht und lieber in Los Angeles, London oder auf Jamaika gelebt. Jetzt residieren Sie in Bray, einem Badeort 20 Kilometer südlich von Dublin. Wegen Ihrer Kinder oder warum die späte Rückkehr auf die Insel?
    Sinéad O'Connor: Mir gefällt es hier wirklich gut. Und für meine Kinder ist der Ort geradezu perfekt – also sehr friedlich und ruhig. Hier gibt es zum Beispiel keine Junkies, die sich auf den Straßen rumtreiben. Und ich habe es geschafft, dass meine Tochter 18 geworden ist, ohne Alkohol und Zigaretten anzurühren. Außerdem hatte sie erst zwei Freunde.
    Insofern ist das ein absolut sicherer Ort, um Kinder aufzuziehen und sie so lange zu verhätscheln, wie eben möglich. Was mit ein Grund war, warum ich London verlassen habe. Denn dort ist es schlichtweg unmöglich, Teenager von Drogen fernzuhalten.
    Was nicht heißen soll, dass ich nun gerne in Irland lebe. Das Land steht kurz vor dem Kollaps, wie man ja überall nachlesen kann. Nur: Für meine Kinder ist er ironischerweise sehr sicher, und das gilt insbesondere für Bray.
    Anders: Haben Sie eine Erklärung, warum die irische Wirtschaft so am Boden ist?
    O'Connor: Ich glaube nicht, dass wir schlimmer dran sind, als andere Länder. Was nicht heißen soll, dass das gut wäre. Aber ich halte mich allein deshalb fern von der Politik, weil ich nicht an sie glaube.
    "Das grundlegende Problem dieser Welt ist vielmehr, dass wir uns einen feuchten Dreck umeinander kümmern"
    Anders: Warum wollen Sie sich da - trotz starker Ansichten und Aussagen - nicht aktiv einbringen? Dann könnten Sie ja selbst wichtige Veränderungen auf den Weg zu bringen ...
    O'Connor: Der Rasta setzt sich nicht neben den Teufel, wie Bob Marley gesagt hat. Und die Politik ist ja das eigentliche Problem - während Spiritualität die Antwort ist. Von daher gibt es keinen Grund, sich mit Politik zu befassen. Denn das wäre, als ob man einem Ertrinkenden einen Donut zuwirft.
    Das grundlegende Problem dieser Welt ist vielmehr, dass wir uns einen feuchten Dreck umeinander kümmern. Und das ist spirituell bedingt – genau wie Armut und Krieg. Wir kümmern uns nicht um andere, und deshalb sind sie arm.
    Anders: Wobei Irland sich fast zu gut um amerikanische Multis wie Starbucks, Amazon oder Microsoft kümmert, die hier lediglich 4,5 Prozent an Steuern abführen ...
    O'Connor: Ich zahle 50 Prozent, 52 um genau zu sein. Von daher begreife ich nicht, warum diese Firmen damit durchkommen. Nur: Ich werde jetzt nicht so tun, als ob ich Ahnung davon hätte. Ich bin da komplett unwissend, weil ich kein Interesse an Politik habe.
    Anders: Und warum sitzen wir jetzt in Ihrem Schlafzimmer, das an einen Hindu-Tempel erinnert?
    O'Connor: Weil das mein wahres Wohnzimmer ist. Und der einzige Raum im Haus, in dem geraucht wird. Außerdem ist hier das neue Album entstanden – weil ich hier denke, arbeite, meine Geschäfte erledige und mit meinem Neffen abhänge. Es ist also ein Aufenthaltraum für Erwachsene. Und als mein Schlafzimmer ist es zudem der Ort, an dem ich von Männern und Romantik träume.
    Anders: Daher "eine Sammlung von Liebesliedern", wie Sie Ihr neues Album beschreiben?
    O'Connor: Ja, es geht um sämtliche Aspekte, die damit zu tun haben. Und deshalb würde ich die Songs auch als romantisch bezeichnen. Außerdem sind es sehr feminine Songs. Was bedeutet, dass sie sich mit dem weiblichen Charakter und seinem Verhältnis zur Liebe befassen.
    Wobei einige Stücke lustig und sexy, andere aber auch durchaus ernst sind. Sprich: Sie sind genauso unterschiedlich, wie die Frauen, die darin auftauchen.
    Denn ich nehme mir das Recht heraus, über Figuren zu schreiben, die nicht autobiografisch sind. In dem Sinne, dass ich Charaktere erfinde oder sie aus Leuten zusammensetze, die ich kenne oder die vielleicht auch mal ein bisschen was von mir haben. Was wiederum zur Folge hat, dass jeder Song einem anderen Charakter entspricht - und da unterschiedliche Frauen unterschiedliche Arten von Stücken singen.
    Doch obwohl es Liebeslieder sind, und sie von Männern handeln, sind einige halt sehr lustig. Also sie sind nicht so kitschig wie "The Wind Beneath My Wings", sondern es ist immer noch ein Sinead O´Connor-Album.
    Anders: Wenn man sich die Texte genauer anschaut, haben sie etwas von einer Reise, an deren Ende Selbstverwirklichung und Selbstfindung stehen. Ist das die Idee?
    O'Connor: Durchaus. Aber noch viel wichtiger ist, dass die Reise von jemandem ist, der sich vom romantisch-naiven Mädchen zur weisen Frau entwickelt – und weisere Entscheidungen trifft, mit wem sie Beziehungen eingeht. Sie denkt nicht mit ihrem inneren Penis, sie redet vielmehr Klartext darüber, wie gefährlich es als Frau ist, das zu tun.
    Anders: Wobei Sie sich in "How About I Be Me" als Löwin bezeichnen, die einen Mann braucht, der stärker ist als Sie selbst. Ist das Ihr Anforderungsprofil?
    O'Connor: Der Song sagt in erster Linie: Wenn du dich ständig um andere kümmerst, willst du auch mal, dass man sich um dich kümmert. Ich denke, so geht es jedem. Denn die Tatsache, dass du besonders stark oder kompetent bist, bedeutet ja nicht, dass du komplett ohne Liebe oder Fürsorge auskommst.
    Und als intelligente, starke Frau willst du natürlich einen Mann, der stärker ist als du. Also nicht jemanden, den du dazu bringen kannst, durch Reifen zu springen oder der dir permanent in allem zustimmt. Du möchtest jemanden, der dich fasst und in seine Höhle verschleppt.

    Anders: Und das macht Männer dann zu göttlichen Wesen, um noch eine Ihrer Formulierungen zu übernehmen?
    O'Connor: Richtig, aber so empfindet ja jede Frau im Bezug auf Männer. Wenn du jemanden liebst, stellst du in auf ein Podest. Wie diese Frau im Song "Your Green Jacket", die eine Beziehung zu der Jacke eines Mannes aufbaut – eben als würde es sich dabei um ihn handeln. Sie weiß, dass sie ihn niemals haben kann. Also unterhält sie sich stattdessen mit der Jacke. Frauen tun so etwas – weil das unsere Art ist.
    Anders: Sie haben mal gesagt, Sie seien zu einem Viertel lesbisch und zu Dreivierteln heterosexuell. Ist das noch aktuell?
    O'Connor: Ich fühle mich nicht besonders wohl dabei, über Sachen aus der Vergangenheit zu reden. Ich konzentriere mich lieber auf die Gegenwart. Denn jedes Mal, wenn ich ein Album veröffentliche, verbringe ich so viel Zeit damit, mich für alte Sachen zu rechtfertigen, dass es einfach langweilig wird.
    Anders: Aber Sie hatten so viele Höhen und Tiefen, und waren so oft im Begriff alles hinzuschmeißen, dass solche Fragen doch nicht von ungefähr kommen. Und sei es nur, um zu erfahren, ob Sie Ihre Probleme mittlerweile im Griff haben.
    O'Connor: Es gab definitiv Zeiten, in denen ich am liebsten alles hingeworfen hätte. Und solche, in denen mein Job dafür gesorgt hat, dass ich meinen Lebenswillen ernsthaft hinterfragt habe. Aber mittlerweile habe ich acht Gründe zum Weitermachen. Das sind die Augen meiner Kinder.
    Anders: Dann ist heute alles ein bisschen leichter, ein bisschen weniger Kampf und Krampf?
    O'Connor: Oh ja. Die schwierigen Phasen sind vorbei. Wobei ich aber auch nie wirklich kämpfen musste. Es hat immer gereicht, den Eindruck zu erwecken, dass ich nicht gewillt bin, zu verhandeln. Und dann versucht es auch niemand. Insofern ist Freiheit nichts, was man dir gibt oder wegnimmt. Sie ist etwas, dass du entweder aufgreifst oder eben nicht. Aber sie ist immer vorhanden – weil sie niemandem gehört.
    Anders: Wo sehen Sie sich 2014 – sind die noch Teil des Mainstream? Machen Sie noch Musik für die Hitparaden?
    O'Connor: Ich bin nicht zu kategorisieren. Und darauf bin ich stolz. Ich meine, nicht dass mich das besser oder schlechter macht als andere, aber es ist schlichtweg unmöglich, mich in eine Schublade zu stecken. Und ich halte mich ganz bewusst davon fern, weil sie sehr einengend sein können.
    Anders: In den letzten 27 Jahren haben Sie mit irischer Folklore, Reggae, Dub und sogar Big Band-Sounds experimentiert. Gibt es noch etwas, das Sie nicht versucht haben, aber gerne würden?
    O'Connor: Eine Kleinigkeit, die ich gerne machen würde, die aber nicht leicht zu finanzieren wäre, weil Plattenfirmen nicht auf Nebenprojekte stehen, wäre ein Album mit Stücken aus der Opernwelt. Allerdings nicht gesungen, wie das ein Opernsänger tun würde, sondern mit jeder Menge verzerrter Gitarren und ganz normalem Gesang.
    Denn im Grunde sind das fantastische Stücke. Es ist nur so, dass dieses Genre so elitär ist, dass es oft abstoßend wirkt. Aber die Songs aus dem Opern-Kontext zu reißen und sie als Rock'n'Roll zu präsentieren, würde mir Spaß machen. Vorher müsste ich allerdings eine Menge Geld verdienen, um das selbst zu finanzieren.
    "Man spielt seinen Kindern nicht seine Alben vor"
    Anders: Um zum Ende zu kommen: Haben Sie Ihren Kindern das neue Album vorgespielt? Was sagen sie dazu?
    O'Connor: Man spielt seinen Kindern nicht seine Alben vor. Einfach, weil sie dich eh nicht für cool halten. Und sie es sich auch gar nicht leisten könnten, das zu tun. Meine Tochter hätte zum Beispiel ein echtes Problem mit ihren Freundinnen, wenn sie auf den Gedanken käme, sich meine Musik anzuhören und sie womöglich gar zu mögen. Von daher halte ich meine Kinder so weit wie möglich von meiner Karriere, meinem Job und allem anderen fern. Sie wissen so gut wie nichts über Sinead O´Connor.