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Couragierte Bruchpilotin

Eine Frau im Cockpit: Das ist auch heute noch ein seltener Anblick. Wollten Frauen zu den Anfangszeiten der Fliegerei Pilotinnen werden, sprach man ihnen kurzerhand alles Feminine ab. Bei der Engländerin Beryl Markham lag man da so gründlich daneben wie bei kaum einer anderen.

Von Irene Meichsner | 03.08.2006
    " Sir! Da ich heute Abend an der Schwelle zu einem, wie ich meine, höchst riskanten Unternehmen stehe, ersuche ich Sie um die Gunst, einiges aus meiner Sicht darlegen zu dürfen. Die Presse hat mich mehrfach als 'Society-Mutter', 'Fliegende Mutter', 'Bird-Lady' und so weiter, apostrophiert. Die Anspielung auf meine gesellschaftliche Stellung widerstrebt mir zutiefst. Ich sehe beim besten Willen keinen Zusammenhang zwischen meiner Herkunft und dem Flug über den Atlantik, und nehme ich mir das Recht, ihn schlicht und einfach als Teil meiner Arbeit zu betrachten. Ich bin eine Ozeanfliegerin - im Embryostadium."

    Dieser Text erschien am 5. September 1936 in London auf der Titelseite des "Daily Express". Beryl Markham hatte ihn einem Reporter zugesteckt, bevor sie am Abend zuvor mit der "Messenger", einem geliehenen einmotorigen Propellerflugzeug, zum Abenteuer ihres Lebens gestartet war: Den Atlantik von Westen nach Osten zu überqueren, war - neun Jahre nach dem Pionierflug von Charles Lindbergh - fast schon normal.

    Aber von Ost nach West, gegen die Hauptwindrichtung, hatte es bis nach New York noch keiner geschafft - schon gar keine Frau. 21 Stunden und 25 Minuten lang kämpfte sich Markham durch Regen, Sturm und Gewitter:

    "Einmal wurde die Maschine fürchterlich hin- und her geworfen. Als der nächste Blitz aufzuckte, spähte ich durchs Fenster. Die "Messenger" flog auf dem Kopf. Ich bekam einen tüchtigen Schrecken."

    Der Benzinvorrat schwand rapide.

    "Ich überlegte eine Weile, griff nach meiner Whiskyflasche. In der Regel trinke ich kaum Alkohol, aber jetzt nahm ich zwei Mal einen kräftigen Schluck. Ich sah keine Rettung mehr für mich. Der guten alten "Messenger" würde jeden Moment die Puste ausgehen, und ich sagte zu mir: Wenn ich denn abtreten muss, dann ist’s höchste Zeit, mich bereit zu machen."

    Und dann, in letzter Sekunde:

    "Diese herrliche Küste. Noch nie habe ich so einen schönen Landstrich gesehen."
    Der Flug endete in Neuschottland mit einer Bruchlandung, keine 100 Meter vom Meer entfernt. Trotzdem wurde Beryl als Heldin gefeiert. Frei zu sein wie ein Vogel, etwas Außerordentliches zu schaffen und es der Welt zu präsentieren: Dieses Bedürfnis teilte sie mit anderen höheren Töchtern aus einer gelangweilten postviktorianischen Oberklasse, die sich für keine Verrücktheit zu schade waren. Egal, ob sie durch die Wüste zogen, in tibetischen Klöstern meditierten oder sich, wie Markham, furchtlos in die Lüfte erhoben:

    "Es ist richtig, dass man mich aus 'High-Society'-Kreisen kennt. Aber das einzig wirklich Entscheidende ist doch, ob einer fliegen kann."

    Im Oktober 1902 in Leicestershire geboren, war sie als vierjähriges Mädchen mit ihrem Vater, einem Züchter von Vollblutpferden, nach Kenia gegangen. Mit 17 Jahren begann sie, ihren eigenen Lebensunterhalt zu verdienen. Erst als Pferdetrainerin, dann als Buschpilotin. Sie verkehrte in der Clique um Tanja Blixen, bot Touristen ihre Flugtaxi-Dienste an, war auch im Cockpit immer peinlich auf ihr Äußeres bedacht - eine, wie es ihre Biografin Mary Lovell formulierte:

    "Ganz in Weiß gekleidete Greta-Garbo-Erscheinung, mit langem Blondhaar und lackierten Fingernägeln."
    Für Safarijäger kundschaftete sie Elefantenherden aus. Ihre Beobachtungen kritzelte sie auf einen Zettel, den sie in einem Beutel zur Erde warf:

    "Sehr großer Bulle - Stoßzähne ziemlich ebenmäßig - nach meiner Schätzung über 160 Pfund. In Herde von rund 500. Ziemlich offenes Gelände. Viele Fährten. Keine Nashörner gesichtet. Euer Kurs: 220 Grad, Entfernung rund 15 Kilometer."

    Zweimal verheiratet, hatte sie zeitweise in England und Amerika gelebt, doch zog es sie immer wieder nach Kenia:

    "Afrika ist mystisch, es ist wild, es ist ein brodelndes Inferno, es ist ein Fotografen-Paradies, eine "Walhall" für Jäger, ein Utopia für Eskapisten. Es ist das letzte Rudiment einer toten Welt oder die Wiege einer strahlenden Neuen. Für viele Menschen, wie auch für mich, ist es ganz einfach Heimat. Ja, Afrika ist all dies, eines allerdings ausgenommen - langweilig ist es nie."

    1942 erschien ihr autobiografisches Buch "Westwärts mit der Nacht", von dem selbst Ernest Hemingway sagte:

    "Beryl Markham schreibt so fantastisch gut, dass ich mich als Autor minderwertig fühle."

    Flugrekorde strebte sie nicht mehr an, als Trainerin für Rennpferde wurde sie in Kenia in den 50er und 60er Jahren zur Legende. Am 3. August 1986 starb sie in Nairobi an einer Lungenentzündung. Einsam war sie zuletzt gewesen, auch etwas wunderlich.

    "Aber sie war immer noch eine schöne Frau und verfügte nach wie vor über jenes undefinierbare Etwas, das manchen Frauen angeboren ist: Glamour",#

    schrieb Mary Lovell, der Beryl Markham als Lebensmotto mit auf den Weg gab:

    "Blicken Sie niemals zurück. Man muss immer nach vorn schauen. Irgendetwas wird sich schon ergeben, wenn Sie sich wirklich darum bemühen."