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Corsogespräch
"Ich habe einiges selbstzerstörerisches Potenzial"

Beth Hart war bereits mit elf Jahren drogensüchtig. Trotzdem schaffte sie den Sprung ins Musikbusiness und bekam ihre Exzesse in den Griff. Der Hang zur Manie und zum Selbstzerstörerischen ist geblieben. Im Corsogespräch erklärt sie, wie daraus Musik entsteht und was ihr bei ihrem neuen Album 'Better Than Home' wichtig war.

Beth Hart im Gespräch mit Tim Schauen | 25.07.2015
    US-Sängerin Beth Hart, aufgenommen 2010 beim 6. MusiCares MAP Fund Benefizkonzert in Los Angeles.
    Die US-Sängerin Beth Hart (picture alliance / dpa / Alex Gallardo)
    Tim Schauen: Mrs Hart, mit 'Better Than Home' haben Sie nun ein weiteres Soloalbum veröffentlicht: dass sie so lange und erfolgreich mit Gitarrengröße Joe Bonamassa unterwegs waren, scheint gar nicht auf ihre aktuelle Produktion ausgestrahlt zu haben.
    Beth Hart: Oh, das Album bedeutete eine Menge Arbeit, es war eine besondere Herausforderung, was auch an den beiden Produzenten lag, die ich während der Kennedy Center Honors getroffen hatte, und mit denen ich vorher noch nie zusammengearbeitet hatte: ihre Namen sind Michael Stevens – er ist der Direktor des Kennedy Centers – und Ron Mathes, der Musikalische Direkter des Kennedy Centers. Also zwei weitere Branchengrößen. Beide haben gesagt, dass sie zwar natürlich die Blues- und Rock 'n' Roll-Sachen mögen, die ich gemacht habe. Noch mehr aber mögen sie, wenn ich wirklich Geschichten erzähle, mit meiner Stimme und dem Klavier im Vordergrund – also außerhalb von diesem typischen Bandkontext. Zuerst wollte ich mich nicht darauf einlassen, ich wusste schon, was es bedeuten würde: Dass ich ziemlich viel von mir preisgeben würde, Sachen weglassen muss, die mir sonst Sicherheit geben, um wirklich so persönlich schreiben zu können. Die Produzenten waren aber sehr von der Idee überzeugt – und ich? Ich hatte schlicht Angst! Doch wenn ich Angst habe, ist es oft am besten, einfach nach vorne zu marschieren und zu machen. Am Ende kam dann dabei eine ganze Menge Musik heraus, jede Menge Songs, mit denen wir ins Studio gegangen sind, sieben Tage aufgenommen haben und dann herausfinden mussten, welche Stücke am besten als Brüder und Schwestern zueinander passen.
    Schauen: Das klingt, als wäre es ihnen schwer gefallen, die Songs zu schreiben, war es so?
    Hart: Das Songwriting ist eigentlich immer die schwierigste Arbeit. Aber auch die lohnenswerteste, denn während ich schreibe, fühle ich die meiste Spiritualität und den Schutz Gottes – und ich liebe dieses Gefühl, ich liebe es mehr als alles andere. Das bedeutet jetzt aber nicht, dass es nicht auch hart und schmerzhaft wäre, das gehört zum Kreativsein dazu – ach: eigentlich gehört es zum Leben dazu, egal was Du machst.
    Schauen: Dieses Mal haben Sie also Geschichten erzählt, sehr persönliche Geschichten – dabei hat man Sie doch zuletzt als Bluessängerin abgestempelt. Nicht, dass die keine Geschichten erzählen würden, aber doch eben anders, in andere Songstrukturen eingebettet.
    Hart: Naja, ich bin ja bloß einfach Sängerin und Songschreiberin – unabhängig von irgendwelchen Genres. Mal mache ich Blues, Rock oder Jazz, dieses Mal bin ich einfach eine Geschichtenerzählerin.
    Schauen: Wovon handeln die Geschichten auf 'Better Than Home?'
    Hart: Sie handeln davon, sich seinen Ängsten zu stellen, sie bewusst ans Licht zu zerren. Denn wenn man sich damit auseinandergesetzt hat, merkt man, wie befreiend das sein kann – so jedenfalls ging es mir. Auch wenn es eine Menge Mut erfordert, lohnt es sich doch, so jedenfalls würde ich die Erfahrung, die Stücke für dieses Album zu schreiben, beschreiben. Aber es ist ohne Frage ein sehr, sehr persönliches Album geworden. So persönlich, dass meine Schwester sehr böse auf mich war, richtig ausflippte, denn sie dachte, ich wäre zu hart mit meiner Familie ins Gericht gegangen, würde mich in den Songtexten nun an meiner Familie rächen und sagen: Alles ist besser als Zuhause. Aber das wollte ich gar nicht – natürlich sind es sehr intime Lieder über meine Mutter und im Song "Tell her you belong to me" über meinen Vater, der unsere Familie verlassen hat, als wir noch klein waren – was bis heute schmerzt – aber als das Stück fertig war, merkte ich, dass ich keinen Zorn mehr verspürte oder ein Urteil über ihn fällen wollte. Ganz im Gegenteil: Ich konnte eine Menge Kraft daraus ziehen! Oh, Sie merken schon, wie persönlich also die Texte sind. Und da musste ich natürlich die Liebe zu meiner Mutter ebenfalls ausdrücken.
    "Ich hatte lange mit Drogen und Alkohol zu tun"
    Schauen: Jetzt sind so starke Emotionen in Texten die eine Sache, sie aber vor dem Mikrofon auch umsetzen zu können, nochmal eine andere – wie kann man so etwas lernen?
    Hart: Ich hatte Glück mit meinem zweiten Lehrer: Meine erste Gesangslehrerin kam von der Oper und sagte mir direkt: "Hör mal, Kindchen, ich weiß, dass Du diese Musik, die Art zu singen, sehr magst, aber Du wirst es niemals dorthin schaffen können." Also musste ich schmerzhaft einsehen, dass ich zwar ein Fan der Oper und von klassischer Musik sein kann, sie aber nicht singen kann. Meinem nächsten Lehrer ging es dagegen nur um die Gesundheit und Kraft meiner Stimme, aber nie darum, mich in einer bestimmten Art klingen zu lassen. Er war selbst Sänger am Broadway, hatte acht Shows pro Woche – er musste also selbst lernen, auf gesunde Art zu singen. Wie Sie vielleicht wissen habe ich ja einiges selbstzerstörerisches Potenzial in meiner Persönlichkeit, nicht nur was meine Stimme anbelangt. Wenn ich emotional werde, kommt das wieder hoch und ich vergesse alle Sicherheitsmaßnahmen, aber ich habe eben trainiert, doch noch etwas Kontrolle zu behalten, damit meine Stimme noch lange funktioniert. Wenn man sich die junge Amy Winehouse anhört, wie sie mit Anfang 20 soviel Gefühl in die Stimme legt, ihre Art zu phrasieren, dann denke ich: Genie! Sie muss sehr viel Jazz gehört haben, um so jung schon so singen zu können. Und: Auch sie hatte, wie wir ja nun leider alle wissen, dieses Selbstzerstörerische. Janis Joplin konnte schon sehr früh so singen, Billie Holiday oder Etta James. Aber das sind eben wahre Genies, der Rest muss sich das alles hart erarbeiten!
    Schauen: Ich habe über ihr, wie Sie es nennen, Selbstzerstörungspotenzial gelesen, möchten Sie darüber sprechen?
    Hart Ach, ich hatte laaaange mit Drogen und Alkohol zu tun, habe mit 11 oder 12 angefangen, habe aufgehört, wieder angefangen, kam viele, viele Jahre nicht davon los, bis ich Ende 20 war. Da wurde es dann aber auch wirklich kritisch und ich wusste, dass ich aufhören musste, weil ich sonst gestorben wäre. Aber ich wollte leben, das liegt vor allem an meinem Mann Scott – aber auch daran, dass ich kurz im Gefängnis war. Zwar nur eine Nacht, aber eben doch lang genug, um mich unendlich zu fürchten. Das brachte mich dazu zu kämpfen, um mein Leben zu kämpfen, aber das war natürlich ein langer, ein harter Kampf, denn ich war die meiste Zeit meines Lebens unter Drogen, deswegen musste ich erst langsam lernen, wie man ohne Drogen lebt. Mein Mann, mein Arzt, die Therapien und das "Zwölf Schritte-Programm" haben mir geholfen. Aber dieser Kampf geht ja noch immer weiter. Fast täglich. Manchmal erwische ich mich dabei, wieder zu trinken, was natürlich gefährlich ist. Da spielt dann meine biploare Störung hinein, die das Manische, Destruktive in mir steuert. Aber ich habe gute Medikamente, die das Manische unterdrücken. Nur: Ich will nicht immer all diese Medikamente nehmen, da sie mich fett werden lassen. Also habe ich wie jede Frau noch das Problem mit der Eitelkeit, und dieser Eitelkeit gehe ich in der Kirche, beim Beten aus dem Weg. Und diese Verbindung zu Gott bringt mich dazu, die Medizin zu nehmen, sie lässt mich die Eitelkeit vergessen und dafür das Gesundsein zu wertschätzen. Da komme ich dann schnell wieder klar. Allerdings: Meine Songs schreibe ich doch meist, wenn die Manie wieder da ist, wenn ich verdammte Lust auf einen Drink habe, oder wenn ich sehr depressiv bin. Ich muss halt irgendwie damit klarkommen, auch wenn es ein zweischneidiges Schwert ist. Aber das wichtigste, was ich in all den Jahren gelernt habe ist, mich selbst nicht zu verurteilen. Nicht meine Beziehung zu Gott oder was immer. Menschen mit psychischen, mentalen Erkrankungen sind sehr verurteilend, sie verurteilen sich selbst und alles Andere sowieso. Und das zieht dann nochmal weiter herunter. Ich bin da noch nicht ganz raus, werde es niemals sein, aber ich bin mir der Probleme bewusst und kann weiter daran arbeiten. Und daher ist es schön, wenn mich Menschen nach meiner Arbeit beurteilen und nicht für meine Persönlichkeit. In solchen Momenten bin ich frei und habe Frieden.
    Schauen: Wow, vielen Dank für diese klaren Worte!
    Hart: Naja, ich glaube nicht, dass man im Musikbusiness mehr psychisch Kranke oder auch Süchtige findet als in anderen Bereichen, auch da ist alles möglich, aber Anwälte, Ärzte stehen halt nicht im Scheinwerferlicht oder sie werden nicht interviewt. Man bekommt es einfach nicht so mit.