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Crashkunst

Der Künstler John Chamberlain hat Autowracks mit seiner eigenen Schrottpresse zusammengefaltet und dann farbig lackiert. Dabei hat sich Chamberlain für Autos genauso wenig interessiert wie ein Stilleben-Maler für Obst. Und wenn Kunstexperten in seinen Arbeiten gar eine Kritik am American Way of Life erkennen wollten, dann brachte ihn das regelmäßig in Rage. Im Kunstmuseum Winterthur ist nun einer anderen Seite von John Chamberlain eine Ausstellung gewidmet.

Von Christian Gampert |
    Es mag überraschen, dass John Chamberlain, der ja als Bildhauer bekannt ist, als Autoknautscher, als skulpturaler Resteverwerter und Schrottplatz-Desperado, eine intensive Liebe zu Papierarbeiten pflegt. Aber auf den zweiten Blick zeigt sich, dass Chamberlains Arbeit gar nicht so sehr nach Disziplinen organisiert ist, sondern dass ihn bei der schwergewichtigen Metallskulptur im Grunde ähnliches bewegt wie in den kleineren, bescheideneren Genres: auch auf dem Papier versucht er scheinbar Unvereinbares zusammenzubringen. So wie seine bunt besprayten Schrottplatz-Assemblagen zu tanzen scheinen, ein metallischer Veitstanz auf dem Scheiterhaufen des Kapitalismus, so werden im Bild, in der Zweidimensionalität immer wieder Farben und Formen auf Effekte hin abgeklopft, durcheinander gemixt, aufpoliert, in Beziehung gesetzt.

    Angeeignet hat sich Chamberlain das auf dem abgelegenen "Black Mountain College" in North Carolina, wo sich Mitte der 1950iger Jahre vor allem Dichter versammelten, Vertreter der späteren Beat Generation oder der Poésie pure. Von Charles Olson und vor allem von seinem Freund Robert Creeley hat Chamberlain gelernt, den Worten nachzulauschen, Laute nach ihrem Wohlklang zu beurteilen und Formen zusammenzuleimen. Creeley stellte den Studenten beispielsweise die Aufgabe, Wörter zu sammeln, die ihnen gefielen. Der bildende Künstler Chamberlain ist diesem Prinzip bis heute treu geblieben: Er sammelt Farben, Formen und Techniken und bastelt so lange mit ihnen herum, bis das Ergebnis Bestand hat.

    Und so kann man in Winterthur jetzt nachvollziehen, wie Chamberlain über einen Zeitraum von 50 Jahren hinweg auch auf Papier mit Farben Klänge und Knautschzonen erzeugt, wie er, zunächst vom Action Painting beeinflußt, das spontane Agieren aber immer wieder für ein prozeßbetontes Arbeiten zurückstellen kann: einmal werden in wilder Rhythmik Materialien zusammengeleimt oder -getackert, dann wieder werden geduldig immer neue Farbschichten auf einen Untergrund aufgebracht. Neben Spray-Arbeiten stehen mit Schablonen aufgebrachte Aquarelle, Farbflächen-Jonglagen und abstrakte Landschaften, die er "views from a cockpit" nennt.

    Natürlich kann man sich auf die Suche nach den Bezugsgrößen machen und würde von Jackson Pollock bis zu Josef Albers und sogar Cy Twombley leicht fündig werden. Entscheidend aber ist, dass John Chamberlain immer das gemacht hat, was ihn selbst überzeugte, und dass er sich das leisten konnte. Hatte er genug davon, Holzplatten uneben abzuschleifen und die so entstandenen Einzelflächen mit Farben zu bearbeiten, so begann er, mit chinesischen Tusche-Schriftzeichen zu experimentieren, das freie Spiel der Signifikanten. War die eine Arbeit noch flirrend-ornamental gewesen, wurde die nächste streng durchkomponiert. Gefiel ihm das Ergebnis eines Druckes nicht, ließ er die eingefärbte Druckplatte selbst als Kunstwerk stehen. Oder er begann pseudo-anatomische Studien mit Fettkreide. Wichtig ist Chamberlain nur, dass die Arbeit ins Offene geht, ins Unbekannte.

    Und immer steht die Skizze, die Zeichnung, das Aquarell in Bezug zum Rhythmus seiner Skulpturen, von denen wir in Winterthur leider nur wenige Referenzen sehen: ein paar zusammengestauchte, energetisch aufgeladene Ölfässer, Embleme einer vom Rohstoff abhängigen Industrienation. Und eine aus Auto-Frontstücken und verformten Kotflügeln zusammengeschweißte längliche Figur, eine quergelegte Mobilitäts-Leiche.

    John Chamberlain redete auf der Pressekonferenz über alles mögliche, nur nicht über Kunst. Ein fast 80-jähriger Herr im pinkfarbenen T-Shirt, der am Stock geht und von einer halb so alten dekorativen Gattin umschwirrt wird. Zwei Töchter filmen die Ausstellung, die den Künstler nur wenig interessiert. Sowieso kann man die Welt ja ganz nach Gusto interpretieren: als Chamberlain eine große Gruppe querformatiger Landschaften nicht gefiel, stellte er das Ganze hochkant und nannte es "die Frauen in meinem Leben". Und natürlich ist dies der farbenfroheste Raum der Ausstellung.