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Countdown zum IT-Desaster

Am Freitag nach Ostern wird es ernst für die Bundesagentur für Arbeit, denn dann müssen die ersten Programm-Module für die Berechnung und Auszahlung des neuen Arbeitslosengeldes II fertig sein. Allerdings warnten bereits in der vergangenen Woche IT-Experten und Behördenchefs vor einem neuen Computerdesaster in der elektronischen Verwaltung des Arbeitslosengeldes.

    Mit dem Stichtag 1. Januar 2005 tritt das Arbeitslosengeld II (ALG II) in Kraft. Doch bereits heute sehen Skeptiker Tumulte und gar Ausschreitungen heraufziehen, wenn nämlich dann die eigens hierfür entwickelten Programme und Verwaltungsinstrumente nicht einwandfrei arbeiten und Gelder nicht pünktlich ausgezahlt werden können. "Wenn dann am 1. Januar die EDV nicht funktioniert - was nach allem, was man hört, offenkundig der Fall ist - und drei bis vier Millionen betroffene Menschen, die auf die Unterstützung dringend angewiesen sind und keinerlei finanzielle Polster besitzen, die Betreuungsleistungen nicht erhalten, dann rechne ich mit Zuständen, die wirklich tumultartig sein könnten", warnt FDP-Arbeitsmarkt-Experte Dirk Niebel. Wie es um den Entwicklungsstand des elektronischen Rückgrades der Bundesagentur für Arbeit bestellt ist, wird sich bereits am 16. April zeigen: dann sollen die ersten Module der Software bereit stehen. Doch schon jetzt steht fest, dass das federführende Unternehmen T-Systems am kommenden Freitag lediglich ein so genanntes Fachkonzept, in dem die Ablauflogik des ALG-II-Programms dokumentiert ist, vorlegen wird.

    Aber auch hierbei handelt es sich bereits um einen erneuten Anlauf, denn ein erstes Konzept wurde vor einigen Wochen wegen gravierender Fehler in der Dokumentation sowie mangelnder Berücksichtigung der Zusammenarbeit mit den Kommunen abgelehnt. So arbeiten Städte und Gemeinden mit verschiedenen Programmen, die auf die Zentralsoftware und die Großrechner der Bundesagentur angepasst werden müssen. Dazu Niebel: "Man muss die EDV der Bundesagentur mit der der rund 400 Sozialhilfeträger, die es in Deutschland gibt, vernetzen. Dabei müssen die Daten der Sozialhilfeträger und der Arbeitslosenhilfeempfänger dazu kompatibel sein. Und das ist aufgrund der unterschiedlichen eingesetzten Technik und der bestehenden Schnittstellen sehr schwierig. Ein weiteres Problem ist der Datentransfer. Einerseits ist die Menge der Daten enorm groß, andererseits erschwert die Unterschiedlichkeit der Daten die Kommunikation, weil aufgrund der gesetzlichen Unterschiede die Erhebung bei Sozialhilfeempfängern andere Daten benötigt als bei Arbeitslosehilfeempfängern. Das wird sehr kompliziert werden."

    Beobachter betrachten das Vorhaben als einen Drahtseilakt ohne Netz, denn es besteht keinerlei Rückfallmöglichkeit auf bestehende Programme. Ein Projektmitarbeiter aus der Bundesagentur schilderte überdies, die Nürnberger Projektgruppe habe zunächst darauf bestanden, für die eigenen Großrechner so genannte Terminallösungen zu entwickeln. Dabei hätten Städte und Gemeinden auf ihren Computern Klientenprogramme benutzt, mit denen die notwendigen Berechnungen für das Arbeitslosengeld II via Datenleitung im Rechenzentrum der Nürnberger Bundesagentur für Arbeit durchgeführt worden wären. Dieser Ansatz wurde dann jedoch wieder gestoppt und stattdessen eine Web basierte Lösung angestrebt. Als Grundlage hierfür dient das Sozialhilfeprogramm "Prosoz", das bisher 40 Prozent der Kommunen schon für andere Arbeitsbereiche in den Sozialämtern einsetzen. Diese Software ist allerdings in weiten Teilen nicht webfähig und seine Serveranwendungen wurden in Visual Basic und C++ programmiert. Die Vorgabe der Bundesagentur für Arbeit war aber ursprünglich, dass eine durchgängige Programmierung in Java erfolgen solle.

    Während die Nürnberger BA noch immer nach einem Königsweg zur Lösung der Probleme sucht, verharren die EDV-Verantwortlichen in Städten und Gemeinden wie das sprichwörtliche Kaninchen vor der Schlange. Ihnen bleibt auch nicht viel anderes übrig, als den Notfall einer direkten, quasi manuellen Auszahlung der Gelder vorzubereiten, denn derzeit stünden keine Grundlagen für weitere Maßnahmen zur Verfügung, wie etwa der Sozialamtsleiter in Stuttgart, Walter Tattermusch berichtet. Doch bevor die Software in eine konkrete Richtung entwickelt werden kann, muss zunächst der Vermittlungsausschuss des Bundestages über die Zusammenarbeit von Bundesagentur und Kommunen ein politisches Ergebnis erzielen. Weil überdies die Randbedingungen für den Einsatz der Arbeitslosengeld-II-Software derzeit noch nicht dokumentiert sind, üben sich die Kommunen derzeit in großer Skepsis, ob die Programme am 1. Januar 2005 wirklich funktionieren werden. Zweifel darüber schienen indes auch Siemens und IBM geplagt zu haben, denn die beiden Unternehmen stiegen bereits aus dem Vorhaben aus.

    [Quelle: Peter Welchering]