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Corsogespräch
"Wenn du Bedeutung haben willst, musst du dienen"

Der südafrikanische Fotograf Matthew Willman hat zehn Jahre lang Nelson Mandela mit der Kamera begleitet. Mandela habe ihm Führung gegeben und gezeigt, wie man für etwas kämpfe, erzählt Willman im Corsogespräch. Zum ersten Mal sind seine Fotografien "The Heritage Collection"nun in Europa zu sehen.

Der südafrikanische Mandela-Fotograf Matthew Willman im Gespräch mit Birgit Morgenrath | 28.04.2014
    Ein Mann legt Blumen vor Postern mit dem Porträt Nelson Mandelas nieder.
    Anlässlich des 20. Jahrestags der ersten freien Wahlen in Südafrika zeigt eine Kölner Ausstellung die Mandela-Fotografien des südafrikanischen Fotografen Matthew Willman. (picture alliance / dpa)
    Matthew Willman: Ich bin jetzt 35 Jahre alt. Ich wollte schon mein ganzes Leben lang Nelson Mandela treffen. Ich kannte seine politische Botschaft nicht, er war für mich ein Großvater, ein "Ältester", dem ich vertraute. Ich liebte seine Geschichte und wo er gelebt hatte, wer er war. Ich brauchte neun einhalb Jahre, um bis zu ihm vorzudringen. Das hatte zuerst einmal nichts mit Fotografie zu tun - ich musste ihn einfach sehen, seine Hand schütteln, mich mit ihm identifizieren. Auch als Teenager, wo es ja auch rau zugeht, wusste ich, das ist der, dem ich vertrauen kann und den ich finden will.
    Birgit Morgenrath: Sie haben als Kind und Jugendlicher getanzt, aber dann nach dem Abschluss der
    Schule und einem Auslandsjahr in London Fotografie studiert – warum?
    Willman: Ich dachte: Wenn ich Mandela treffen will, dann muss ich wissen, wer wir Südafrikaner sind und muss eine Reise machen. Das konnte ich erst, als ich die Kamera in die Hand nahm und sie als Medium nutzte, um hinaus in unser Land zu reisen, von dem ich absolut nichts wusste. Ich benutzte die Kamera, um Orte und Menschen kennenzulernen und das hat mich dann reifen lassen.
    "Ich schrieb Mandela jeden Monat einen Brief"
    Morgenrath: Wie haben Sie es dann geschafft als noch sehr junger südafrikanischer Fotograf von der Nelson Mandela Stiftung diesen wichtigen Auftrag zu bekommen, Nelson Mandela zu fotografieren? Sie haben einmal gesagt, da seien ein paar Wunder im Spiel gewesen ...
    Willman: Ich habe Nelson Mandela sechs einhalb Jahre lang jeden Monat einen Brief geschrieben, und alle zwei Monate erhielt ich eine Antwort von seiner Stiftung, die ihn mit allerlei Gründen entschuldigte. Also musste ich beweisen, was ich konnte, und so habe ich dann stets mit den Briefen einige Fotos an die Stiftung geschickt, zum Beispiel von der Gegend, wo Nelson Mandela aufgewachsen ist und von der Gefängnisinsel Robben Island.
    In den Jahren 2002, 2003 baute die Stiftung das Zentrum zur Erinnerung an Nelson Mandela auf und der Direktor des Archivs, Verne Harris, zeigte ihm meine Fotos – und das war das erste Wunder, dass sie meine Arbeit wahrnahmen und anerkannten. Ich bekam einen Anruf: Ja, Mandela will Sie sehen. Als ich ihn dann zum ersten Mal traf, schüttelte ich seine Hand und sagte: Dear Mr Mandela, Madiba, Sir – ich war so nervös - Ich habe neun Jahre gebraucht, um Sie zu treffen, und er schaute mich nur an und sagte: Tja, und warum haben Sie mich nicht einfach angerufen? Dabei wussten wir doch alle, wie schwierig das war ...
    "Mandela war öffentlich und privat die gleiche Person"
    Nach dem Treffen war ich sehr enttäuscht, weil es nach zehn Minuten schon vorüber war. Und ich dachte, was mache ich jetzt mit meinem Leben? Mandela war doch mein großes Ziel. An einem Freitagmorgen rief die Stiftung dann an. Das war wie ein frischer Wind als Verne sagte: Wir fänden es gut, wenn Sie ihn privat fotografieren. Wir möchten, dass eine Beziehung zwischen Ihnen entsteht. Da öffnete sich die Tür und ich konnte hindurchgehen.
    Morgenrath: Sie haben Nelson Mandela bei vielen verschiedenen Gelegenheiten begleitet, wenn er öffentlich auftrat, wenn er Besucher empfing, und Sie durften ihn auch in seinen Privaträumen fotografieren. Was war er in ihren Augen für ein Mensch?
    Willman: Ich bin nicht die Königin von England oder Bill Clinton, die Großes über ihn sagen können, ich bin ein einfacher Mann von der Straße, der dem Mann begegnen konnte, der unser Land befreit hat. Aber eins kann ich über ihn sagen: Der Mensch, den man in der Öffentlichkeit sah, war der gleiche Mensch im Privatleben. Und das sagt viel über seinen Charakter aus. Ob er nun Kinder begrüßte oder wichtige Leute oder ob er in seinem Büro saß, er hatte stets die gleiche Energie, das gleiche Interesse an allem. Die Welt fühlte sich sehr wohl mit ihm, wie er war – es gab keine großen Geheimnisse um ihn, er war sehr offen, er schaffte es immer, dass jeder sich wohlfühlte, das stand an erster Stelle, er wollte mit anderen teilen – Nelson Mandela war tatsächlich öffentlich und privat die gleiche Person.
    Morgenrath: Wann haben Sie ihn als besonders glücklich erlebt?
    Willman: Zwei Dinge machten ihn sehr glücklich: Kinder und seine Familie. Wenn er zum Beispiel einen bedeutenden Politiker zu Besuch hatte und eins seiner Enkelkinder kam in den Raum, hellte sich sein Gesicht sofort auf und er richtete seine ganze Aufmerksamkeit auf die Familie. Wir kennen ja seine großen Opfer und das größte war, dass er seine Familie nicht sehen konnte. Und nach seiner Freilassung war es für ihn sehr wichtig, dass seine Familie an erste Stelle stand.
    "Fotografie ist nur mein Werkzeug, Dinge zu erfahren"
    Woran sah man, dass er sehr glücklich war? Er saß dann mit einem breiten Lächeln da, ein ganz breites Lächeln, sodass man seine Augen kaum noch sehen konnte. Graca Machel, seine Ehefrau, witzelte immer: Zeig mir nicht Deine chinesischen Augen! Wegen dieses breiten Lachens.
    Morgenrath: Ist Fotografieren eine Leidenschaft für Sie?
    Willman: Ich bin stets mehr an meinem Objekt interessiert, ob es nun Ballett ist oder Mandela oder Probleme in Afrika oder nur eine Landschaft. Fotografie ist nur mein Werkzeug, das mir erlaubt, diese Dinge zu erfahren. Mich interessiert, was ich fotografiere. Die Fotografie ist der Pass, der mich dorthin bringt und dann kann ich das dokumentieren.
    Morgenrath: Sie haben ja in den vielen Jahren eine riesige Sammlung aufgebaut – nach welchen Kriterien haben Sie die Heritage Collection zusammengestellt, die wir nun hier in Deutschland sehen können?
    Willman: Ich begann, Geschichten durch ein oder zwei Fotos zu erzählen. Ich benutze sehr häufig Symbole. Fotos, die ich zeigen und über deren Botschaft ich eine Vorlesung halten kann. Diese Sammlung hier in Deutschland sagt viel über unsere Geschichte, diese Apartheidgeschichte, weil viele dieser Fotos symbolisch sind.
    Morgenrath: Sie haben auf der Gefängnisinsel Robben Island zum Beispiel den Hut von Nelson Mandelas Gegenspieler, des Apartheid-Präsidenten Pieter Wilhelm Botha fotografiert. Den Hut hatten Sie von dessen Ehefrau bekommen und er lag viele Jahre vesteckt in ihrer Küche. Auf dem Foto liegt nun dieser Hut auf dem kleinen Sideboard in Nelson Mandelas Zelle – wie sind Sie auf diese Idee gekommen?
    "Ich wollte Mandelas Erbe vorantreiben"
    Willman: Es war ja Botha, der Nelson Mandela gefangen hielt, weil dieser das Angebot des Präsidenten, ihn freizulassen, wenn er den bewaffneten Kampf aufgäbe, nicht angenommen hatte. Es gab also eine Art Beziehung zu Mandela. Also nahm ich diesen Hut wieder als ein Symbol und legte ihn in Mandelas Gefängniszelle. Denn das Wunder von Südafrika konnte nur geschehen, weil wir miteinander kommuniziert haben, es hatte ein geheimer Dialog zwischen Regime und den politischen Gefangnen stattgefunden.
    Andererseits hat Botha kein einziges Mal Robben Island besucht. Ich habe ihn jahrelang immer wieder darum gebeten, aber er hat stets abgelehnt. Ein halbes Jahr nach Bothas Tod platzierte ich dann seinen Hut dort in der Zelle. 23 Jahre und vier Monate nachdem Botha Nelson Mandela zum ersten Mal im Präsidentenbüro in Pretoria getroffen hatte, besuchte er auf diese Weise letztendlich Nelson Mandela in seinem "Büro" auf Robben Island.
    Morgenrath: Wie hat Nelson Mandela Ihr Leben verändert?
    Willman: Ja, als ich 2009 mit ihm zusammensaß, war ich etwas niedergeschlagen. Ich versuchte herauszufinden, was ich, dieser Junge aus Durban, tun kann, um etwas zu bewegen und zu verändern. Er sah mich nur an und sagte: Weißt Du, wenn du Bedeutung haben willst, musst du dienen. Das war für mich eine wichtige Lektion. Damals dachte ich: Ich muss eine Organisation gründen, damit wir Mandelas Erbe vorantreiben können.
    Ich gründete die Matthew Willman Stiftung für die visuellen Künste. Wir sind noch sehr klein und haben noch einen langen Weg vor uns. Wir geben Bücher heraus, die wir verkaufen, und damit finanzieren wir Stipendien für Künstler. Ich brauchte diese Erfahrung eines Ältesten, Führung in meinem Leben. Und das hat Mandela mir gegeben. Und mir einen Einblick verschafft, wie man für etwas kämpft.