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Cow-Sharing in Dänemark

In Dänemark halten sich so genannte "Kuhweide-Vereine" kleine Rinderherden, die sie jeweils im Frühjahr gekauft oder geleast haben. Nach der Schlachtung im Herbst bekommt jedes Vereinsmitglied seinen Anteil. Die erste "Cow-Sharing"-Initiative entstand schon vor 20 Jahren, heute sind es um die 50.

Von Erhard Bultze | 23.11.2006
    Viggo Jessen startet den Lieferwagen und fährt mit seiner Frau Ulla durch Kopenhagener Vorstadtstraßen. Ein Mal im Monat müssen sie nach den Kühen sehen.

    "Wir müssen kucken, ob alle noch da sind, und ob es ihnen gut geht,

    erklärt Ulla Jessen, wir wollen ja gutes Fleisch haben. "

    Das Rentnerpaar teilt sich mit anderen Kopenhagenern sieben Rindviecher, die auf einer saftigen Wiese am Stadtrand grasen und von den über 30 Anteilseignern abwechselnd betreut werden, bis sie zum Schlachter kommen.

    "Wir haben eine Einlage gezahlt, gut 300 Euro, das wird am Ende verrechnet, "

    erklärt Ulla: Wenn alle gesund bleiben und keine Tierarztgebühren anfallen, kriegt jeder sein Rinderviertel zum günstigen Preis – von allem etwas: Ein Stück Brust, ein Stück Lende und so weiter:

    "Wer die Qualität kennt, der will nichts anderes mehr: Bestes Fleisch in der Kühltruhe, ein schönes Stück Hochrippe etwa, prima Steaks und gutes Hack""

    Das Rentnerpaar gehört dem Verein seit anderthalb Jahren an. Damals haben Naturschützer den neuen Mitgliedern erklärt, worauf sie achten müssen. Alles Kopenhagener, die wenigsten kannten sich mit Kühen aus. Kopenhagener sind Ulla und Viggo auch, doch der pensionierte EDV-Mann ist als Bauernkind in Südjütland geboren; und Ulla war oft bei Verwandten auf dem Lande, die Kühe hatten.
    Nach einer Viertelstunde parken sie das Auto dort, wo das Naturschutzgebiet beginnt, und gehen zu einem Schuppen, zu einer großen Plastiktonne. Viggo nimmt den Deckel ab. Getreideflocken für die Rindviecher. Er füllt eine große Portion in eine Plastikschale. Ulla fischt eine Tüte aus der Tonne, da ist das Protokollbuch drin. Die Vorgänger haben gestern eine volle Stunde gebraucht, bis die letzte Kuh gefunden war, liest Ulla vor. Sonst war alles in Ordnung.

    Die Vereinsmitglieder kommunizieren übers Protokollbuch und per e-mail. Selten mal trifft man einen der anderen hier auf der Weide, am Rande eines flachen moorigen Geländes, einst vom Militär genutzt, heute Naherholungsgebiet: Wiesen, Birken, kleine Büsche. Dass hier nicht alles zuwächst, dafür sorgen die Vereinskühe. Die Weideflächen stellt das Forstamt kostenlos zur Verfügung, mitsamt Elektrozaun und Trinkwasserautomaten. Die Tiere werden jeweils im Frühjahr von einem Landwirt gekauft oder geleast.
    "Da ist eine, und da ist eine; und dort ist noch eine."

    Sieben müssen es sein, braun-weiße Hereford-Rinder, jedes wird täglich in Augenschein genommen.

    "Wir kucken, dass keins krank aussieht, # dass sie sauber sind, keine Verletzungen haben und nicht lahmen."

    Viggo öffnet den Elektrozaun, geht mit seiner Schale zum Futtertrog; schüttet den Inhalt hinein und schlägt mit einem Stock gegen die leere Schale. Schon kommen die Tiere angetrottet, alle sieben, die Leitkuh ist als erste am Trog. Das tägliche Mitbringsel sorgt dafür, dass sich die Tiere an ihre Betreuer gewöhnen – und schön zahm sind, wenn der Viehtransporter kommt. Die Leitkuh steht jetzt erwartungsvoll vor Ulla. Manchmal gibt es noch ein Stückchen Apfel oder Brot. Doch an eine solche Aufmerksamkeit hat Ulla heute nicht gedacht.

    Ulla sieht nach, ob in der Wanne genug sauberes Wasser ist, Viggo kuckt in eine offene Tonne: Vitaminpudding zur Selbstbedienung, für den Mineralbedarf der Tiere. Genaueres weiß er auch nicht.

    "Wir wollen ja keine Landwirte werden, # uns geht’s ums Fleisch. "

    Aber schmeckt einem das Steak, wenn es von einer sanftmütigen Kuh stammt, der man gerade noch tief in die Augen geblickt hat? Werden ihm nicht doch noch Skrupel kommen?

    "Mir nicht – dafür steckt noch zuviel Bauernblut in uns, "

    sagt Viggo Jessen. Seine Frau meint, Familien mit Kindern falle es schwerer. Doch auch sie habe damit kein Problem, sagt sie und schaut zu, wie Viggo mit dem Stromprüfer am Zaun hantiert: Alles in Ordnung, überall Strom drin. Zurück zum Schuppen, wo Ulla ins Protokoll schreibt, dass alles stimmt – während sich sieben braun-weiße Kühe im Abendsonnenschein davontrollen.